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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gesundheitspflege (internationaler Kongreß London 1891).

über deren zulässige Verunreinigung zu gewinnen. Besondere Reinigungsanlagen für diese Abwässer vor deren Einleitung in den Fluß sind nur dann zu fordern, wenn durch spezielle örtliche Untersuchungen ermittelt ist, daß die selbstreinigende Kraft des Flusses nicht ausreicht.« - Pettenkofer-München führte hierauf folgendes aus: Die Hygiene stehe wie andre Zweige der Medizin teils auf exaktem wissenschaftlichen, teils auf empirischem Standpunkte. Beide Standpunkte seien für das Handeln maßgebend. Wie man mit Chinin Wechselfieber heilen könne, dabei aber Fälle finde, in denen das Mittel nicht anschlage, so sei es auch mit der Flußreinigung. Sielwasser schade im Fluß in der Regel nichts, aber es gebe Fälle, in denen Flüsse bis zur Unerträglichkeit verunreinigt werden. Während Seine und Themse Unreinigkeiten aufweisen, schade der Elbe seit Jahrhunderten der Zufluß von städtischen Abgängen nicht. Daß es Flüsse gebe, denen man den Unrat ungestraft übergeben könne, habe sich in München zur Evidenz erwiesen, in München, das in neuerer Zeit infolge seiner Assanierungsarbeiten nahezu eine typhusfreie Stadt geworden sei. Mit Recht spreche man von der Selbstreinigung der Flüsse, wobei teils einfache chemische und physikalische, teils biologische Wirkungen eine Rolle spielen. So diene der Sauerstoff im Flußwasser der Oxydation, so spiele die physikalische Adhäsion und die Kapillarattraktion im Wasser eine Rolle. Rasch fließendes Wasser reinige sich schneller als langsam fließendes. Der wesentlichste Grund für die Selbstreinigung der Flüsse sei in der Wasservegetation zu erkennen. Medner-Dresden teilte aus den in Dresden gemachten Untersuchungen des Elbwassers mit, daß dasselbe am unreinsten an der böhmischen Landesgrenze war, und daß es eine Meile unterhalb Dresdens, wie seine gesamten Bestandteile organisierter und chemischer Art darthun, reiner gewesen sei als auf dem ganzen Lauf der Elbe von der Grenze bis Niederwartha. Die Elbe besitzt ein großes Selbstreinigungsvermögen. Delius-Siegen teilte mit, daß sich in 6 km langem Laufe der Sieg der Keimgehalt des Wassers um 63 Proz. vermindert habe. Baumeister-Karlsruhe formulierte die von Pettenkofer aufgestellten beiden Momente der Wassermenge und Geschwindigkeit mit Rücksicht auf die Einwohnerzahl in bestimmte Zahlen, die beispielsweise für Paris die Ziffer 3, für Linz an der Donau 1200 ergaben, und forderte die Aufstellung einer gewissen Grenzzahl der Sicherheit bei Prüfung der Reinheit der Flüsse. Die Versammlung nahm hierauf den gestellten Antrag an. - Zum Schluß sprach Hermann-Braunschweig über die Schulspiele der deutschen Jugend. Er gab einen geschichtlichen Überblick über die Leibesübungen in Bezug auf die Bewegungsspiele und wies darauf hin, daß das Turnen nicht Zweck, sondern Mittel zum Zwecke sein müsse, wie der Turnplatz nicht nur zur Erzielung von Gewandtheit, Kraft und Gesundheit dienen, sondern auch eine Stätte sein solle, wo mit den Spielen ein Übergang zum wirklichen echten Volksleben geboten werde. Um die Leibesübungen zu einer Volkssitte zu gestalten, müssen die Schulspiele gepflegt werden, und für diesen Satz treten denn auch die Turnlehrer mit allem Eifer auf. Von dem Spielleben der deutschen Jugend seien gegenwärtig 81 Städte (davon 7 verbindlich) belebt. Es sei außer allem Zweifel, daß die Jugendspiele ein Mittel seien, die der Turnsache noch fernstehenden Kreise heranzuziehen. Die Gründe, welche die Schulspielfrage zu einer höchst wichtigen machen, lassen sich dahin feststellen, daß die Jugend nach dem Sitzen sich in reine Luft und Sonnenschein begeben, daß eine Belebung des ganzen Stoffwechsels stattfinden müsse. Dafür treten die Schnelligkeitsübungen als äußerst wirksam in den Bewegungsspielen auf. Ihr Mittelpunkt liegt vor allem in dem großen Ball, der die weitgehendste und vielseitigste Bewegung gestattet. Auch der hohe soziale Wert der Jugendspiele wurde von dem Vortragenden gerühmt und ebenso die charakterbildende Wirkung der Schulspiele. Zum Schlusse seiner Ausführungen gelangte Referent zu folgenden Sätzen: 1) Die Schulspiele sowohl der Knaben als der Mädchen sind eine notwendige Ergänzung des Turnunterrichts. 2) Sie sind nicht nur von großem Werte für die Entwickelung und Erhaltung der Gesundheit und Körperkraft der Jugend, sondern auch für Zucht und Pflege des Charakters. 3) Ferner ist ihre Einrichtung das hervorragendste Mittel für Bekämpfung der Frühreife unsrer Jugend und für Hebung der Gesittung des deutschen Volkslebens überhaupt. 4) Das Jugendspiel ist deshalb in sämtlichen Knaben- und Mädchenschulen als wichtiges Erziehungsmittel sorgfältig zu pflegen und zu einer dauernden Schuleinrichtung zu machen. Die Teilnahme daran ist für alle, soweit nicht der Arzt sie verbietet, allgemein verbindlich zu machen. 5) Die Anlage genügender Spielplätze, welche sowohl den Knaben als den Mädchen Gelegenheit bieten, täglich zwei Stunden Bewegungsspiele zu treiben, wird zur dringenden Notwendigkeit. Der deutsche Verein für öffentliche G. empfiehlt den deutschen Städten eine kräftige Förderung der Jugend- und Volksspiele und freut sich der Thätigkeit des Zentralausschusses für das deutsche Turnwesen zum Zwecke der Förderung diese Angelegenheit.

II. Der 7. internationale Kongreß für Hygiene und Demographie

tagte vom 11.-15. Aug. 1891 in London. Als 1876 im Anschluß an die Brüsseler Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen der internationale Kongreß zum erstenmal tagte, bezeichnete König Leopold II. denselben als den Vereinigungspunkt für alle, welche sich nach Beruf oder Neigung für die Förderung der G. interessieren und welche ihr Wissen und ihre Erfahrung dieser guten Sache zuwenden wollen, die wert ist, die allgemeine Aufmerksamkeit und Sympathie auf sich zu lenken, da sie auf alle sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschheit tief eingreifend zurückwirkt. Nur dann könne ein solcher Kongreß für das Leben Bedeutung gewinnen, wenn sich an seinen Arbeiten außer den Ärzten auch Vertreter der verschiedensten Zweige der Naturwissenschaft und technischer Fächer, Rechtsgelehrte und Verwaltungsbeamte, Industrielle und Landwirte und andre Menschenfreunde beteiligen, deren Verhältnisse ihnen gestatten, dem edelsten und humansten Beruf zu dienen, der Armut und dem Elend hilfreich unter die Arme zu greifen. Diese Grundsätze haben auf den spätern Kongressen in Paris, Turin, Genf, im Haag mehr oder weniger den Ausschlag gegeben und sind in Wien zur vollsten Geltung gekommen. Sie bildeten auch das Leitmotiv der Reden in der Eröffnungssitzung des diesjährigen Kongresses. Leider war derselbe kaum als ein internationaler zu bezeichnen, er reichte in seiner Zusammensetzung nicht entfernt an den internationalen Berliner medizinischen Kongreß heran, und der Wegfall aller gemeinsamen Sitzungen ließ die Berührungspunkte unter den Vertretern der verschiedenen Fächer völlig verschwinden.