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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Historische Litteratur 1890/91 (Methodik, Altertum)
die Empfindung aufgehoben werden. Bis zu einem gewissen Grade ist Wechselstrom gefährlicher als Gleichstrom. Letztern kann fast jeder bis zu einer Höhe von ca. 150 Volt ohne schmerzhafte Empfindungen aushalten; dagegen gibt es wenig Leute, die Wechselstrom über 40 Volt mit der gleichen Gemütsruhe ertragen. 300 Volt Wechselstrom können, wenn auch nicht gerade tödlich, so doch stark schädigend wirken, höhere Spannungen, 500 und mehr Volt, dagegen bringen das Leben schon in ernste Gefahr, 2000 Volt können als absolut tödlich angenommen werden. Bei Gleichstrom beginnt eine ernstliche Gefahr wohl erst bei 1000 Volt; bei 2000 Volt jedoch wird Gleichstrom dem Wechselstrom an tödlicher Wirkung wohl wenig nachstehen. Es ist übrigens sehr bemerkenswert, daß Wechselstrom von einer bestimmten Spannung um so gefährlicher ist, je geringer die Wechselzahl ist; neuern Nachrichten zufolge soll Wechselstrom von 10,000 Wechsel pro Sekunde trotz einer Spannung von mehreren tausend Volt keine beträchtliche Gefahr für den Organismus bieten, während er bei 150 Wechseln absolut tödlich ist.
Historische Litteratur 1890/91. Die nachfolgende Übersicht über die historische Litteratur des Jahres 1890 und der ersten Hälfte des Jahres 1891 (des erstern, insoweit die bezüglichen Werke nicht schon im gleichnamigen Artikel des 18. Bandes erwähnt worden sind) beschränkt sich auf eine Auswahl von wichtigern und hervorragender« Erscheinungen, namentlich auf solche, die nicht bloß für Fachgelehrte von Interesse sind, bezieht aber neben den eigentlich politisch-geschichtlichen auch eine Anzahl kulturhistorischer Arbeiten in den Kreis der Besprechung ein, die bisher von jenen gesondert behandelt worden sind.
Methodik.
Von dem geistreichen, aber an Paradoxen noch reichern Werke von O. Lorenz, »Die Geschichtswissenschaft in Kauptrichtungen und Aufgaben«, ist der 2. Band (Berl. 1891) erschienen, in welchem der Verfasser feinen Kampf gegen die sogen, kritische Schule unsrer Geschichtsforschung und seinen aussichtslosen Versuch, an die Stelle der herkömmlichen und wohlbegründeten Periodisierung der Weltgeschichte ein von ihm erfundenes System der Generationenlehre zu setzen, weiter führt. Daneben enthält aber der Band namentlich zur Charakteristik der Rankeschen Geschichtschreibung, aber auch über andre wichtige Fragen viele treffende und geistreiche Bemerkungen. In der Diskussion zwischen D. Schäfer und E. Gothein, die schon in unserm vorigen Bericht (Bd. 18, S. 526) besprochen worden ist, hat der erstere auf die Ausführungen des letztern mit einer zweiten kleinen Schrift, »Geschichte und Kulturgeschichte, eine Erwiderung« (Jena 1891), geantwortet, in welcher er seinen Standpunkt, daß das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte in der Betrachtung staatlicher Entwickelung zu suchen sei, abermals energisch vertritt, sich aber ebenso energisch gegen die Ansicht verwahrt, als ob er darum den innigen Zusammenhang der verschiedenen Seiten menschlicher Gesittung übersehe oder unbeachtet wissen wolle. »Über die Grenzen des historischen Erkennens und die Objektivität des Geschichtschreibers« handelt eine wenig umfangreiche, aber ansprechende akademische Rede des Erlanger Kirchenhistorikers Th. Kolde (Erlang. 1891), auf die wir namentlich deshalb die Aufmerksamkeit lenken möchten, weil sie insbesondere über die Behandlung kirchengeschichtlicher Fragen sehr beachtenswerte Gesichtspunkte aufstellt.
Altertum.
Für die Geschichte des Orients ist an dieser Stelle zunächst die »Geschichte Babyloniens und Assyriens« von F. Mürdtner zu nennen, deren von dem bekannten Keilschriftforscher Fr. Delitzsch bearbeitete 2. Auflage (Kalw 1891) das Wissenswerteste über jene merkwürdigen, zu verhältnismäßig hoher Kultur gelangten alten Völker in anregender und klarer Darstellung vorträgt. Eine Einführung in das Studium des ägyptischen Altertums versucht das Handbuch der »Ägyptologie von H. Brugsch (Leipz. 1891),welches die Ergebnisse der neuern Forschungen auf dem Gebiete der Sprach-, Schrift- und Altertumskunde in gedrängter Übersicht darlegt. Eine kurz gefaßte und gut gearbeitete Übersicht über die »Geschichte Ägyptens« gibt auch A. Wiedemann (Kalw 1891). Auf dem Gebiete der griechischen Geschichtsforschung wird die allgemeine Aufmerksamkeit vorzugsweise durch einen überraschenden und überaus wichtigen Fund beherrscht, der im Britischen Museum gemacht worden ist. Die dem Aristoteles zugeschriebene, uns bisher nur in dürftigen Bruchstücken bekannte Schrift »Über die Staatsverfassung der Athener«, die aus einem ägyptischen Papyrus, der sie nahezu vollständig enthält, zuerst von Keny on (Lond. 1891), dann von G. Kaibel und U. v. Wilamowitz-Möllendorff in bedeutend verbesserter Gestalt herausgegeben worden ist (Verl. 1891), und von der Kaibel im Verein mit A. Kießling eine vortreffliche deutsche Übersetzung veranstaltet hat (2. Aufl., Straßb. 1891), bietet so viel neue, von der bisherigen Überlieferung abweichende oder sie ergänzende Aufschlüsse über die Entwickelung der attischen Staatsverfassung, daß, die geschichtliche Arbeit noch lange zu thun haben wird, um sich mit ihr abzufinden. Daß sie wirklich dem großen Stagiriten angehört, ist zwar mehrfach in England wie m Ungarn und in Deutschland, hier namentlich von Fr. Cauer (Tübing. 1891) und von Fr. Rühl (»Rheinisches Museum für Philologie«, Bd. 46, S. 426 ff.) bestritten worden, wird aber von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher, wie es scheint mit besten Gründen, festgehalten; wie weit sie auch da, wo sie von der bisher für durchaus zuverlässig gehaltenen Überlieferung, namentlich der thukyoideischen abweicht, glaubwürdig sei, und wie weit wir daher unsre bisherigen Ansichten auf Grund dieser neuen Quelle umzugestalten haben, wird noch vieler weitern Untersuchungen bedürfen (weiteres s. im besondern Artikel Aristoteles).
Gerade die Zeit, in der Aristoteles lebte und wirkte, steht im Mittelpunkte der Darstellung des 3. Bandes von A. Holms »Griechischer Geschichte« (Berl. 1890), der die Erzählung bis zum Tode Alexanders fortführt und sich wie seine Vorgänger durch Sorgfalt der Forschung und Schärfe der Auffassung auszeichnet. Der Standpunkt, von welchem aus Holm das wichtigste Ereignis des 4. Jahrh., die Einigung Griechenlands unter der makedonischen Herrschaft, betrachtet, nähert sich in vielen Beziehungen demjenigen J. G. Droysens: wie bei diesem erfährt namentlich Demosthenes eine vielfach ungünstige Behandlung, während Alexanders Bild in hellen Farben gezeichnet wird. In die älteste Vorzeit der griechischen Geschichte führt das zusammenfassende Werk von G. Schuchhardt, »Schliemanns Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenä, Orchomenos, Ithaka im Lichte der heutigen Wissenschaft« (Leipz. 1891), dessen topographische und architektonische Aufstellungen freilich mehrfach angefochten worden sind. Mit den Zuständen Griechenlands unter römischer Herrschaft