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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Innere Medizin (10. Kongreß, Wiesbaden 1891)
Diese Detritusmasse (irrtümlich als Gallensediment beschrieben) verdickt sich und erhält durch Niederschlag von Vilirubinkalk oder auf andre Weise eine feste Rinde, an deren Innenseite sich Cholesterin und Bilirubinkalk ausscheiden. Derartige neugebildete Gallensteine sind weich, sehr zerbrechlich und enthalten einen zentralen, mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum. Sie gewinnen an Festigkeit durch Ablagerung neuer Schichten und durch Infiltration von Cholesterin (besonders des Kernes), welches den Bilirubinkalk verdrängt. Der Stein unterliegt auch noch weitern sekundären Umwandlungen, Z. B. einer Verkalkung, bei welcher sich kohlensaurer Kalk in großem Umfang ablagert. Der krankhafte Zerfall der Schleimhaut der Gallenwege (desquamative Angiocholitis) ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß die gallensauren Alkalien ein sehr starkes Protoplasmagift sind, welches bei Stauung des Gallenabflusses schädlich auf die Schleimhautepithelien wirkt.
Es scheint aber auch, daß dabei ein Mikroorganismus im Spiel ist.
Da der Gehalt der Galle an Steinbildnern von der Ernährung unabhängig zu sein scheint, so ergeben sich für die Prophylaxe nur negative Resultate.
Wo Gallensteine vorhanden sind, ist die Behandlung auf die Beseitigung derselben und auf Heilung etwa bestehender infektiöser Angiocholitis gerichtet. Von Mitteln, welche die Sekretion der Galle befördern, ist nach Naunyn nichts zu erwarten, denn keinem Mittel kommt eine gallentreibende Wirkung zu, die mit der einer reichlichen gemischten Mahlzeit auch nur entfernt zu vergleichen wäre. Höherer Alkaligehalt der Galle sollte den Bilirubinkalk lösen, aber auch durch gewaltige Dosen von Alkalien wird der Alkaligehalt der Galle nicht im geringsten geändert.
Die infektiöse Angiocholitis ist durch Antiseptika nicht zu beeinflussen, da von diesen nur Spuren in die Galle übergehen. Die günstige Wirkung alkalisch salinischer Mineralwässer ist wohl darauf zurückzuführen, daß diese auf die Peristaltik und auf die Blutzirkulation in den Baucheingeweiden anregend wirken, und daran mögen sich die Gallenwege wohl beteiligen. Ähnliche Wirkungen erreicht man, wenn man mäßige Mengen warmen Wassers in das Rektum eingietzt. Die operative Behandlung der Gallensteinkrankheit ist in einer gesunden Entwickelung begriffen, die innere Medizin muß aber dahin streben, daß chirurgische Hilfe nicht zu oft nötig wird.
Fürbringer-Berlin als Korreferent bespricht das Leiden und seine Folgezustände in praktisch klinischer Richtung und hebt hervor, wie überaus häufig bei Sektionen Gallensteine gefunden werden, die im Leben niemals Beschwerden verursacht haben. Das Hauptmittel gegen die Kolik bleibt Morphium und Opium in großen Dosen: in zweiter Linie steht Chloral und Chloroformnarkose. Alle andern Narkotika wirken unsicher. Gallensteine durch interne Mittel lösen zu wollen, bedeutet eine Illusion. Allenfalls ist die Erhöhung der gallentreibenden Kraft behufs mechanischer Äusschwemmung der Steine anzustreben. Große Steine sind nicht Objekte der internen Therapie. Die alkalischen Mineralwässer wirken in der Regel sehr günstig, obwohl das Experiment widersprechende Ergebnisse geliefert hat. Vollständige Mißerfolge sind nicht eben selten. Salicylsaures Natron und die Ölkur, bei welcher die Leber mit Fett durchspült wird, verdienen Beachtung. Rücksichtlich der Diät kommt es viel mehr auf Mäßigkeit als auf die Auswahl und das Verbot bestimmter Speisen an; nur ein Übermaß fett- und zuckerreicher
Nährmittel und schlechter alkoholischer Getränke werden neben den notorisch schwer verdaulichen Dingen ausgeschlossen. Von hohem Werte sind neben der Regulierung des Stuhles (Eingießungen) warme Bäder, rationelle Kleider, Aufenthalt in frischer Luft, Meidung von Überanstrengungen. Die chirurgische Behandlung bezeichnet Redner als eine äußerst wertvolle Errungenschaft und gibt über ihren heutigen Standpunkt eine gedrängte Übersicht. Trotz aller glänzenden Resultate dürfen indes die gangbaren Methoden als ungefährlich nicht gelten, da nach den neuesten Statistiken jeden sechsten bis siebenten Operierten das schwarze Los trifft. Nur da, wo trotz aller hygienischer, medikamentöser und balneologischer Maßnahmen die Qual der Koliken den Träger der Gattensteine aufreibt, ihm das Leben verbittert, die Cholämie und die Pyämie droht, steht Fürbringer nicht an, auf die Segnungen der modernen Chirurgie mit Nachdruck zu verweisen. In der Diskussion über diesen Vortrag erörtert Mosler-Greifswald in der Nachmittagssitzung, daß die sehr reichhaltige und fette Kost des Nordens die Bildung der Gallensteine meist insofern bedinge, als sie zu Katarrhen des Magens und Darmes, besonders des Duodenums, und damit auch der Gallenwege Veranlassung gibt.
Neben der Eindickung der Galle sind katarrhalische Absonderungen der Gallenblasenschleimhaut die Ursache der Gallensteinbildung. Steinbildung in der Leber ist wohl immer als Folge einer Entzündung der Gallenwege aufzufassen, welche sich vom Duodenum bis in die Leber erstreckt hat. Hier kommt es meist zur Eiterung um die Konkremente herum, und Mosler hat jedesmal Bacillen verschiedener Art in den Eiterherden gefunden. Er sieht dies Eindringen von Bacillen vom Duodenum als das Primäre des ganzen Prozesses, des Katarrhs der Gallenwege, der Eindickung der Galle und der Leberentzündung an. Bei der Behandlung ist deshalb auch der Darmkatarrh zuerst zu beseitigen. Je eher derselbe geheilt wird, um so größere Aussicht ist vorhanden, auch der sekundären Entzündung der Gallenwege Herr zu werden. Darauf beruht die günstige Wirkung der Mineralwässer. Die Einführung reichlicher Flüssigkeit ist außerdem auch von Einfluß auf die Gallenabscheidung selbst, und Redner empfiehlt reichliche Darminfusionen mit Zusatz alkalischer Lösungen nach der von ihm angegebenen Methode.
Knoll-Prag sprach über die Lehre von den Kreislaufstörungen und von den krankhaften Veränderungen der quergestreiften Muskeln. Man war bei der Behandlung physiologischer und pathologischer Fragen, welche die quergestreiften Muskeln betreffen, bisher gewohnt, lediglich die fibrilläre Substanz ins Auge zu fassen. Eine Änderung hierin ist erst eingetreten, seitdem der Nachweis erbracht ist, daß es verschieden gefärbte Muskeln gibt, welche sich histologisch durch Verschiedenheiten in der Menge der interfibrillären Substanz auszeichnen, und daß diese eine verschiedene Zuckungskurue geben. Diese interfibrilläre Substanz, welche als ein Nest der Embryonalanlage anzusehen ist, ist von größter Bedeutung für die Ernährung der Fibrillen, unter anderm wohl auch für den Wiederersatz des bei der Muskelzusammenziehung verbrauchten Materials. Weiter hat das Experiment ergeben, daß bei allen Arten an interfibrillärer Substanz (Protoplasma) reiche und arme Muskelfasern vorkommen, und daß die protoplasmareichen Fasern sich vorzugsweise in den thätigsten Muskeln angehäuft finden, ja daß der thätigste Muskel, das Herz, ausschließlich