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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kujundzic - Kunstausstellungen des Jahres 1891 in Deutschland
Kujundzic lspr. -schitsch), Milan, serb. Gelehrter, geb. 16. Febr. 18^2 zu Belgrad, studierte iu Wien, München, Paris und Oxford Philosophie, war 1873 bis 1883 Professor an der Hochschule in Belgrad, darauf außerordentlicher Gesandter in Rom, '188^ bis 1887 Finainminister. Er schrieb einige philosophische Schriften (Die Philosophie in Serbien«, 1868; »Über den Fortschritt der Menschheit«, 1871; »Die Lehre vom Gewissen«, 1872), gab unter dem Pseudonym Aberdar zwei Bündchen lyrischer Gedichte heraus, redigierte seit 1873 den »(iiasnik (Zeitschrift der Serbischen gelehrten Gesellschaft) und war 1882-85 Präsident der serbischen Skuptschina.
Kunstausstellungen des Jahres 1!ll)1 in Dcutjch/ F/ H. Auch im vorigen Jahre drehte sich das Hauptinteresse aller, die die Bewegung auf dem Gebiete der modernen Kunst mit Aufmerksamkeit als Mitwirkende oder als teilnahlnevolle Zuschauer verfolgen, um den sich von Jahr zu Jahr mehr zuspitzenden Wettstreit zwischen Berlin und München um die Führerschaftim Kunstausstellungswesen. Der größere Glanz und Erfolg fielen diesmal auf Berlin, das aus Anlaß des 50jährigen Bestehens des Vereins Berliner Künstler eine von diesem ins Werk gesetzte internationale Kunstausstellung veranstaltet hatte, die vom 1. Mai bis 8. Oktober dauerte, während München sich mit einer einfachen Jahresausstellung begnügte, die freilich auch einen internationalen Charakter trug. Für 1892 sind die Rollen wieder vertauscht worden: München wird eine internationale Kunstausstellung in großem Stile, die 6. in der Reihe seit 1858, unternehmen, und die Leitung der großen Berliner Ausstellung gcht wieder in die Hände des Senats der Akademie der Künste über. Jedoch wird diese Kunstausstellung die letzte in der bisher üblich gewesenen Form sein, da eine völlige Umgestaltung des Berliner Kunstausstellungswesens geplant ist. Die Kunst und die Künstler können unter diesem Wetteifer nur gewinnen. Je mehr sich aber der Umfang der internationalen Kunstausstellungen ausdehnt, je mehr jede folgende ihre Vorgängerin zu überbieten bestrebt ist, desto mehr steigert sich die einheimische künstlerische Produktion, der, zumal bei dem Wettbewerb des Auslandes, keine entsprechende Abnahme gegenübersteht, und desto fraglicher wird die Rentabilität der Ausstellungen für die Unternehmer.
Trotz ihrer langen Dauer und ihres außergewöhnlich zahlreichen Besuches hat selbst die Berliner Ausstellung ein finanzielles Ergebnis gehabt, das in keinem richtigen Verhältnis zu dem Kostenaufwand steht.
I. Die internationale Kunstausstellung in Berlin.
Einen vollen Anspruch auf das Beiwort »international« konnte die Jubiläumsausstellung des Vereins Berliner Künstler nicht erheben, weil die französischen Künstler, deren Beteiligung unter der Leitung des Schlachtenmalers E.Detaille erfolgen sollte,2 Monate vor der Eröffnung der Ausstellung ihre Zusage wieder zurückzogen. Der Besuch der Kaiserin Friedrich, der Protektorin des Unternehmens, in Paris führte das Gegenteil von dem herbei, was er bezweckte. Während die Kaiserin die Ateliers hervorragender Künstler besuchte, um sie für die Berliner Kunstausstellung zu interessieren, benutzte die Pariser Hetzpresse die Gelegenheit, um den Preußenhaß von neuen: zu schüren, und unter dem Druck der Pöbelexzesse wagten die Künstler, die sich bereits zur Beteiligung angemeldet hatten, nicht, ihr Wort zu halten. Nur W. A. Bouguereau, der Tiermaler Felix de Vuillefroy und die Genre- und Blumenmalerin Madeleine Lemaire ließen sich durch die Chauvinisten
nicht abschrecken, fich ihrem Versprechen gemäß direkt an der Berliner Ausstellung mit Werken Zu beteiligen, die von ihrem künstlerischen Vermögen eine richtige Vorstellung gaben. Dagegen waren alle übrigen tunstübcnden Nationen so reich und mit so ausgewählten, für den gegenwärtigen Stand des Kunstschaffens charakteristischen Weckn vertreten, daß die moderne Kunstbewegung wenigstens in ihren 5)öhe- und Lichtpunkten, wenn auch nicht in ihren Verirrungen nach dem zusammengebrachten Material (rund 5000 Nummern) richtig beurteilt werden konnte.
Berlin und München sind nämlich auch dcnva Antipoden auf dem Gebiete der Kunstausstellungen, daß die Berliner Juroren sich gegen die Ausschreitungen des Naturalismus und semer Spielarten ablehnend verhalten, wählend die Münchener ihren Glaspalast jeder neuen Richtung weit öffnen, ohne nach ihrer ästhetischen oder künstlerischen Berechtigung zu fragen, und dafür die Anhänger der ältern Kunstanschauungen auf geringen Raun: beschränken. Die in zusammenhängenden Sälen und Kabinetten angeordneten Ausstellungen der meisten fremden Nationen waren in Berlin von Künstlern des eignen Landes arrangiert worden, und sie unterlagen deshalb auch nicht dem Urteil der Berliner Jury. Um so mehr fällt die Beobachtung ins Gewicht, das; der Naturalismus in der modernen Kunst keineswegs so tief Wurzeln gefaßt hat, wie seine Anhänger und ihre Wortführer in der Presse glauben machen wollen.
Gerade die Künstler der Nationen, deren Schöpfungen nach dem von der Berliner Ausstellung gebotenen Gesamtbilde den besten Teil ihrer wirksamen Kraft aus dem heimatlichen Boden gesogen und aus dieser Kraft auch den Aufschwung zu Werken großen Stiles genommen haben, suchen Inhalt und Form zu einem so einheitlichen Ganzen zu verbinden, daß für den Naturalismus, der entweder die Form vernichtet, um nur die koloristische Stimmung wirken zu lassen, oder nur die rohe Form zur Anschauung bringt, ohne damit einen Gedanken oder eine Empfindung auszudrücken, kein Platz in diesem Gestaltungsprozcß übrigbleibt. Daß Spanien, Ungarn und Italien diejenigen Länder sind, in denen die Kunst in engerm Zusammenhang mit dem Volkstum und der vaterländischen Geschichte steht als irgendwo anders, erklärt sich zum Teil aus den politischen Verhältnissen, zumeist aber aus der Eigentümlichkeit der Rasse, aus der unverwüstlichen Kraft der Volksseele. Diese Kraft ist um so bewundernswerter, als die Mehrzahl der Künstler jener Länder nicht mehr Rom, sonocrn Paris für die hohe Schule der Kunst hält oder doch in Werken Pariser Künstler nachahmungswürdige Vorbilder sieht. Diese .Hochschule fördert aber nur die malerische Technik, bereichert nur die Kenntnis von technischen Kunstgriffen, von neuen Prozeduren, die mehr dein krankhaften Neuerungsbedürfnis unserer Zeit frönen, als sie die Kunst wirklich vorwärts bringen. Daß viele von den Künstlern, die nach Paris gewandert sind und sich nach längerm oder kürzerm Aufenthalt von dort losgerissen haben und in die Heimat zurückgekehrt sind, hier wieder den wirklichen Nährboden ihrer Kunst gefunden haben, ist ein Zeugnis für die Kraft, die das Nationalitätsbewußtsein' immer noch einflößt. Nichtsdestoweniger muß aber darauf hingewiesen werden, daß die Anziehungskraft von Paris auf die Künstler der ganzen Welt stetig wächst, und daß alle politischen Wirren der letzten Jahrzehnte nicht den geringsten nachteiligen Einfluß auf das ^unstleöen und die künstlerische Bewegung in der französischen Hauptstadt geübt haben.