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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kunstausstellungen des Jahres 1891 in Deutschland
Spanien, das auf der Berliner Ausstellung am imposantesten vertreten war, weil seine Künstler die Geschichtsmalerei großen Stiles mit demselben Eifer pflegen wie die Genremalerei, hat die engsten Beziehungen zu Paris, aber ebenso enge und noch ältere zu Nom. Hier wie dort haben viele spanische Künstler ihren ständigen Wohnsitz, halten aber den Zusammenhang mit ihrer Heimat aufrecht, indem sie den Schwerpunkt ihres Schaffens in die Behandlung nationaler Stoffe legen. Die in Nom lebenden oder dort gebildeten Spanier greifen gelegentlich auch ihre Motive aus dem römischen Volksleben und aus der ältern römischen Geschichte heraus, wofür die Berliner Ausstellung in einer Gruppe betender Bauern vor einem Madonnenbilde an der Landstraße von Luauey Rosella, in einer römischen Straßenszene: Arbeiten am Tiber, von Enrico Serra, in einer an Blut und Leichen reichen Darstellung aus dem Spoliarium eines römischen Amphitheaters von Juan Luna y Novicio, der Auffindung der Leiche des heil. Sebastian in den Kloaken zu Rom von Alejandro Ferrant und in einigen naturgroßen, höchst energisch charakterisierten Figurenstudien zu einem Gemälde aus der venezianischen Geschichte von Jose Villegas einige Beispiele von hervorragender künstlerischer Bedeutung bot. Aber die Mehrzahl hält sich an die Heimat, wobei Zu betonen ist, daß die spanische Malerei des 16. und 17. Jahrh, keinen irgendwie erheblichen Einfluß auf die moderne auszuüben scheint. Nur darin begegnen sich die Neuern mit Velazquez, daß sie ebenso energisch wie jener den Anschluß an die Natur, an die Realität der Erscheinung suchen. Nach dieser Richtung ist keiner Velazauez so nahe gekommen wie L. Alvare; (s. d.) in dem Geschichtsbilde: der Felssitz Philipps II. beim Eskorial, das trotz der einfachen Komposition und der schlichten malerischen Darstellung alle übrigen Historienbilder der Ausstellung an großartiger Wirkung übertraf. Derselbe Künstler ist aber in einer spanischen Trauerversammlung aus dem Jahre 1824 durchaus originell, während er sich in einem Genrebild mit kleinen Figuren: Krieg im Frieden, einer Szene aus der französischen Invasion in Spanien, in der von Meissonier und Fortuny begründeten, auf hell leuchtende Farbenwirkungen ausgehenden Richtung der Kostümmalerei bewegt. Derselben Richtung folgen auch Jose Gallegos (Trauung in der Sakristei des Domes zu Sevilla), Jose Benlliure v Gil (das Fest der Madonna und Katechismuslehre), Salvator Viniegra y Lasso (die Kapelle der Torreros), Enrique Melida und Francisco de Pradilla, der allein von den hervorragenden Malern Spaniens auf der Berliner Ausstellung fehlte, den wir aber der Vollständigkeit halber hier erwähnen, weil er in Bildern aus dein Voikstreiben auf kleinstem Raume das höchste Maß individuellen Lebens und mannigfaltiger Charakteristik zu entfalten weiß. Diese Künstler haben diese Gattung der Malerei über Fortuny hinaus noch weiter entwickelt, indem sie teils nach größerer Schärfe und Tiefe der Charakteristik streben, teils zu einem noch reichern, blühendern und harmomevollern Kolorit gelangt sind. Sie vertreten die nationale Eigenart der spanischen Malerei ebenso entschieden und nachdrücklich wie die Geschichtsmaler, von denen noch Andres Parlade (der Vertrag zu Caspe), Salvador Martinez Cubells (Huldigung der Vasallen Dom Pedros I. vor der Leiche der Ines de Castro) und Emilio Sala (Vertreibung der Juden aus Spanien) hervorzuheben sind. Als eigenartige, mit feinem malerischen Gefühl und großer technischer
Virtuosität begabte Vertreter der spanischen Kunst sind auch der 'Militärmaler Jose Cusachs y Cusachs, die Gräfin Antonia de Banuelos (Kinderbildnisse), der Landschaftsmaler Juan Roig y Soler und die Bildhauer Justo de Gandaria, Augustin Querol und Mariano Benlliure y Gil zu nennen. Am wenigsten hervorragend ist die^andschafts- und Marinemalerei, vielleicht weil der spanische Himmel der Stimmungsmalerei, in der die Entwickelung der modernen Landschaftsmalerei gipfelt, nicht günstig ist.
Dagegen hat die Landschaftsmalerei in Italien in neuerer Zeit eine liebevolle und vielseitige Pflege gefunden, nachdem sie Jahrzehnte hindurch völlig vernachlässigt worden war. Im Gegensatze zu der Mehrzahl der ausländischen Maler, die die italienische Natur in ihrem Feiertagskleide, von ihrer romantischen Seite aufzufassen lieben, suchen die Italiener den Stimmungsgehalt ihrer heimischen Landschaft auszubeuten, weshalb sie die Herbst- und Win! terzett oder Frühlingsmotive bei leicht verschleiertem Himmel bevorzugen. Die an der Berliner Ausstellung beteiligten Hauptvertreter der Stimmungslandschaft sind Filippo Carcano (s. d.), Guglielmo Eiardi, Giovanni Segantini, Carlo Brancaccio (s. d.), Filiberto Petiti, Lorenzo Delleani, Guido Voggiani, Achille Vertunni und Aristide Sartorio. Carcano und Segantini gehören der naturalistischen Richtung an. Geringern Boden hat der Naturalismus in der italienischen Genremalerei gewonnen, die sich immer mehr von der eleganten Kostümmalerei in der Art Fortunys frei macht und immer tiefer in das Volkstum der Gegenwart eindringt. Dem Volkscharakter entsprechend bewegt sich die Genremalerei zumeist zwischen Gegensätzen, zwischen der pathetischen Schilderung dramatischer Vorgänge oder der Darstellung heitern Lebensgenusses und sorgloser Freude am Dasein, wobei das Hauptgewicht immer stärker auf die koloristische Wirkung gelegt wird. Das verratene Mädchen, an dem der Hochzeitszug ihres Verführers vorüberzieht, von Augusto Corelli, die Bilder aus dem arabischen und römischen Volksleben von dem Aquarellisten Gustavo Simoni, das Urteil eines modernen Paris und der Blumenmarkt in Verona von Angelo Dall' Oca Bianca (s.d.), die moderne Promenade und der Marktplatz in Venedig von dem verstorbenen Giacomo Favretto, die Rückkehr des Reservisten von Lojacono, die durch höchste Lebendigkeit, Feinheit und Schärfe der Charakteristik ausgezeichneten Bil! der aus dem Volksleben in den Abruzzen (Korpus> Tomini-Fest, der Kirchgang, die Serenade) von! Paolo Michetti (s. d.), die Wäscherinnen am Garda! see von Ettore Tito und das Blumenfest in Venedig! von Scipione Vannutelli waren in Berlin die charat! tervollsten Proben dieser der Schilderung des modernen Lebens zugewendeten Richtung der italienischen Malerei. Die feinste und reichste koloristische Ausbildung zeigten darunter die Bilder von Dali' Oca Bianca. Während dieser die Konturen der Figuren in der umgebenden Luft gewissermaßen auf, löst und sie mit einein farbigen, duftigen Schimmer umhüllt, modelliert Michetti seine Figuren zu voller, plastischer Rundung heraus oder er zeichnet sie mit jener schneidigen Schärfe, mit jener prickelnden Nervosität, die Fortuny eigentümlich waren. Am schwächsten war die Geschichtsmalerei vertreten, und sie kann in Italien nach der Einigung des Königreiches unter einem Zepter auch noch »icht den zu ihrem Gedeihen nötigen Boden gefunden haben, da die Geschichte des neuen Italien noch zu jung und zu arm an großen Ereignissen ist, um die Maler zu hisw-