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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kunstausstellungen des Jahres 1891 in Deutschland
rischen Gemälden großen Stiles zn begeistern. Daß die Geschichtsmalerei aber nur da gedeihen kann, wo
eines Landes in ununterbrochenem Zusammenhang mit der Gegenwart geblieben ist oder wo die Malerei zum Ausdruck politischer Wünsche und Hoffnungen dient, lehrt uns außer den Spaniern auch der Blick auf die übrigen kunstübenden Nationen Europas. Ein Volk, das sich in der Gegenwart stark und selbstbewußt fühlt, hat nicht so sehr das Bedürfnis, sich an den Großthaten der Vergangenheit zu begeistern, wie eine zerrissene, geknechtete oder in ihren politischen Forderungen unbefriedigte Nation. Ein charakteristisches Beispiel dafür sind die aus Polen stammenden Maler, die froH ihrer Zerstreuung über die vornehmsten Kunststädte Europas, München, Wien, Rom und Paris, durch das Band leidenschaftlicher Vaterlandsliebe, durch die Erinnerung an die verlorene politische Selbständigkeit zusammengehalten werden. Nach dem Vorgang Matejkos, dessen Werkstatt in Krakau für viele Künstler polnischer Nationalität die erste Etappe ihrer Entwickelung ist, wird die Geschichtsmalerei eifrig betrieben, wenn auch noch keiner der jüngern Matejko gleichgekommen ist, der in Berlin mit mehreren geschichtlichen Genrebildern und einen: großen Gemälde vertreten war, das die den Untergang Polens prophezeiende Predigt Skargas vor dem Landtag in Gegenwart des Königs Siegmund III. darstellt. Im Bildnis und in der Schilderung des heimischen Volkslebens in Gegenwart und Vergangenheit hatten die Polen die künstlerisch wertvollsten Leistungen auszuweisen, darunter solche, die, wie z.V. die Herren- und Damenbildnisse der in Paris lebenden Anna Bilinska, die männlichen Porträte des in Krakau gebildeten Kasimir Pochwalski (s. d.), die Händler aus Tiflis und der Tfcherkessentanz von Michael G. Wywiorski in München, das höchste Maß von Kraft und Wahrheit der Charakteristik, von engstein Anschluß an die Natur und von technischem Können darstellen, das die moderne Malerei bisher ^u erreichen im stände war. In Theodor Rygicr in Krakau besitzen die Polen auch einen Bildhauer von urwüchsiger Kraft, der direkt auf die Natur losgeht und namentlich in Bronzefiguren und -Büsten große Wirkungen, freilich unter Anwendung von starken malerischen Mitteln, zu erzielen weiß.
Auch Nngarn ist ein Land voll starker Nationalitätstriebe, die sich aber nicht so sehr in Bildern aus seiner Geschichte, als in Darstellungen aus seinem gegenwärtigen Volksleben und in Schilderungen der heimatlichen Natur äußern. Die wenigen Geschichtsbilder, die in Berlin zu sehen waren, unterschieden sich sogar insofern von allen übrigen, als sie einen akademischen Zug trugen, als ob sie mehr dem Verstand als dem .herzen entsprossen wären, während sich in Bildnissen, Genrebildern, Einzelfiguren, Landschaften und Tierstücken volle Hingabe an den Stoff und volles Mitempfinden kundgaben. Selbst ein Künstler wie Munkacsy, der in seinen Bildnissen von Damen der vornehmen Welt in kokett ausgestatteten Boudoirs immer die neueste Pariser Mode widerspiegelt und die letzte Blüte raffinierter Maltechnik bietet, gibt sich in seinen Bildern aus dem ungarischen Volksleben einfach und wahr. Seine ursprüngliche Neigung zur Schwarzmalerei hat übrigens auf seine Landsleute keinen Einfluß geübt. Ein frischer, gesunder Ton, der ebensowenig von der Schwarzmalerei wie von der mehligen Hellmalerei der modernen Naturalisten etwas wissen will, ist vielmehr für alle in Berlin ausgestellt gewesenen Bilder
charakteristisch. Unter den Genremalern, die Stoffe aus dem modernen Volks- und Gesellschaftslebeir behandeln, sind Alexander Vihari (f. d.) mit seinen: Dorflump und der Szene vor dem Stuhlrichter, Tihamer von Margitay (die Flitterwochen), O.v.Baditz (ein Verhör), Julius Agghazy (Dorfklatsch), Otto Koroknyai, Ludwig Ebner (Auferstehungsprozession in Ungarn und Heinikehr der Schnitter), Heinrich Pap (Rekrutierung am 1. Oktober) und Paul Vago durch Kraft und Wahrheit der Charakteristik und durch koloristische Virtuosität besonders hervorragend. Letztere erstreckt sich bei den Ungarn so gleich'm Wg auf alle Gattungen der Malerei, wie bei keiner andern Nation, wobei freilich nicht außer acht zu lassen ist, daß in Berlin eine sorgfältige Auswahl aus den besten Schöpfungen der ungarischen Malerei geboten worden war, und daß die Mehrzahl der ungarischen Maler ihr technisches Können nicht in der Heimat, sondern, von Stufe zu Stufe fortschreitend, in Wien, München und Paris erworben hat. Aus solchen Stildien auf den Hauptplätzen der Kunstübung sind auch diejenigen Meister hervorgegangen, die neben Munkacsy den Höhepunkt der ungarischen Malerei bezeichnen: der Bildnismaler Leopold Horovitz (s.d.), dessen Porträte von Dmmn der Aristokratie in Pest, Wien und Berlin den besten Schöpfungen van Dycks gleichkommen, der Schilderer orientalischen Volkslebens Franz Eisenhut (s. d.), der in München gebildete Landschaftsmaler Vela von Svanyi und der Tiermaler Bela Pallik, dessen Ställe mit Schafen und Lämmern alles übertreffen, was die Schafmaler Iacaue, Brendel und Gebler geleistet haben. Zu den hervorragendsten ungarischen Malern ist auch Arpad von Feszty zu zählen, dessen trauernde Frauen am Grabe Christi die ergreifende Wirkung eines echten Andachtsbildes mit vollkommener Wahrheit in Charakteristik und Farbengebung verbinden.
Zu einer geschlossenen, auserlesene Schöpfungen umfassenden Gruppe hatten sich auch die in Paris lebenden, aus Nordamerika gebürtigen 'Maler englischer und deutscher Abstammung vereinigt.
Sie werden durch kein gemeinsames, nationale) Band zusammengehalten, sondern sie spiegeln zumeist nur die in den Pariser Ateliers herrschenden guten und schlechten Lehrgrundsätze und Launen wider. Aber es gibt unter ihnen einige starke Talente, deren eigenartige Physiognomie bereits unter der Nachahmung zum Durchbruch gelangt ist. Das bedeutendste und kräftigste ist Lord Edwin Weeks, dessen Architekturlandschaften und architektonische Innenräume mit Figuren aus Ostindien (Gebet' stunde in der Perlenmoschee in Agra, Restaurant in: Freien und ein Radscha von Jodhpur) an Energie und Wärme des Kolorits, an Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit der Charakteristik alle ähnlichen Darstellungen seiner Vorgänger, insbesondere die Wereschagins, weit übertreffen. Frederick Arthur Bridgmcm, der seine orientalischen Studien in Algier macht, Henry Mosler (Genrebilder aus dem Leben der Bauern in der Bretagne), Gari Melchers, Walter Mac Ewens und Charles Sprague Pearce, alle drel Nachahmer der französischen tzellmaler und Naturalisten, Karl Gutherz, H. Humphrey Moore sind die andern hervorragenden Spitzen der nordamerikanischen Malerkolonie in Paris.
Daß auch die Malerei Rußlands ihren Angelpunkt in Paris sieht, ist unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen so zweifellos, daß die für Berlin arrangierte, zumeist aus kaiserlichem Besin und aus der Galerie der Petersburger Kunstakademie