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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Muscheln (Augen und Sehen; Entwickelungsgeschichte)
dem Mantelrand, sind mit einer durchsichtigen Hautschicht bedeckt und setzen sich aus einer größern Anzahl von stark lichtbrechenden, in Pigment gebetteten Kristallkegeln zusammen, von denen jeder wie beim zusammengesetzten Insektenauge ein Einzelauge (Ommatidium) vorstellt, mit dem Unterschiede, daß /edes Ommatidium der M. nur aus einer einzelnen Zelle besteht, im Gegensatze zu den sehr kompliziert gebauten und meist in viel größerer Zahl zusammengedrängten Ommatidien in den Facettenaugen der Insekten. Auch bei diesen zusammengesetzten Augen der M. treten Fasern des Sehnervs zu den einzelnen Ommatidien, aber aus dem einfachen Vau ist auf keine hohe Leistungsfähigkeit zu schließen; jedenfalls reicht sie nicht an diejenige der Insektenaugen heran.
Durch Versuche konnte nur so viel festgestellt werden, daß diese M. (die Arcaceen) hell und dunkel gut zu unterscheiden vermögen. Die große Anzahl ihrer Augen dürfte dadurch zu erklären sein, daß sie an Felsen festsitzen und sich nicht beliebig drehen und wenden können; auf der gesamten Oberfläche des Mantelrandes verteilt, gestatten sie dem Tiere, wie ein hundertäugiger Argus nach allen Seiten gleichzeitig auszuschauen und beim Herannahen einer Gefahr rasch die Schalen zu schließen.
Allein mit diesen zusammengesetzten Augen ist die Höhe der Organisation, welche dieser Sinn am Mantelrand erreichen kann, nicht erschöpft. Noch weit vollkommenere Augen, welche trotz ihrer großen Zahl an die Bildung der Wirbeltieraugen wenigstens von fern erinnern, fand Rawitz bei der Kammmuschel (t>6ct6n). Auf breiten Stielen sitzen hier bis gegen 100 knopfförmige Augen am Mantelrande. Sie besitzen eine große, auf der durchsichtigen vordern Zellhaut mit der Basis aufsitzende stumpf kegelförmige Linse, am Grunde der Augenkapsel eine Netzhaut, welche aus den Sehzellen mit nach hinten gerichtetem Stäbchen besteht und dahinter noch, wie so viele Wirbeltieraugen, eine Glanzschicht (^^6tum), durch welche der metallische Glanz der Kammmuschelaugen hervorgerufen wird. Höchst auffallend und unverständlich sind die Innervierungsverhältnisse dieser Augen, sofern der hinzutretende Nerv sich in zwei Äste spaltet, von denen nur einer direkt an die Hinterfläche des Auges und von da durch die Ganglienzellen direkt zu den Sehzellen tritt, während der andre Ast von der Seite her zwischen Linse und Netzhaut in das Auge mündet. Die Abwendung der Stäbchen vom Lichte nach der hintern Augenfläche entfernt diese Augen von denen der Schnecken und Kopffüßer, bei welchen die Stäbchen umgekehrt gerichtet sind, und nähert sie der Bildung des Wirbeltierauges. Der Grund, warum Organe von so bedeutsamer Ausbildung dennoch in großer Zahl vorhanden sein müssen, erklärt sich nach Nawitz vielleicht aus ihrer Wirkungsweise. Nach angestellten Versuchen schienen diese Augen nämlich wegen der Kleinheit ihres zentralen Gesichtsfeldes kleinere, ruhende Gegenstände, auch wenn sie dicht herangebracht wurden, kaum wahrzunehmen, während größere Gegenstände schon in weiterer Entfernung gesehen wurden.
Der Beobachter erklärt sich dies dadurch, daß wahrscheinlich mehrere Augen zusammenwirken müssen, um das Bild eines Gegenstandes zu entwerfen. Um bemerkt zu werden, muß ein Gegenstand größer sein als ein Auge, oder er muß in schneller Folge mehrere Augen decken. Es würde also durch Zusammensetzung der Bilder vieler Einzelaugen ein musiuisches Sehen wie in dem einzelnen Facettenauge der Insekten erreicht werden.
Über die Entwickelungsgeschichte unsrer häufigsten Süßwassermüscheln (Unioniden), zu denen die gewöhnliche Malermuschel, die Teichmuschel und die Flußperlmuschel gehören, hat Schierholz in den Schriften der Wiener Akademie eine wertvolle, die vielen Rätsel dieser seit den Tagen Leeuwenhoeks viel beobachteten Entwickelungsgeschichte aufklärende Arbeit veröffentlicht. Zunächst mag hier bemerkt werden, daß Neumayr in einer seiner letzten Arbeiten (1889) den sehr wahrscheinlichen Anschluß der Unioniden an die Dreiecksmuscheln (Trigonien) des Meeres betont hat, mit denen sie in der Beschaffenheit des Schlosses, in der starken Entwickelung der Perlmutterschicht und in andern Eigenschaften übereinstimmen, so daß wir als Ahnen der Unioniden ins Süßwasser übergesiedelte Trigonien anzusehen hätten. Es entspricht der heute herrschenden Ansicht, die Süßwassertiere (Schwämme, Quallen, M., Fische?c.) von Meerestieren herzuleiten, aber bei der Übersiedelung der Trigonien scheint die Anpassung an das Süßwasserleben nicht so leicht geschehen zu sein, wie bei andern Süßwassermuscheln, z. V. den Cykladen, denn die jungen Unioniden vermochten sich nur durch eine länger ausgedehnte Brutpflege und nachheriges Schmarotzertum bei Fischen zu erhalten, und dadurch sind ihre frühesten Entwickelungsstufen sehr verändert und fast unkenntlich gemacht worden. Die Eier gelangen nämlich in den Raum zwischen den beiden Blättern der äußern Kiemen, werden dort befruchtet und entwickeln sich mit Überspringung des bei andern M. so charakteristischen Kreisel'stadiums (der Trochophoraform) der frei schwimmenden Larven bald zu kleinen zweischaligen Muscheltierchen, die, von der Eihaut umschlossen, manchmal zu mehreren Hunderttausenden in den äußern Kiemen eines Tieres gefunden werden und früher für einen Schmarotzer ((^looliiäiuui Mi^siticum) desselben gehalten wurden. Diese Glochidiumlarve, wie man sie nun unter Beibehaltung des ihr mißverständlich beigelegten Namens nennt, gleicht einer sehr kleinen und einfach gebauten zweischaligen Muschel ohne Fuß und Kiemen, besitzt dagegen besondere Organe, die der erwachsenen Muschel fehlen, nämlich scharfzahnige Schalenhaken an den Rändern, einen aus der geschlossenen Schale herausragenden und von der Tiefe des Schließmuskels aufsteigenden »Larvenfaden« und mehrere auf den beiden Innenstächen aufsitzende Haarwärzchen, die als Sinnesorgane zu betrachten sind. Diese Glochidiumlarve entwickelt sich noch innerhalb der Eischale aus der Kreisellarve, die dort ihre bei andern Muschelarten im Freien vollbrachten Tänze ausgeführt hat, und tritt erst nach dem Ausstoßen der jungen Tiere aus den Kiemen der Mutter durch Zerplatzen der Eihäute frei hervor.
Nunmehr tritt die Larvenentwickelung in ein zweites, erst von Schierholz genau beobachtetes Stadium, bei welchem die Larven als Fischschmarotzer ihr Dasein fristen, und wobei dann die gedachten Organe in Thätigkeit treten. Vermittelst der sich verschlingenden Fädchen der ausgestoßenen und ausgeschlüpften Glochidien bilden sich kleine, leichter aufzuwirbelnde und an Wasserpflanzen haftende Bündel, die sich am Körper vorüberstreichender Fische festheften. Wenn die Larven im weit aufgeklappten Zustande von dem Fifchkörper gestreift werden, mögen die erwähnten Sinneshaare der innern Wärzchen durch den empfangenen Reiz die Auslösung der Schließmuskelkraft bewirken, durch die sich die Schalen plötzlich schließen und die erwähnten Schalenhaken in die