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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Stadtbahnen (Berliner Stadt- und Vorortbahnen)

Stadtbahn zu. Die Stadtzüge bewegen sich zwischen den Stationen Westend und Schlesischer Bahnhof oder Stralau-Rummelsburg. Die Stadtringzüge entspringen auf den Stationen Westend und Schlesischer Bahnhof, bewegen sich tags über im Kreise in beiden Richtungen und endigen auf den vorgenannten Stationen. Die Südringzüge, deren Bildung zwar auf den Stationen Schlesischer Bahnhof und Charlottenburg erfolgt, entspringen und endigen auf dein Potsdamer Bahnhof. Die über die Stadtgeleise fahrenden Vorortzüge entspringen auf den Stationen Schlesischer Bahnhof, Charlottenburg und Grünewald und bewegen sich zwischen Charlottenburg-Grunewald und Johannisthal-Grünau. Die übrigen über die Ferngeleise der Stadtbahn fahrenden Vorortzüge entspringen oder endigen in den Stationen Schlesischer Bahnhof und Charlottenburg. Die außen liegenden Endpunkte dieser Züge sind westlich Wannsee, Potsdam und Spandau, östlich Strausberg-Rüdersdorf, Erkner und Fürstenwalde. Unterwegs berühren diese Züge zahlreiche im Aufblühen begriffene Orte.

Außer den über die Stadtbahn laufenden Vorortzügen verkehren noch weitere Vorortzüge auf den Stammlinien, und zwar Lehrter Bahnhof-Nauen, Stettiner Bahnhof-Oranienburg, Stettiner Bahnhof-Bernau, Görlitzer Bahnhof-Königs-Wuster-Hausen, Anhalter Bahnhof-Zoffen und -Großlichterfelde, Potsdamer Bahnhof-Werder (Wannseebahn).

Der von den Berlinern, namentlich an Sonn- und Festtagen, stark besuchte Grunewald ist von der Stadtbahn, dem Potsdamer Bahnhof und Westend zugänglich.

Betrieb. Wie die preußischen Bahnen überhaupt, so befinden sich auch die Berliner Bahnanlagen in den Händen des Staates, zum großen Vorteil einheitlicher Betriebsführung. Die letztere ist den Londoner Verhältnissen nachgebildet worden. Der Grundgedanke ist auch hier die Herstellung rhythmischer Zugfolge durch Ineinandergreifen zahlreicher starrer Zugbetriebe. Den Ausgangspunkt hinsichtlich des Ortsverkehrs bildet in Berlin der Stadtbahnbetrieb zwischen dem Schlesischen Bahnhof oder Stralau-Rummelsburg einerseits und Charlottenburg oder Westend anderseits. Mit diesem Betrieb sind die Betriebe des Nord- und Südringes mit halbstündlicher Zugfolge nach jeder Richtung derart verschmolzen, daß durch das Zusammenwirken der drei Betriebe eine gleichmäßige Zehnminutenzugfolge auf der Stadtbahn entsteht. Diese Zugfolge ist aber in den dichtern Verkehrsstunden durch weiter eingeschaltete Lokal- und Vorortzüge auf 3 und 4 Minuten vermindert. Dieser stärkere Verkehr dauert von 5-9 Uhr morgens, 12-4 Uhr mittags und von 6-8 Uhr abends. Ähnliche Verstärkungen, außer mittags, entstehen auf dem Nord- und Südring. Die Betriebslänge des Nordringes beträgt 34,3 km (23 Stationen), die des Südringes 38,5 Km (20 Stationen), die Strecke bis zum Potsdamer Bahnhof doppelt gerechnet. Die Reisegeschwindigkeit der Züge beträgt etwa 25 km in der Stunde, die reine Fahrgeschwindigkeit etwa 30 km. Die eigentliche Stadtbahn wird zwischen Stralau-Rummelsburg und Westend in 43, der ganze Nordring in 89, der ganze Südring in 96 Minuten durchlaufen. Die Stadtbahn hat 600 Züge und kommt ohne Fernzüge der Londoner innern Ringbahn nahe; sie geht an Sonntagen, wo noch etwa 90 Sonderzüge abgelassen werden, sogar darüber hinaus. In London ist dagegen der Zugbetrieb an Sonntagen auf etwa ein Drittel vermindert.

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Auf der Strecke zwischen Potsdamer Bahnhof und Halensee (letzterer zur Zeit der besuchteste Vorort Berlins) verkehren nachmittags und abends die Züge in 10 Minuten Abstand nach beiden Richtungen.

Geschichte. Die Endbahnhöfe der acht in Berlin einmündenden Bahnen hatten früher untereinander keine leistungsfähige Verbindung, abgesehen von der Anfang der 70er Jahre erbauten Ringbahn, welche indes nur dem Güterverkehr diente. Die hierin liegenden Mißstände durch Bau einer durch die Stadt zu führenden Eisenbahn zu beseitigen, strebte zuerst Orth an. 1872 trat im Auftrage der Deutschen Eisenbahngesellschaft Hartwich der Frage näher. In die Stadtbahn sollten die beiden östlichen Staatsbahnen einerseits, die drei südwestlichen Privatbahnen, die Berlin-Potsdam-Magdeburger, Berlin-Lehrter und Berlin-Hamburger Bahn, anderseits eingeführt werden. Die Vorbereitungen für die Ausführung wurden jedoch im J. 1873 durch die ungünstige Geschäftslage empfindlich gestört, und es entstand für die Anlage der Stadtbahn ein Aktienunternehmendurch Vereinigung der Staatsregierung, der Berlin-Potsdam-Magdeburger, der Magdeburg-Halberstädter und Berlin-Hamburger Bahn mit der Deutschen Eisenbahngesellschaft unter dem Namen der Berliner Stadteisenbahngesellschaft (Aktienkapital 48 Mill. Mk., davon der Staat 21 Mill. und die Deutsche Eisenbahngesellschaft 12 Mill.). Die Deutsche Eisenbahngesellschaft kam ihren Verpflichtungen nicht lange nach. Zudem hatte sich ein Mehraufwand von 9,1 Mill. Mk. als notwendig erwiesen. Demgemäß wurde die Stadteisenbahngesellschaft 1878 aufgelöst, und die Staatsregierung als solche brachte bei dem Landtage 8. März 1878 einen Gesetzentwurf für die Fertigstellung der Stadtbahn ein, mit dessen Genehmigung ein Gesamtbetrag von 65,1 Mill. Mk. bereit gestellt wurde, und zwar: 21 Mill. Mk. aus dem frühern Aktienunternehmen, 35,7 Mill. Mk. laut Landtagsbeschluß 1878, 2,4 Mill. Mk., welche seitens der Deutschen Eisenbahngesellschaft an das frühere Aktienunternehmen bereits eingezahlt, aber verfallen waren, und 6 Mill. Mk. Beiträge der drei Privatbahnen. Hierzu traten noch rund 6,550,000 Mk., welche die Anschlußbahnen für die Endbahnhöfe aufwenden mußten. Die leitende Baubehörde hieß fortan königl. Direktion der Berliner Stadteisenbahn. Sie übernahm die bereits sehr weit geförderten frühern Vorarbeiten für die mit vier Geleyen zwischen dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhof und Charlottenburg geplante Bahnlinie, welche indes später nach genauerer Prüfung noch wesentlich geändert wurde; namentlich traten an die Stelle der früher geplanten Gütergeleise die nunmehrigen Ferngeleise. Eröffnet wurde die Stadtbahn 7. Febr. 1882. Ihre Kosten betragen für das Kilometer im ganzen rund 5 Mill. Mk.

Die Stadtbahn hat eine ganz besondere Wichtigkeit in militärischer Beziehung, insofern sie den Übergang von Militärzügen aus dem W. Deutschlands nach dem O. und umgekehrt unmittelbar gestattet. Unterstützt wird sie hierin von den beiden Ringbahnen. Diese Gesichtspunkte sind seiner Zeit für das Eintreten der Staatsregierung wesentlich ausschlaggebend gewesen, als es sich um Ausbau der Stadtbahn handelte.

Umfang des Verkehrs. Über die Entwickelung des Stadt- und Ringbahnverkehrs in den drei letzten Jahren, in Bezug auf die Zahl der ausgegebenen Fahrkarten und die Einnahmen, gibt die folgende Tabelle Aufschluß: