Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

925
Troja (Schliemanns Ausgrabungen; Nekropolenstreit)
mehr, bis es endlich bei Vergil zu einer großen Stadt j mit Palästen, Tempeln, weiten Gassen, hohen Tür:nen ^ wurde. Als man nun später bei Beginn historischer ^ Forschung Troja zu suchen begann, machte gerade dieser Umstand irre, daß eine so große und zugleich so alte Stadt in der deutlich bezeichneten Gegend sich nicht finden ließ. Man glaubte zeitweilig sogar, daß ein ^ Troja in Wirklichkeit nie existiert hätte, und löste die ! gesamten Kämpfe um die Mauern der alten Burg in mythologischen Dunst und Nebel auf, indem man ^ sie als einen Streit zwischen Sonnenglut und Wasser-! massen zu deuten suchte. Anfangs der 70er Jahre ^ schwankte man über die Stelle, wo Troja zu suchen ! sei, und das Urteil neigte sich überwiegend einem be-' deutend mehr landeinwärts gelegenen Felsen, Vunarbaschi, zu. Daß wir heute genauer Bescheid wissen, ist das bleibende Verdienst Heinrich Schliemanns.
Echliemanns Ausgrabungen.
Der gelehrten Schulbildung bar, den Streitfragen , der Professoren fernstehend, gmg Schliemann mit der ! gläubigen Naivität eines Kindes an die Lektüre der Al- ! ten, und wenn die Gelehrten zu wenig davon glaubten, ! so nahm er zwar zu viel an, aber er fand doch das- z jenige, was die Gelehrsamkeit verloren hatte: den fakti- < schen Kern von Wirklichkeit, wenigstens in topographischer Hinsicht, welchen die alten Sagen umkleideten.
Mit seinem scharfen Blicke für das Thatsächliche entschied er sich auf einer Orientierungsreise 1868 sofort ^ für Hissarlik und beschloß, dort zu graben. Leidermachten sich bei diesen Ausgrabungen bald die Schattensei-1 ten seiner Autodidaktenbildung geltend. Der Hissarlikhügel ist nicht ein völlig natürliches Produkt, sondern ! einem Schutthaufen zu vergleichen. In den vielen! Kämpfen, welche um die alte Burg geführt wurden, ! ward sie nicht nur einmal, sondern mehrmals zerstört; auf der Trümmerstätte wurde wieder eine neue Niederlassung erbaut, ja, in der bedeutendsten Periode fanden sowohl in betreff der Stadtmauern als auch der einzelnen Gebäude zahlreiche Umbauten statt, so daß l sich der Hügel immer mehr erhöhte, gerade so, nur noch schneller, als in einer großen Stadt das Pflaster.
Vei den zahlreichen Um- und Neubauten ließ man die alten Fundamentmauern stehen, füllte die Zwischenräume mit Schutt und baute auf dem neu geschaffenen Planum. Dadurch wurde sowohl die Höhe als auch der Umfang des Hügels immer größer. Auch scheint der Ort im ganzen Altertum nicht verlassen ^ worden zu sein, wie denn auch der Name Ilion, soweit wn verfolgen können, an der Stelle haften blieb.
Dem alten Ilion war sogar eine neue Blüte beschieden, als einer der Nachfolger Alexanders d. G., Lysimachos, sich im I. 301 des vordern Kleinasien bemächtigte. Er erbaute auf der alten Stelle eine neue Burg und legte auf dem anstoßenden Plateau, eine Stadt an, welche eine Ringmauer von 40 Sta- ^ dien (ca. 7-8 km) umschlossen haben soll. ^
Auf die Reste dieser alten Stadt, welche deutlich sichtbar zu Tage lagen, stieß Schliemann zuerst; aber da es ihm nicht um das Ilion der makedonischen Zeit, sondern um das des Homer zu thun wav, trug er ohne Bedenken die Trümmer ab und grub durch den ganzen Hügel einen breiten Graben von N. nach S. Wir haben allmählich gelernt, wie im Sinne geschichtlicher Forschung eine Ausgrabung geleitet werden muß. Die geschichtliche Betrachtung sucht nicht nur nach einer Periode, sondern betrachtet alle übereinander liegenden Schichten einer Kultur mit gleicher Aufmerksamkeit. Wer also eine menschliche Niederlassung oder auch eine geologische Schichtung, ^
die sich im Laufe der Zeit allmählich erhöht hat, wissenschaftlich ausgraben will, muß gerade umgekehrt verfahren, wie die Geschichte oder die schaffende Natur. Wo diese aufhörte, muß er anfangen. Sine solche Grabung also muß jede einzelne Schicht horizontal abtragen, geometrisch ihren Plan und womöglich zeichnerisch ihre Ansicht aufnehmen. Dann erst dars die Schicht zerstört und die nächstuntere in Angriff genommen werden. Hätte Schliemann diefe Methode gekannt, so würde er sich und andern viele unnütze Mühe, Verdruß und Arger erspart haben, und wir würden über manche Dinge genauer Bescheid wissen, die wir nur noch erraten können oder als völlig verloren ansehen müssen. Es kommt hinzu, daß gerade die lebhafte Phantasie, welche ihn zu seiner Unternehmung begeisterte, sein Beobachtungsvermögen trübte. Er war wissenschaftlich durchaus ehrlich und wollte nichts falsch darstellen; aber er benannte seine Funde sofort mit den bestimmtesten Namen, uud eine ärmliche Hütte erschien seiner Begeisterung als der Palast des Priamos. So kommt es, daß seine ersten Ausgrabungsberichte fast nicht zu brauchen sind, zumal da er keine Pläne und Zeichnungen aufnahm. Wir verfolgen die einzelnen Ausgrabungskampagnen nicht im einzelnen und heben nur hervor, daß Schliemann in seinem ersten Eifer die ganze Nordseite der Burgmauer, die er für wertloses Getrümmer hielt, abreißen ließ, so daß die nördliche Ausdehnung der Burg heute nicht mehr genau festgestellt werden kann. Seine Berichte würden besser, je mehr er sich auf das eigentliche Ausgraben beschränkte und die Beschreibung und wissenschaftliche Verarbeitung andern überließ. So machte Bur^ nous den ersten Plan der dritten Niederlassung, Virchow besuchte seine Ausgrabungen und führte ihn dadurch in die Gelehrtenwelt ein, doch hatte auch er für architektonische Dinge, unchvelche es sich namentlich handelte, kein Verständnis; völlig brauchbar werden die Ausgrabungsberichte erst, als Schliemann den Architckten Dörpfeld, bekannt undwohlgeschultvon der olympischen Ausgrabung her. zum technischen Beiratmitsichnahm. Ihm verdankenwirdenersten guten Plan der Burg (Fig. 1, S. 926). Außer in vorläufigen Schriften stellte Schliemann die Resultate seiner Grabungen in drei wichtigen Büchern dar: 1) »Ilios, Stadt und Land der Trojaner- (Leipz. 1881, noch ohne Dörpfelds Mitarbeit); 2) .Troja« (das. 1884, unter Dörpfelds Mithilfe, jedoch fo, daß Schliemann noch mit Hilfe der Dörpfeldschen Beobachtungen selbst den Tert schrieb und dadurch manche Unklarheit hineinbrachte); 3) das kleinste und beste, welches nach seinem Tode erschien: »Schliemann, Bericht über die Ausgrabungen in Troja im I. 1890, mit Beiträgen von Dörpfeld< (1891). Hier endlich gibt im'zweiten Teile Dörpfeld allein eine Beschreibung des Thatbestandes.
Der Nckropolenstrcit.
Eine Folge dieser sehr allmählichen Verbesserung der Schliemannschen Berichte war es, daß ihm zunächst nur Achselzucken bei den Gelehrten begegnete. Erst die mykenischen Ausgrabungen mit ihren ungeahnten Erfolgen zwangen auch die Mißgünstigen zur Beachtung; lene Ungenauigkeit der Berrchte erweckte ihm aber auch einen Gegner, welcher ihm sein geliebtes Troja, die Burg des Priamos und Hektors m einen Schutthaufen verwandeln wollte, welcher seine Entstehung der allmählichen Aufhäufung der Brandasche von Tausenden von Leichenverbrennungen verdankte: den Hauptmann Bötticher, welcher in vielen Zeitungsartikeln und zwei Büchern: »I^ I'rois äo äeiüiew Äim, uue n^io^oie ä> iueiueration ä. 1a mn.»