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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Alpen (Geologischer Bau)

sich im Rhätikon, der eingangs erwähnten allgemeinen Biegung des ostalpinen Gebirgsbogens entsprechend, gegen SW. und S., woselbst er durch transversal von W. herübergreifende Kreidebildungen plötzlich abgeschnitten wird. Weiter südlich, jenseit des Einsturzgebietes des Prättigaus, tauchen triasische Kalke wieder auf und verbreiten sich bis in die Gegend der Bernhardin- und Splügenpässe, nach Oberhalbstein und über den Albulapaß bis zum Ortler. In den A. westlich vom Rhein fehlen die Ablagerungen der Trias- und Liasperiode entweder ganz, oder treten nur in einzelnen Streifen auf, ohne zusammenhängende Gebirgszüge von größerer Ausdehnung zu bilden. Im Süden fehlen die Kalkalpen westlich vom Lago Maggiore ganz.

Weitere Unterschiede zwischen Ost- und Westalpen sind in letzter Linie durch die geogr. Verteilung der dem Alpengebirge im N. vorgelagerten alten krystallinischen Massen bedingt. Während die Ostalpen bei ihrer Entstehung nur an ihrem östl. Ende mit der Südspitze der "Böhmischen Masse" zusammenstießen, stellten sich der Entfaltung der Westalpen der Schwarzwald, die Vogesen und das Französische Centralplateau entgegen; infolgedessen wurde die faltende Kraft, die sich in den Ostalpen über weitere Entfernungen verteilen konnte, in den Westalpen gewissermaßen konzentriert und mußte deshalb hier eine stärkere Aufbäumung der Gebirgsmassen bewirken. Der Mangel an großen Längenthälern ist eine unmittelbare Folge dieser Erscheinung; den drei großen Längsthalzügen der Ostalpen: Inn-Salzach-Enns, Mur-Mürz, Rienz-Drau, ist in den Westalpen als gleichwertig nur der Thalzug Rhône-Rhein gegenüberzustellen. Ost- und Westalpen bestehen nämlich nach den neuern geolog. Forschungen aus einzelnen aneinandergeschobenen Parallelketten, die ebensovielen Faltenzügen entsprechen. In den Ostalpen war der Zusammenschub gering, der Faltenwurf beschränkte sich auf Gewölbebildung, die Ketten blieben voneinander getrennt, so daß sich in den Mulden zwischen ihnen Längsthäler herausbilden konnten; ja im äußersten Osten treten die Ketten sogar fingerförmig auseinander. In den Westalpen dagegen war der Zusammenschub äußerst heftig, die Ketten konnten sich nach Norden nicht ungehindert ausbreiten und wurden infolgedessen so heftig an- und ineinander gepreßt, daß sie in der Plastik des Gebirges nicht allenthalben selbständig hervortreten, sondern vielfach nur von dem Geologen nachgewiesen werden können. So sehr wurden die Falten zusammengepreßt, daß es zur vollständigen Überkippung kam, zur sog. Fächerbildung, die, im Gegensatze zu der Gewölbestruktur der Ostalpen, für einen großen Teil der Westalpen charakteristisch ist. Die starke Krümmung des westalpinen Gebirgsbogens und die damit Hand in Hand gehende Verkürzung seines innern Randes gegenüber dem äußern, hatte in dem erstern auch seitliche Druckwirkungen zur Folge, die senkrecht auf die allgemeine Faltung gerichtet waren und stellenweise das Übergewicht über diese gewannen. Daher kommt es, daß die Umbiegung des Adulasystems, die unter dem Widerstände der Ostalpen erfolgte, nicht das einzige Beispiel ihrer Art geblieben ist, sondern sich im Innern des Gebirgsbogens auch anderwärts wiederholt. Das meridiane Streichen einzelner Glieder der Tessiner A. und der Monte-Rosa-Gruppe, sowie die Hinneigung zu der Bildung von Ringgebirgen in den östl. Teilen der Grajischen und der Cottischen A. sind Folgen der Behinderung, die der Faltungsprozeß an der Innenseite des großen Bogens in sich selbst gefunden hat, und die Bedeutung dieser Erscheinung wird dadurch nicht wenig vermehrt, daß ähnliche Vorkommnisse an der Außenseite der A. gänzlich fehlen.

Das verwickelte innere Gefüge der Westalpen, ihre große Höhe und die häufige Wiederkehr der fächerförmigen Aufrichtung der Schichten erscheinen also in gleicher Weise durch den passiven Einfluß der alten ruhenden Massen bedingt, die sich einer weitern Ausbreitung des Gebirges gegen W., NW., N. und NO. entgegenstellten. Die bedeutende Höhe und die geringe Breite dieses Gebirgsgürtels wiederum verursachen, daß man in demselben einer so außerordentlichen Tiefe der Thaleinschnitte begegnet. Denn da sich hier das Gefälle der Flüsse jederzeit auf eine kürzere Strecke verteilte als in den breitern Ostalpen, die noch dazu nicht gerade auf den kürzesten Wegen entwässert werden, so war die Wirkung der Erosion gesteigert, und es konnte eine raschere Tieferlegung der Thalsohlen erzielt werden. Am Fuße des gewaltigsten Bergriesen der A., des 4810 m hohen Montblanc, ist Chamonix in einer Höhe von nur 1052 m gelegen! Einen auffallenden Zug besitzen die Westalpen ferner in dem stark zickzackförmigen Verlauf ihrer Hauptwasserscheide, der als eine unmittelbare Folge der überwiegenden Querthalbildung zu betrachten ist. In den Ostalpen, deren Entwässerung durch Längenthäler geregelt wird, nimmt der Höhenzug des Gebirges, und mit ihm die Wasserscheide, einen mehr geradlinigen Verlauf. Die Querthäler sind hier zu kurz, als daß sich wesentliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Verzweigung geltend machen könnten, und vermögen deshalb die Wasserscheide nur zu ganz geringen Ausweichungen zu bewegen. Der nach Süden einspringende Winkel der Wasserscheide in ihrem Verlaufe vom St. Gotthard über die Bernina zur Reschenscheideck ist jedoch durch den fast rechtwinkligen Aufeinanderstoß des westl. und des östl. Alpenbogens bedingt.

Die Thäler in den A. unterscheidet man als Längs- und Querthäler; erstere stimmen mit der Richtung der Gebirgsketten überein und zeichnen sich bei meist geringem Gefälle durch eine bedeutende Längenausdehnung aus; letztere verlaufen senkrecht zu der Gebirgsrichtung und sind meist kurz und steil. Beispiele ersterer Art sind die bereits erwähnten Thäler der Rhône, des Rheins, Inns, der Salzach, Enns, Mur, Mürz, Drau u. s. w., Beispiele der letztern Art sind die Thäler der Neuß, des Tessin, Oglio, das Ötzthal, Zillerthal, Gasteiner Thal u. a. m. Bezeichnend für die Querthäler ist ihre Stufenbildung, die darin besteht, daß in verschiedener Höhe gelegene, mehr ebene Thalböden durch Steilabfälle miteinander verbunden sind. Ist der Abfall jäh und kurz, dann bildet der Thalbach daselbst einen Wasserfall (Handeckfall, Krimmler Fälle, Gasteiner Fall, Gößnitzfall, Waldbachstrub u. s. w.); verteilt sich die Abstufung jedoch auf eine längere Strecke, und fließt daselbst der Bach in einer tiefen Schlucht, dann nennt man dies eine "Klamm" (Kitzlochklamm, Liechtensteinklamm, Wimbachklamm u. s. w.). Eine dritte Gruppe von Thälern bilden die Durchbruchsthäler, die Gebirgsketten quer durchbrechen (Rhônethal zwischen Martigny und Genfer See, Innthal zwischen Wörgl und Kufstein, Salzach zwischen Bischofshofen und Salzburg, Enns zwischen Admont und Steyr u.s. w.).

Die A. sind das Hauptquellengebiet von Mitteleuropa, doch nehmen sie nur auf einer kurzen