Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Altkatholicismus

473

Altkatholicismus

Orillons (s. Flanke) oder Kasematten. Das Eskarpenmauerwerk ging bis zur äußern Brustwehrkante herauf. Vor dem Graben lag ein schmaler Rondengang mit Glacis, aber ohne Waffenplätze. (S. Figur.)

^[Abb.]

Altkatholicismus, die Richtung in der kath. Kirche, besonders Deutschlands, die den Beschlüssen des Vatikanischen Konzils (s. d.) die Anerkennung versagt und in der Dogmatisierung der Unfehlbarkeit einen Abfall von der alten kath. Kirchenverfassung erkennt. Im Aug. 1870 vereinigten sich zu Nürnberg eine Anzahl kath. Professoren, wie Döllinger, Friedrich, Michelis, Reinkens, von Schulte u. a., zu einer ablehnenden Erklärung gegenüber dem Konzil. Nachdem sich die deutschen Bischöfe, entgegen ihren frühern Erklärungen, um der kirchlichen Einheit willen den Konzilbeschlüssen unterworfen hatten und die Pfarrer und Professoren, die ihnen nicht folgten, mit dem Bann belegten, erklärten gegen 1400 gebildete kath. Laien in einem zu Königswinter entworfenen Protest, daß sie die vatikanischen Dekrete über die absolute Gewalt des Papstes und über dessen persönliche Unfehlbarkeit als eine mit dem Glauben der Kirche in Widerspruch stehende Neuerung verwerfen müßten. Unter Döllingers Vorsitz wurde Pfingsten 1871 zu München der kath. Standpunkt gegenüber dem vatikanischen festgestellt. Im September fand zu München der erste Kongreß der Altkatholiken statt, der das Programm für die notwendige Kirchenreform beschloß und Maßnahmen für die Seelsorge und Gemeindebildung unter den Altkatholiken traf; infolgedessen entstanden eine große Zahl von Altkatholikenvereinen mit eigenen Gottesdiensten an vielen Orten Deutschlands. Der zweite Kongreß zu Köln (1872) bereitete die Wahl eines eigenen Bischofs vor, welche am 4. Juni 1873 auf den Breslauer Professor Reinkens (s. d.) fiel. Ihm trat eine Synodalrepräsentanz (4 Geistliche, 5 Laien) zur Seite; die Regierungen von Baden, Hessen und Preußen erkannten Reinkens als kath. Bischof an; Preußen gab ihm einen Gehalt; auch die altkath. Gemeinden und deren Anrecht an die kath. Kirchengebäude und an das Kirchenvermögen wurden gesetzlich anerkannt. In Bayern verhielt sich die Regierung gegen den A. ablehnend; 15. März 1891 erklärte sie auf Antrag der röm.-kath. Bischöfe, sie betrachte die Altkatholiken nicht mehr als Mitglieder der kath. Kirche, und verlieh ihnen 2. April nur die Rechte einer Privatkirchengesellschaft.

Nach Annahme der Synodal- und Gemeindeordnung (1878) ist die Synode mit dem Bischof das innerkirchliche Organ des A. geworden; die Kongresse (der zwölfte fand 1894 zu Rotterdam statt) beschäftigen sich mehr mit der äußern Verbreitung der Ideen. Die Synoden wurden 1874-79 jährlich in Bonn abgehalten, seit 1880 in unregelmäßigen Zwischenräumen, die vierzehnte 1895. Es wurden Lehrbücher für den Religionsunterricht nach altkath. Grundsätzen herausgegeben, ein deutsches Rituale für die Spendung der Sakramente und ein deutsches Altarbuch für die Messe; viele Bräuche wurden abgeschafft, so das Ablaßwesen, die Übertreibungen der Heiligenverehrung, die Skapuliere, die allgemeine Verpflichtung zur Ohrenbeichte, die Prozessionen und Fastengebote; auch die Meßstipendien und Stolgebühren wurden beseitigt, die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden eingeführt und Priesterehe gestattet. Der A. knüpfte Beziehungen mit allen bischöfl. Kirchen an, die sich frei von Rom gemacht haben. Die Bonner Unionskonferenzen (vgl. den Bericht, hg. von Reusch, Bonn 1874 u. 1875), an denen ausländische und deutsche evang. Theologen teilnahmen, haben zwar keinen unmittelbaren Erfolg gehabt, aber doch bewiesen, daß eine Verständigung möglich ist. Es giebt in

^[Leerzeile]

^[Tabelle]

Preußen 40 Gemeinden mit 15 000 Seelen u. 20 Priestern

Baden 37 " 14 400 " 22 "

Hessen 3 " 900 " 2 "

Bayern 19 " 4 500 " 7 "

Deutschland 99 Gemeinden mit 34 800 Seelen u. 51 Priestern

^[Leerzeile]

dazu 5 Priester und 3000 Seelen in der Diaspora. Außerhalb Deutschlands gewann der A. namentlich in der Schweiz Boden, wo er noch entschiedener mit der hierarchischen Tradition brach. Die Kantone des Bistums Basel erklärten sich Nov. 1892 gegen das Dogma von der Unfehlbarkeit und setzten den Bischof Lachat ab. Unter Führung von Augustin Keller und Professor Munzinger bildeten sich "christkatholische" Gemeinden. Die erste christkath. Synode 1875 setzte die Verfassung fest; 1876 wurde Professor Herzog (s. d.) zum Bischof gewählt. Eine christkatholische Fakultät besteht an der Universität Bern. 1890 gab es in der Schweiz 55 Gemeinden mit 73 000 Seelen und 72 Geistlichen. In Österreich, wo die Gründung altkath. Gemeinden sehr erschwert wurde, konstituierte sich 1872 eine in Wien, dann eine in Ried; neuerdings ist auch in Nordböhmen, mit dem Mittelpunkt in Warnsdorf, eine bedeutsame altkath. Bewegung hervorgetreten. 1888 organisierten sich die österr. Altkatholiken in ähnlicher Weise wie die deutschen, wählten einen Bistumsverweser (Czech) und Synodalrat. 1890 zählten sie 22 Gemeinden mit 10 500 Seelen und 7 Priestern. In Frankreich suchte Pater Hyacinthe (s. d.) eine gallikanisch-kath. Kirche zu bilden. Auch einige Priester in Italien (Graf Campello), Spanien (Cabrera) und Nordamerika sammelten kleine altkath. Gemeinden um sich. 1889 traten die drei altkath. ("jansenistischen") Bischöfe in Holland, der deutsche und schweiz. Bischof sowie der österr. Bistumsverweser in Verbindung, und die Kongresse von 1890 und 1892 wurden als "internationale" ausgeschrieben. Organe des A. sind: "Deutscher Merkur" (München, seit 1870); "Altkath. Kirchenblatt" (Bonn, seit 1874); "Altkath. Volksblatt" (Bonn, seit 1885); "Der Katholik, schweiz. Organ für kirchlichen Fortschritt" (Bern, seit 1877); in Holland "Oud Katholiek"; in Italien "Il Labro"; in Spanien "La Luz".

Aus der reichen Litteratur sind hervorzuheben: Friedberg, Aktenstücke, die altkath. Bewegung betreffend (Tüb. 1876); Beyschlag, Der A. (Halle 1882); von Schulte, Der A., Geschichte seiner Entstehung, innern Gestaltung und rechtlichen Stellung in Deutschland (Gieß. 1887); Döllinger, über Wiedervereinigung der christl. Kirchen. Sieben Vorträge gehalten zu München 1872 (Nördl. 1888); Thikötter, Der A. (Barm. 1889); Friedrich, Der A. im Lichte der