Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Armenien'
polit. Schicksale des Landes sind die Ursache, daß Armenier über ganz Vorder- und Mittelasien bis nach China sowie über die Küstenländer des Mittelmeers
zerstreut sind. Gegen 5000 leben in Afrika, ebenso viele in Ostindien, wohin sie, um dem pers. Drucke zu entgehen, aus Persien und hauptsächlich aus
Dschulfa geflüchtet sind. In Persien und den benachbarten Gebieten Asiens mögen etwa 100000 leben. In Rußland, wo sie namentlich seit Peter I. Schutz
fanden und Gemeinden in Petersburg, Moskau und Südrußland bilden, sich aber besonders zahlreich in der Krim und in Polen niedergelassen haben, wird ihre
Zahl auf 500000 geschätzt. Im österr. Kaiserstaate beläuft sich ihre Zahl auf 16000, wovon die Hälfte auf Siebenbürgen, der Rest fast ganz auf Ungarn und
Galizien kommt. Im übrigen Europa mögen etwa 1000 Armenier zerstreut leben. In London, Amsterdam und Marseille giebt es armenische Handelshäuser, und
berühmt ist die Kongregation armenischer Mechitaristen (s. d.) in Venedig und Wien. In der europ. Türkei, wo sie namentlich in und um
Konstantinopel (200000) wohnen, wird ihre Zahl auf 400000 geschätzt. In A. selbst nehmen einige 2 Mill., andere 4–5 Mill. an, wahrscheinlich aber sind es nur
1 Mill. Die Kopfzahl des ganzen Volks der Armenier mag kaum 2½ Mill. übersteigen.
Geschichte. Die Urgeschichte A.s wird ausführlich, aber in fabelhafter Verkleidung bei Moses von Khorene überliefert, und
unabhängig von Moses, aber aus gleicher Quelle mit ihm, auch bei Sebeos. Sie ist völlig durchzogen und beherrscht von Erzählungen des Alten Testaments.
Daß diese Beeinflussung durch die jüd. Überlieferung noch aus der Zeit vor der Bekehrung A.s zum Christentum
herstammt, geht schon daraus deutlich hervor, daß der Ort Nachitschewan (Naxuana bei Ptolemäus) in der Nähe des Araxes schon von den Armeniern der Zeit
des Josephus als Stelle des ersten Aussteigens Noahs aus der Arche erklärt wurde. Vielleicht sind diese jüd. Elemente schon in assyr. Zeit durch deportierte
Judenkolonien nach A. getragen worden.
Bei den Assyrern und Juden hieß A. Urartu oder Ararat, mit welch letzterm Namen wohl auch der Name der Alarodier bei Herodot zusammenhängt; die Perser
nannten das Land Armina, die Armenier nannten und nennen es Haikh, wie sich selbst, oder Haiastan (d. i. Land der Hai). Als Stammvater gilt ihnen ein Haik
(der Name hängt vielleicht mit der ersten Hälfte von Achämenes zusammen), der als Sohn des Thogarma oder Thorgom in Genesis
10,3 genealogisiert wird. Er soll, um sich der Tyrannei des Königs Belus in Babylon zu entziehen, nach Norden gewandert sein
und A. besiedelt haben. Die einzelnen von ihm und seinen Nachkommen gegründeten Kolonien werden bei Moses von Khorene mit großer topogr.
Umständlichkeit namhaft gemacht, haben aber nur sagengeschichtliches Interesse. Unter Haiks Nachfolgern kommt ein Armenak vor, von dem der Name
«Armenier» abgeleitet wird, dann ein Aram, dann Araj der Schöne, um dessen Besitz Semiramis sich vergeblich bemüht habe; man hat diesen Araj auch schon
im Er, dem Sohn des Armenios, bei Plato wiederfinden wollen. In der Zeit der Blüte des Assyrischen Reichs war A. von diesem abhängig, wurde aber mehrfach
wegen Unbotmäßigkeit schwer gezüchtigt; in den Inschriften der Sargoniden ist es öfters erwähnt. Ebenfalls wenig zuverlässig in ↔ der
Unterwürfigkeit scheint es auch zur Zeit der Meder und der Achämeniden verblieben zu sein. Alles das, was die armenische Überlieferung von der
Unabhängigkeit und der Macht eines Königs Tigranes erzählt, der Zeitgenosse des Astyages gewesen sei, scheint nur sagenhafte Zurückverlegung der Macht
A.s zur Zeit eines andern Tigranes, des bekannten Gegners des Lucullus.
Mit dem Reiche der Achämeniden fiel A. dann Alexander d. Gr. zu, später riß es sich unter einem Artaxias vom Seleucidenreiche los zur Zeit der Niederlagen
Antiochus' III. gegen Rom. Von neuem wurde A. jetzt ein selbständiges Reich und Zufluchtsort für Hannibal, der dem Artaxias die Festung Artaxata baute, die
in der armenischen Geschichte noch spät genannt wird. Zur Zeit der Mithridatischen Kriege wurde sodann A. eine Zeit lang eine Großmacht, indem ein
Nachfolger des Artaxias, Tigranes, zugleich Schwiegersohn des Mithridates Eupator von Pontus, von den Unterthanen der letzten Seleuciden aus Verzweiflung
über die endlosen Thronstreitigkeiten im Seleucidenhause als König berufen wurde und sich des freilich an Ausdehnung inzwischen auch sehr
zurückgegangenen Seleucidenreichs friedlich bemächtigte. Er wurde durch Lucullus und Pompejus wieder aus diesem Reich vertrieben. Einen Sohn dieses
Tigranes, Artavasdes, nahm hernach M. Antonius durch Verrat gefangen. A. verblieb zunächst ein von Rom unabhängiges, aber von Rom gedemütigtes
Königreich und isolierendes Zwischenland zwischen Rom und Parthien, die beide wetteifernd das Protektorat über A. anstrebten. Geltendmachung einer röm.
Oberhoheit über A. lag namentlich in einer mit großem Gepränge vollzogenen Krönung eines parthischen Prinzen Namens Tiridates zum König über A., die
durch Nero in Rom erfolgte, und eine Art von Anerkennung dieser röm. Schutzherrschaft über A. lag von parthischer Seite in der Gestattung der Krönungsfahrt
dieses Tiridates durch seinen Bruder Vologeses, den König der Könige von Parthien.
Von Trajan 114 erobert und zur Provinz gemacht, wurde A. 117 durch Hadrian wieder freigegeben und verblieb unter Königen arsacidischer Abstammung bis
um 232. Da wurde der armenische König Chosroes auf Betreiben des ersten sassanidischen Königs von Persien, Ardaschir, ermordet, und A. fiel zunächst den
Sassaniden anheim. Allein in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh. kam ein auf röm. Gebiet geflüchteter Sohn des Chosroes, Tiridates, mit röm. Hilfe wieder zur
Herrschaft in A. und wurde durch Gregor den Erleuchter zum Christentum bekehrt. Der Bekehrung des Hofs folgte die des Landes, wo bisher ein Polytheismus
mit einzelnen Entlehnungen aus der Religion Zoroasters heimisch gewesen war. Von da an wurde dann das ebenfalls zum Christentum übertretende Römische
Reich für A. zugleich polit. und religiöse Stütze gegen Persien, und die um den Besitz von A. als den Schlüssel zu Kleinasien wie zu Mesopotamien zwischen
dem christl. Rom und den Sassaniden geführten Kämpfe erhielten dadurch noch eine besondere fanatische Verschärfung. 387 wurde schließlich A. zwischen
Byzanz und Persien geteilt, und 428 im nunmehrigen Persarmenien der letzte Arsacidenkönig A.s, Artasches, von Bahram V. entthront und A. fortan durch
pers. Markgrafen, Marzpane, regiert bis zum Ende des Sassanidenreichs 636. In den nun folgenden Kriegen zwischen
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 898.