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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Baden (Großherzogtum; Geschichte)

teilen der kath. Konfession angehört, war der Kirche jede mit dem Gesamtwohle des Staates vereinbarliche freie Bewegung gestattet gewesen. Eine erwünschte Gelegenheit zur Erweiterung ihrer Macht fand in Deutschland die röm. Hierarchie in der Bewegung von 1848. Die Frankfurter Versammlung hatte in die Grundrechte des deutschen Volks die Bestimmung aufgenommen, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten «selbständig ordnen und verwalten» dürften. Diesen allgemeinen Satz über die sog. «freie Kirche im freien Staate» wußten die Führer der Hierarchie alsbald im Interesse ihrer Machterweiterung zu benutzen. Die Oberrheinische Kirchenprovinz, zumal B., schien nach den Ereignissen von 1849 besonders günstig für die klerikalen Angriffe zu sein. In einer Eingabe vom 7. Sept. l849 an die großherzogl. Regierung verlangte der Erzbischof von Freiburg, auf Grundlage der von den deutschen Bischöfen in Würzburg getroffenen Verabredungen, die in der Denkschrift vom 14. Nov. 1848 niedergelegt waren, die Wiederherstellung der altkirchlichen Rechte, namentlich freie Besetzung der kirchlichen Pfründen, freie Verwaltung des kirchlichen Vermögens und anderes. Bald darauf (1850) waren auf Einladung des Erzbischofs die Jesuiten und Liguorianer im Großherzogtum eingetroffen. Die damalige bad. Regierung zeigte sich diesen Vorgängen gegenüber schwach und wenig umsichtig. Als die Regierungen der Oberrheinischen Kirchenprovinz nach gemeinschaftlich zu Karlsruhe gepflogenen Beratungen im März 1853 ziemlich gleichlautende Verordnungen zu Gunsten des kirchlichen Regiments bekannt machten, erließen die Bischöfe eine gleichlautende Antwort an ihre Regierungen, in der sie sich für nicht zufrieden gestellt erklärten, mit dem Beifügen, sie fänden sich nun auf den Standpunkt unausweichlich hingetrieben, wo sie ihr Verhalten nach dem apostolischen Ausspruche zu bestimmen hätten: man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, und sie erklärten, daß sie den künftigen kirchlichen Vorschriften der Regierungen auf das entschiedenste entgegentreten würden.

Mit dieser Verleugnung der früher eidlich übernommenen Verpflichtungen war der Krieg gegen die staatliche Ordnung erklärt. Der Erzbischof von Freiburg, der sich auch weigerte, die Abhaltung von Seelenämtern bei den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Großherzog zu gestatten, versagte nun seine Mitwirkung bei Besetzung der Pfründen in der bisher geübten Weise, indem er viele Stellen ohne weiteres nach seinem Gutdünken besetzte. Zugleich erlaubte er sich, die Mitglieder des kath. Oberkirchenrats in Karlsruhe daran zu erinnern, daß sie als Katholiken in Übereinstimmung mit dem Episkopat, das einzig nur das kanonische Recht zur Richtschnur seines Handelns zu nehmen habe, ihr ferneres Verhalten zu regeln hätten. Als der kath. Oberkirchenrat dagegen Protest erhob und sich auf seinen Diensteid berief, wurde 14. Nov. 1853 über die Mitglieder jener Staatsbehörde und über den Stadtdirektor Burger in Freiburg, der als großherzogl. Specialkommissar das landesherrliche Placet bei den Erlassen der erzbischöfl. Kurie zu wahren beauftragt war, die große Exkommunikation ausgesprochen und feierlich in den Kirchen verkündet.

Die bad. Regierung zeigte gegenüber diesem gesetzlosen Vorgehen große Schwäche. Sie erklärte zwar die gesetzwidrigen Schritte des Erzbischofs für null und nichtig; aber statt die Gesetze gegen die Urheber in Anwendung zu bringen, wandte sie sich mit Geld- und Freiheitsstrafen gegen die Vikare und einzelnen Pfarrer, die sich im Recht glaubten, wenn sie den Forderungen des nicht «suspendierten» Bischofs Gehorsam leisteten. Als der Erzbischof fortfuhr, sich nicht um die Staatsregierung und deren Einsprache zu kümmern, entschloß diese sich endlich, ihn zu verhaften, um ihn vor Gericht zu stellen (22. Mai 1854). Indes wurde der Prozeß auf Andrängen Roms alsbald wieder aufgegeben. Schon vorher hatte man badischerseits die Vermittelung des röm. Stuhls angerufen und eine Gesandtschaft nach Rom abgehen lassen. Dort wurde vor allem Niederschlagung des Prozesses und vollkommene Freiheit für den Erzbischof gefordert. Erst als diesem entsprochen war, kam ein sog. «Interim» zu stande, in welchem die Regierung entschieden den Rückzug antrat. An die Annahme desselben, das 14. Nov. 1854 bekannt gemacht wurde, knüpfte überdies die röm. Kurie die Bedingung weiterer Verhandlungen. Diese zogen sich durch das spröde Verhalten der Kurie mehr und mehr in die Länge, erst 28. Juni 1859 wurde, ohne Zweifel unter dem Druck der ital. Ereignisse, die Konvention (vier Tage nach der Schlacht von Solferino) in Rom abgeschlossen. Die Hierarchie hatte gesiegt.

Die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten, namentlich aber die Unterhandlungen mit Rom, waren bald nach Ausbruch des bad. Kirchenstreites dem Ministerium des Innern abgenommen und dem Auswärtigen Amte übertragen worden, das in den Händen von Männern lag, die zu Österreich hinneigten. Als der Landtag gegen Ende 1859 wieder zusammentrat, enthielt die Thronrede bezüglich des abgeschlossenen Vertrags, durch den die Leitung der Kirche dem Erzbischof überlassen war, die kurzen Worte: «Die mit dem päpstl. Stuhle gepflogenen Verhandlungen, worüber den Ständen die Aktenstücke vorgelegt werden sollen, sind zudem gewünschten Abschlusse gelangt.» Eine entgegengesetzte Überzeugung über den Wert des Konkordats hatte indes in allen Kreisen des bad. Volks platzgegriffen und gab sich in Versammlungen, Flugschriften und Petitionen in unzweideutiger Weise kund. Der moralische Druck der öffentlichen Meinung auf die bisher in der Mehrheit sehr gefügige Zweite Kammer wurde allmählich so stark, daß die Kammer sich über die Aktenstücke durch eine Specialkommission Bericht erstatten ließ. Eine Folge dieses Berichts war der Antrag, «daß die Konvention nicht in Wirksamkeit zu treten habe». Nach zweitägigen lebhaften Debatten schloß sich die Zweite Kammer 30. März 1860 mit großer Mehrheit dem gestellten Antrage an und verlangte die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten durch die Gesetzgebung. Dieser im ganzen Lande freudig begrüßte Beschluß hatte 2. April den Sturz des Ministeriums Stengel und einen Wechsel des bisherigen Regierungssystems zur Folge. Zwei der hervorragendsten Mitglieder der liberalen Opposition, Lamey und Stabel, traten in das Ministerium und wurden die Seele desselben. Ein landesherrlicher Erlaß vom 7. April 1860 machte die Grundsätze der neuen Verwaltung bekannt, die ein zeitgemäßes Fortschreiten auf dem Boden der Verfassung verhießen.

4) Unter Friedrich 1800-70. Das liberale Ministerium, in das später (Mai 1861) Freiherr von Roggenbach als Minister des Auswärtigen eintrat, wußte seitdem durch eine Reihe von Ge-^[folgende Seite]