Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

580

Bayern (neuere Geschichte 1871-86)

Freiherr von Ow zum Präsidenten gewählt. Gleich bei der Beratung der Adresse an den König fielen so heftige Reden und Angriffe, daß das Ministerium nach Annahme des Entwurfs durch die Mehrheit der Kammer sich veranlaßt sah, insgesamt ein Entlassungsgesuch einzureichen. Ludwig Ⅱ. aber verweigerte die Annahme der Kammeradresse, sprach dem Ministerium in einem Handschreiben sein Vertrauen und seine Zufriedenheit aus und ordnete 21. Okt. die Vertagung der Kammer an. Am 23. Febr. 1876 trat der Landtag wieder zusammen. Als die Ultramontanen es durchsetzten, daß eine Reihe von freisinnigen Wahlen für ungültig erklärt wurde, wurden alle liberalen Abgeordneten mit großer Majorität wiedergewählt. Bei den Reichstagswahlen vom 10. Jan. 1877 errangen die Klerikalen 31, die Liberalen 17 Sitze. Vom 2. bis 14. Juli fand eine Sitzung des Landtags statt, der dann am 28. Sept. wieder eröffnet wurde. Der liberale Antrag auf Aufhebung der außerdeutschen Gesandtschaften wurde von den Klerikalen wieder abgelehnt. An die Stelle des von den Ultramontanen fortwährend gehemmten Finanzministers von Berr trat am 26. Nov. Ministerialdirektor von Riedel. Am 31. Jan. 1878 wurde der Gesetzentwurf über Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofs genehmigt. Am 21. Febr. wurde der Landtag vertagt.

Nachdem Pius Ⅸ. gestorben und der Nuntius Bianchi durch von Masella ersetzt worden war, kam es 1878 zur Wiederbesetzung der erledigten Bistümer: Dr. Stein wurde Bischof von Würzburg, Domprediger Ehrler Bischof von Speyer, Dompropst Dr. Steichele in Augsburg Erzbischof von München-Freising. Leo ⅩⅢ. bestätigte die Ernennung derselben. Bei der Reichstagswahl vom 30. Juli 1878 wurden 31 Klerikale und 17 Liberale gewählt. München-Stadt ging den Liberalen verloren. Auch bei den Gemeinderatswahlen zeigte sich das Anwachsen der klerikalen Macht. Zum 1. Okt. 1879 wurden die Reichsjustizgesetze in B. eingeführt. Im Juli 1879 wurde der Landtag wieder eröffnet und zur Minderung des Deficits von 25 Mill. die Erhöhung der Malzsteuer von 5 auf 6 M. pro Hektoliter bis 1. Jan. 1882 beschlossen.

Die am 20. Juli 1879 eröffnete Internationale Kunstausstellung in München zeigte, daß man dem innern Leben und den idealen Gütern wieder größere Aufmerksamkeit zuwendete. 1880 tagte der Landtag vom 7. Jan. bis 21. Febr. und vom 13. Juli bis 2. Aug. Der Etat beherrschte die Verhandlungen. Am 4. März 1880 trat an die Stelle des kränklichen Ministers von Pfretzschner Freiherr von Crailsheim, den Vorsitz im Staatsministerium übernahm Kultusminister von Lutz. Am 24.und 25.Aug. wurde das Fest zur Feier der 700jährigen Regierung der Wittelsbacher begangen.

Der am 20. Jan. 1881 wieder eröffnete Landtag genehmigte die Gesetze über Einkommensteuer, über Grund- und Haussteuer und über Gewerbesteuer. Parallel mit der Agitation des Centrums im Reiche auf Wiedereroberung der Schule für die Kirche wurde trotz des Widerspruchs des Ministers von Lutz der Antrag auf Beseitigung des siebenten Schuljahrs am 6. April in der Kammer angenommen. Schon am 8. März war ein neues Wahlgesetz zu stande gekommen, das die geheime Abstimmung einführte, das Verhältnis von einem Abgeordneten auf 31500 Seelen festsetzte, das indirekte Wahlsystem beibehielt und die Zahl der Wahlkreise von 47 auf 63 erhöhte. Bei den Neuwahlen vom 21. Juli erhielten die Klerikalen 87 (auch München-Stadt), die Konservativen 3, die Liberalen 69 Sitze. Am 24. Juni war an Pfeufers Stelle der Regierungspräsident von Oberbayern, Freiherr von Feilitzsch, als Minister des Innern getreten. Am 8. Mai starb Freiherr von Stauffenberg, der Präsident des Reichsrats, und an seine Stelle erhob der König den Freiherrn von Franckenstein, einen Führer des Centrums. Der Landtag wurde am 28. Sept. eröffnet. Freiherr von Ow blieb Präsident der Zweiten Kammer. Die klerikale Kammermehrheit fand in der Reichsratskammer ein Gegengewicht. Hier wurden die dort angenommenen Anträge auf Aufhebung der Simultanschulen und der obligatorischen Civilehe sowie der Antrag Schels gegen Einführung des Tabaksmonopols im Dez. 1881, Jan., März, April 1882 abgelehnt. Auch lehnte der Reichsrat den wieder eingebrachten Antrag auf Aufhebung des siebenten Schuljahrs und den die Tegernseer Erklärung betreffenden am 18. April ab. (Durch die Tegernseer Erklärung vom 15. Sept. 1821 wurde die Geltung des Konkordats als Staatsgesetz, wie schon im Religionsedikt, anerkannt und den Behörden aufgetragen, sich nach den Bestimmungen desselben zu richten.) Am 29. April schloß Prinz Luitpold den Landtag.

Die klerikale Mehrheit des Münchener Magistrats richtete ihren Angriff gegen die Altkatholiken und die Simultanschulen. Erstern wurde die seit 1871 eingeräumte Nikolaikirche am 30. Juni 1882 entzogen. Mit Einwilligung des Kultusministers wurden zwei der noch bestehenden vier Simultanschulen in kath. Schulen verwandelt. Am 4. April 1883 trat der Landtag wieder zusammen. In den Finanzen zeigte sich statt des frühern Deficits ein Überschuß von 4 Mill. M. Die Budgetverhandlungen beschäftigten fast ausschließlich den Landtag. König Ludwig erwies seine Zustimmung zu der Politik des Ministers Lutz durch Erhebung desselben in den erblichen Freiherrenstand 28. Dez. 1883.

Die reaktionäre Strömung zeigte sich im Landtage offen in dem Antrag Keßlers auf Revision der Gesetze über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, in dem Antrag Rittlers betreffs Errichtung einer kath. Geschichtsprofessur, in dem weitern Antrag, den Geschichtsunterricht an Gymnasien nach Konfessionen zu trennen; jene beiden wurden im Reichsrat genehmigt, der letztere abgelehnt. Die Erhöhung des Malzaufschlags wurde auch für diese Finanzperiode bewilligt, die Reorganisation des bayr. Forstwesens genehmigt, ebenso das Finanzgesetz, welches die Einnahmen und Ausgaben auf 234462573 M. feststellte. Am 8. April 1884 wurde der Landtag geschlossen. Die Reichstagswahl vom 28. Okt. gab den Klerikalen 34, den Nationalliberalen 9, den Deutschfreisinnigen 3, den Socialdemokraten 2 Sitze. Am 10. April 1885 trat Kriegsminister von Maillinger zurück und wurde durch Generallieutenant von Heinleth ersetzt.

Im J. 1886 wurde wenige Tage nach dem Schlusse des Landtags (26. Mai) das Land durch das tragische Ende König Ludwigs Ⅱ. in furchtbare Aufregung versetzt. Der Wahnsinn hatte diesen reich veranlagten Geist umnachtet, und das Mitgefühl sprach sich in allen Ländern der Welt in rückhaltloser Weise aus. Die Kabinettskasse war mit einer Schuld von 13½ Mill. M. belastet. Die Agnaten des königl. Hauses und verschiedene auswärtige Fürsten weigerten sich, aus ihrem Vermögen Hilfe