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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Belgien (Geschichte 1830-65)

treibenden Belgiern, deren parlamentarische Sprache das von den gebildeten Klassen gesprochene Französisch war, machte eine dauerhafte Vereinigung beider Lande fast unmöglich. (Ausführlicheres über diese Zeit s. Niederlande.) Die Regierung hatte sowohl eine liberale wie eine ultramontane Opposition zu bekämpfen. Als diese 1828 sich vereinigten, wurde die Lage äußerst schwierig. Gewaltig wuchs die Agitation im Lande; die Opposition in der Zweiten Kammer erreichte fast die Mehrheit der Stimmen. Als einer der Hauptagitatoren, de Potter, wegen eines Artikels in dem Oppositionsblatte "Courrier des Pays-Bas", 19. Dez. 1828, zu einer 18monaligen Gefangenschaft verurteilt wurde, kam es in Brüssel zu einer aufrührerischen Bewegung; dem Minister van Maanen wurden die Fenster seines Hauses eingeworfen. Anfang 1829 wurde als Agitationsmittel eine gewaltige Adressebewegung an die Generalstaaten veranstaltet. Das 10jährige Budget wurde Mai 1829 von der Zweiten Kammer verworfen. Endlich glaubte die Regierung kräftiger einschreiten zu müssen. Eine königl. Botschaft wurde in der Kammer verlesen, 11. Dez. 1829, worin der König in strengem Tone für seine königl. Rechte eintrat und das Volk gegen seine Verführer zu beschützen versprach; die Botschaft begleitete ein strenger Preßgesetzentwurf. Wirklich wurde die Opposition einigermaßen eingeschüchtert. Die Budgets gingen durch, das jährliche für 1830 freilich nur mit der Mehrheit einer Stimme. Darauf wurden alle Abgeordneten, welche Staatsämter bekleideten, soweit sie gegen die Regierung gestimmt hatten, ihrer Ämter entsetzt, ebenso auch andere Beamte, auf deren Treue man sich nicht verlassen zu können meinte. Als de Potter, Fielemans und Barthels einen großen nationalen Verein zu Oppositionszwecken zu gründen beabsichtigten, wurden sie vor Gericht gestellt und wegen Verschwörung gegen das Wohl des Staates des Landes verwiesen, 30. April 1830. Später folgte die Veröffentlichung ihrer vom Gericht mit Beschlag belegten, für sie höchst kompromittierenden Briefe. Im Mai 1830 wurde das neue Preßgesetz angenommen. Ein zweiter Petitionssturm richtete nichts aus. Bereits seit 1829 hatte aber die Regierung bedeutende Konzessionen gemacht. Der obligatorische Besuch des staatlichen Seminars für künftige Geistliche, Collegium philosophicum zu Löwen, ward aufgehoben, die verhaßte Mahlsteuer und Verordnungen gegen den Gebrauch der franz. Sprache abgeschafft. Doch blieb eine tiefe Mißstimmung überall herrschend. Besonderes Ärgernis erregte es, daß die Regierung ihre Sache in ihren Blättern durch höchst unwürdige Personen, wie Libry-Bagnano, verteidigen ließ.

2) Geschichte seit 1830 bis zum Tode Leopolds I. 1805. Bei dieser Lage der Dinge brach die Julirevolution in Frankreich aus. Zahlreiche Emissäre fanden sich aus Paris in Brüssel ein, welche auf eine revolutionäre Bewegung hinwirkten. Am 24. Aug. 1830 sollte der Geburtstag des Königs durch Illumination und Feuerwerk gefeiert werden, aber beides unterblieb. Die Aufführung der Oper "Die Stumme von Portici" gab 25. Aug. den nächsten Anlaß zu einer ernstlichern Bewegung. Starke Volkshaufen zertrümmerten die Druckerei des ministeriellen Journals "National", zerstörten und verbrannten oder verwüsteten die Häuser des verhaßten Journalisten Libry-Bagnano, den Justizpalast, das Haus des Justizministers van Maanen und das des Polizeidirektors. Nach mehrern Tagen der Unordnung wurde die inzwischen organisierte Bürgergarde Meister des Aufstandes, nachdem die königl. Wappen abgerissen und die brabant. Fahnen aufgepflanzt worden waren. Ähnliche Auftritte, in deren Folge sich überall die Bürger bewaffneten und Sicherheitskommissionen errichteten, fanden in Lüttich, Verviers, Brügge, Löwen und andern größern belg. Orten statt. Aus Brüssel ging eine Deputation von Notabeln nach dem Haag ab, welche als "treue Unterthanen" beim König auf die Entlassung des Ministers van Maanen und Zusammenrufung der Generalstaaten antragen sollte. In betreff des erstern wollte der König keine Zusage machen, zu dem zweiten hatte er bereits selbst den Entschluß gefaßt. Inzwischen hatten sich die Söhne des Königs mit 5-6000 Mann Truppen nach Vilvorde (2 Stunden von Brüssel) begeben, wo sie ihr Hauptquartier aufschlugen. Auf die Bitte einer Deputation von Notabeln erschien der persönlich sehr beliebte Prinz von Oranien, nur von einigen Offizieren begleitet, in der aufrührerischen Stadt mitten unter den Barrikaden; einen Augenblick ward der zusammendrängende Pöbel ihm gefährlich; er wußte aber nach seinem Palast durchzubrechen, wo er sich mit mehrern Notabeln beriet. Der allgemeine Wunsch ging damals in B. nur auf eine administrative Trennung beider Lande und dieser wurde von den Notabeln dem Prinzen vorgetragen. Auch der König war dafür gestimmt und brachte die Sache vor die 13. Sept. versammelten Generalstaaten, welche 29. Sept. sich in demselben Sinne aussprachen. Ungeachtet der Vorstellungen des zu großer Nachgiebigkeit geneigten Prinzen von Oranien entschloß sich der König, zur Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung militärisch einschreiten zu lassen. In Brüssel herrschte große Gärung; die Bürgerwehr ward 20. Sept. so gut wie aufgelöst; der Herrschaft des Pöbels stand nichts mehr im Wege. Einige Bürger Brüssels luden den Prinzen Friedrich, der zwischen Mecheln und Vilvorde eine größere Truppenmacht zusammengezogen hatte, zu der als leicht ausführbar geschilderten Besetzung der Stadt ein. Darauf erließ, 21. Sept., Prinz Friedrich eine Proklamation, in der er ankündigte, daß er auf Verlangen der bessern Bürger seine Truppen in die Stadt führe, nicht als Feinde, sondern als Freunde und Mitbürger zur Aufrechthaltung der Ordnung; auch versprach er Begnadigung mit Ausnahme der Urheber der allzu verbrecherischen Handlungen. Am 23. Sept. erfolgte der Angriff mit etwa 10 000 Mann und 26 Geschützen. Der Prinz drang in die Stadt ein, stieß aber auf großen Widerstand. Den Insurgenten in Brüssel, mit denen sich eine Schar Lütticher unter der Anführung des spätern Ministerpräsidenten Rogier vereinigt hatte und die an dem span. Flüchtlinge Juan van Halen und dem franz. General Mellinet tüchtige Führer gefunden hatten, kam aus der Nachbarschaft während des Gefechts immer mehr Hilfe zu, so daß nach viertägigem Kampfe der Prinz genötigt war, sich mit sehr starkem Verluste nach Mecheln zurückzuziehen. Nach diesem Siege, der gegen 600 belg. Freiwilligen das Leben gekostet hatte, breitete sich der Aufstand rasch über ganz B. aus. Am 24. Sept. hatte sich eine zunächst aus Rogier, d'Hooghvorst, Kommandanten der Bürgergarde, Jolly, ehemaligem Genieoffizier, und den Sekretären Vanderlinden und de Coppin bestehende provisorische Regierung im Brüsseler Rathaus ge-^[folgende Seite]