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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bern (Kanton und Stadt in der Schweiz)

Halbinsel links an der Aare, an den Linien Basel-Olten-B.-Thun (138 km) der Schweiz. Centralbahn, Chaux-de-Fonds-Biel-B. (77 km), B.-Genf (157 km) und B.-Luzern (95 km) der Jura-Simplonbahn und hat (1888) mit ihrer ausgedehnten Gemarkung 47151 E., darunter 42504 Evangelische, 3931 Katholiken, 358 Israeliten und 358 andere.

^[Abb: Wappen von Bern]

Anlage, Brücken. B. ist die bestgebaute Stadt der Schweiz; die Straßen und Plätze sind breit, regelmäßig von O. nach W. und von N. nach S. angelegt und werden in zahlreichen Kanälen vom Stadtbach durchflossen. Die burgartige Lage auf dem von der Aare umspülten, 30-40 m hohen Felsplateau und die massive Bauart der Häuser, die meist aus Sandstein erbaut und mit Arkaden (Lauben) an der Straßenseite versehen sind, verleihen der Stadt ein ernstes Aussehen. Auf drei Seiten von der Aare eingeschlossen, hat sich die Stadt, seitdem ihr Schanzengürtel teils abgetragen, teils in Promenaden umgewandelt worden ist, hauptsächlich am westl. Ende ausgedehnt, wo 5 Vorstädte fächerförmig von der Altstadt auslaufen. Charakteristisch ist die große Zahl laufender Brunnen, meist aus dem 16. Jahrh., mit allerlei Standbildern (Simson, Gerechtigkeit, Anna Seiler, Schütze, Kindlifresser, Dudelsackpfeifer u. s. w.). Über die Aare führen 6 Brücken: eine Eisenbahngitterbrücke und eine Kettenbrücke (Altenbergbrücke) im N., eine Gitterbrücke (Dalmazibrücke) im SW. und die Nydeckbrücken im O. der Stadt. Die untere wurde 1461, die obere, die 3 Bogen enthält, deren mittelster 30 m hoch und 50 m weit ist, 1841-44 erbaut; am östl. Ende der letztern liegt als Wahrzeichen von B., der Bärengraben, in dem von alters her das Wappentier der Stadt und des Kantons gehegt wird. Die eiserne Kirchenfeldbrücke (229 m lang, 13 m breit, 34 m hoch) im S., 1882-83 für 1½ Mill. Frs. erbaut, führt in 2 Bogen von je 87 m Spannung zum Helvetiaplatz nach dem neuen Stadtteil Kirchenfeld (s. Tafel: Eisenbrücken I, Fig. 2). Der Bau einer neuen Brücke (Kornhausbrücke) im N. der Stadt ist 1895 begonnen worden. Von mittelalterlichen Bauten hat B. infolge des großen Brandes von 1405 wenig aufzuweisen; die meisten Gebäude der Altstadt gehören dem 17. und 18. Jahrh. an.

Bauwerke, Denkmäler. Obenan steht das 1421-1598 erbaute, 1850 wiederhergestellte Münster, ein spätgot. Bau (85 m lang, 34 m breit, 23 m hoch) mit einem um das Dach laufenden durchbrochenen Steingeländer, wertvollen Glasmalereien (15. und 16. Jahrh.), Chorstühlen von 1522, Wappentafel Bertholds von Zähringen, 1600 von der Stadt gestiftet, und berühmter Orgel. Der unvollendete Turm (71 m) wurde 1894 nach Plänen des Ulmer Dombaumeisters Beyer ausgebaut. Die Münsterterrasse (in 536 m Höhe, Plattform, ehemals Kirchhof, 86 m lang, 67 m breit), auf 30 m hohen Stützmauern ruhend, mit Baumreihen bepflanzt und mit dem ehernen Standbild des Gründers der Stadt, Berthold V. von Zähringen (nach Tscharners Entwurf), geschmückt, dient jetzt als Promenade. Vor dem reichen Westportal (Skulpturen, das Jüngste Gericht darstellend) der Kirche das Reiterstandbild des Siegers von Laupen (1339), Rudolf von Erlach. Das kantonale Rathaus, 1406 erbaut, 1868 erneuert, hat eine got. Treppe und als Fries die Wappen der bernischen Ämter, der Zeitglockenturm (15. Jahrh.) ein künstliches Uhrwerk (1527). Aus dem 18. Jahrh. stammen die 1726-29 erbaute Heiliggeistkirche, das palastähnliche Bürgerspital, das Inselspital, die Münze, das Kornhaus mit Gewerbemuseum, großen Kellern und Lagerfässern, das Theater, die Stadtbibliothek (75000 Bände, wertvolle Inkunabeln, 1500 Handschriften) mit einer histor. und ethnogr. Sammlung, das Regierungsgebäude (Stift) und der Erlacherhof, jetzt Sitz der städtischen Behörden. Von den neuern Gebäuden sind zu erwähnen das alte Bundesrathaus, ein Sandsteinbau im florentin. Palaststil (122 m lang, 50 m tief), 1852-57 nach Plänen von Stadler und Studer erbaut, das Naturhistorische Museum und das Kunstmuseum, zwei reiche Renaissancebauten, jenes 1881, dieses 1879 vollendet, das Gesellschaftsmuseum, die Gebäude der Kantonal- und der Eidgenössischen Bank, das Verwaltungsgebäude der Jurabahn, die Entbindungsanstalt und zahlreiche andere Universitätsgebäude, die roman.-gotische (seit 1873) altkath. Kirche, 1858-64 nach Plänen von Deperthes (Reims) erbaut, das neue Bundesrathaus, 1888-92 von Auer erbaut, und das neue Bernische historische Museum im Stadtteil Kirchenfeld, nach Lamberts Plänen erbaut. Auf dem Beundenfeld im N. der Stadt erheben sich die neuen Militäranstalten des Kantons (1874-78 erbaut für 4½ Mill. Frs., Zeughaus, Verwaltungsgebäude, Reitbahnen, Kaserne), 3 km nordöstlich von B. die Irrenanstalt Waldau. Jahrhundertelang Residenz einer mächtigen Aristokratie, ist B. jetzt Sitz der Bundes- und Kantonsbehörden und der fremden Gesandtschaften.

Bildungs- und Vereinswesen. Obenan steht die 1834 reorganisierte Universität (1895: 630 Studierende, davon 82 weibliche) mit evang. und altkatholischer theol. Fakultät, Tierarzneischule, tellurischem Observatorium und botan. Garten. Das städtische Gymnasium, bestehend aus Progymnasium (4 Jahrgänge mit je 2-3 Parallelklassen), Litteraturschule (4½ Jahrgänge), Realschule (4½ Jahrgänge) und Handelsschule (4 Jahrgänge), das Freie Gymnasium mit Elementarschule (3 Obergymnasialklassen, 6 Progymnasialklassen und Realabteilung, 4 Elementarklassen), 2 Knabensekundärschulen, eine höhere Mädchenschule mit Seminar- und Handelsklassen, neue Mädchenschule (Schupplischule), eine Handwerker-, eine Kunst- und eine Musikschule. An Bibliotheken bestehen die Eidgenössische Centralbibliothek (20000 Bde.), ferner die Stadtbibliothek (80000 Bde.), die Bibliothek der Lesegesellschaft (45000 Bde.) und die Universitätsbibliothek. Unter den wissenschaftlichen Vereinen sind hervorzuheben die Naturforschende, die Historische, die Geographische und die Ökonomische Gesellschaft. Die Pflege der Musik und des Gesanges (Berner Liedertafel) nehmen in B. eine bedeutende Stellung ein.

Wohlthätigkeitsanstalten. Unter den zahlreichen Anstalten sind außer den erwähnten zu nennen die bürgerlichen Waisenhäuser, das Frauen- und das Kinderspital, das Gemeindespital, nach seinem Stifter gewöhnlich Zieglerspital genannt, das Greisenasyl, die Blindenanstalt in Schloß Könitz bei B., das Spital für Augenkranke und die Diakonissenanstalt. B. steht in Bezug auf die Bestrebungen zur Erbauung von Arbeiterwohnungen, Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und Arbeitsnachweis obenan; auch ist es der Hauptsitz der Thätigkeit des Blauen Kreuzes.