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Börse
freigegeben. Nach dem franz. Handelsgesetzbuch darf ein in Konkurs Geratener nur nach völliger Begleichung seiner Schuld die B. wieder besuchen; in Deutschland und Österreich hat er nur das Ende des Konkurses oder die Erzielung einer Einigung abzuwarten, abgesehen von dem Falle einer Bestrafung. (S. auch Börsenenquete.)
Auch die Stellung der besondern Vermittler der Börsengeschäfte ist sehr verschiedenartig geregelt. In Deutschland haben die Makler (s. d.) eigentlich nur die Aufgabe, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen oder als Agenten ihrer Auftraggeber (nicht als Kommissionäre) für dieselben Geschäfte abzuschließen, ohne selbst irgendwie zu haften oder Bürgschaft zu leisten. Die vereidigten Makler haben zwar eine "Bestallung" (s. d.), jedoch keineswegs ein ausschließliches Privilegium zur Geschäftsvermittelung. Wohl aber besitzen ein solches in Frankreich die Börsenagenten (agents de change) für den Wertpapierhandel (die Warencourtage, s. d., ist seit 1866 freigegeben). In Paris ist die Zahl dieser Agenten unabänderlich auf 60 festgestellt. Sie stehen unter der Disciplinargewalt eines aus ihrer Mitte hervorgegangenen Syndikats und haben eine Kaution von 250 000 Frs. zu leisten. Die Stellen sind verkäuflich, d. h. der Inhaber hat das Recht, seinen Nachfolger zu empfehlen. Bei der hohen Einträglichkeit derselben infolge der außerordentlichen Zunahme des Börsenverkehrs ist ihr Preis bereits bis auf 2 Mill. Frs. gestiegen, sodaß gewöhnlich mehrere Personen eine Gesellschaft bilden, um eine Stelle übernehmen zu können; als deren gesetzlicher Inhaber gilt jedoch nur ein Einziger. Die Gesamtheit der Börsenagenten bildet das Parquet, ein Ausdruck, der eigentlich den ihnen vorbehaltenen Raum in der B. bezeichnet, die sog. corbeille (in Wien der Schranken). Die offiziellen Agenten sind indes längst nicht mehr im stande, die ungeheure Masse der Geschäfte zu bewältigen. Sie dulden daher neben sich eine große Anzahl von nichtangestellten Vermittlern, die sog. Coulisse (s. d.), der sie namentlich die Wechselgeschäfte und den größten Teil der Bargeschäfte in Aktien und Gesellschaftsobligationen überlassen haben und mit der sie auch selbst gewisse Geschäftsverbindungen unterhalten. Die Coulisse vermittelt übrigens auch alle möglichen andern Geschäfte, zumal solche, deren Formen bei dem Parquet nicht zulässig sind; nur in Bezug auf die franz. Renten, der Hauptdomäne des Parquets, legt sich die Coulisse gewisse Beschränkungen auf. Die mittelbaren Vermittler, welche Bestellungen für die Börsenagenten oder Coulissenhäuser sammeln, nennt man Remisiers. Die franz. Börsenagenten sollen eigentlich, wie die deutschen Makler, bloße Vermittler sein; thatsächlich aber werden sie den Parteien persönlich haftbar, weil nach dem Gesetze vorausgesetzt wird, daß sie die zu liefernden Papiere oder das zu bezahlende Geld in Händen haben. In England bilden die Börsenmakler selbständige Körperschaften und sind den frühern Beschränkungen, wie der Eidesleistung, dem Aufsichtsrecht des Mayors und der Kautionsstellung nicht mehr unterworfen. Von besonderm Interesse ist die Einrichtung der Londoner Fondsbörse. Dieselbe setzt sich ausschließlich zusammen aus Maklern (brokers) und Händlern (jobbers oder dealers). Die erstern erhalten die Aufträge des Publikums, die letztern, von denen jeder sich auf einen besondern Geschäftszweig (market genannt) verlegt, machen nur Geschäfte mit den Maklern und kaufen oder verkaufen jederzeit auf eigene Rechnung, was gewünscht wird, indem sie ihren Gewinn in einer Differenz des Kauf- und Verkaufspreises finden. Sie bilden also ein neues Zwischenglied, dessen Vorhandensein dem Publikum den Vorteil bringt, daß jeder Auftrag sofort ausgeführt werden kann.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der B. liegt darin, daß sie die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage mit möglichst geringem Aufwande von Mühe und Kosten zu stande bringt. Sie setzt eine große Anzahl von Käufern und Verkäufern voraus und ist natürlich nicht im stande, den Handel an einem noch unbelebten Platze erst zu schaffen. Mit dem wachsenden Zudrange von Angebot und Nachfrage wächst zunächst die Möglichkeit, jedes, auch das bedeutendste Geschäft rasch zu erledigen; doch entstehen dadurch andererseits auch Schwierigkeiten bei der Ausführung, und diese zu heben ist Sache einer gesunden Organisation der B., namentlich durch eine immer weiter gehende Arbeitsteilung des Vermittlerdienstes, deren höchsten Grad gegenwärtig das eben erwähnte Londoner Beispiel darstellt. Die Leistungsfähigkeit der B. als Markt wird nicht allein durch das Bar- oder Kassengeschäft (au comptant) bedingt, bei dem es sich in der Regel um eine endgültige Erwerbung von Papieren oder Waren handelt, sondern auch die bloße Spekulation, die nur kauft, um möglichst bald mit Gewinn wieder zu verkaufen, trägt wesentlich mit dazu bei, die Grundlagen des Marktes zu erweitern. Dadurch erhalten auch die Zeit- und Lieferungsgeschäfte (s. Zeitgeschäfte) eine gewisse volkswirtschaftliche Berechtigung. Dieselben arten allerdings leicht zu einem bloßen Spiel aus. Eine wichtige Aufgabe der Börsenmakler oder besonderer Kommissare ist auch die amtliche Feststellung der Kurse (s. d.) oder Börsenpreise, die bei Rechtsstreitigkeiten in Frage kommen können. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Cassakursen für sofort lieferbare Waren und zwischen Ultimo-, zuweilen auch Mediokursen, für Werte, welche auf Zeit gehandelt werden, von besonderer Wichtigkeit, weil die Feststellung der beiden Kursarten, namentlich an den Effektenbörsen, nach verschiedenen Grundsätzen erfolgt. Die Abwicklung der Zeitgeschäfte (gewöhnlich ultimo) nennt man Liquidation (in Wien Arrangement). Sie erfolgt nach einem kurz vorher festgestellten Liquidationskurs, zu welchem der erste Verkäufer an den letzten Käufer zu liefern hat, während alle dazwischen liegenden Kauf- und Verkaufsgeschäfte lediglich durch Zahlung der Differenz ausgeglichen werden. Diese Abwicklung wird in der Regel von den zu diesem Zwecke an den B. errichteten Liquidationsbureaus oder Liquidationskassen (s. d., in Wien Arrangementsbureau) übernommen.
Litteratur s. Aktie und Aktiengesellschaft; vgl. ferner: Proudhon, Manuel du spéculateur à la bourse (5. Aufl., Par. 1857; deutsch, Hannov. 1857); Cohn, Die B. und die Spekulation (Berl. 1868); Kautsch, Allgemeines Börsenbuch (Stuttg. 1874); Struck, Die Effektenbörse. Eine Vergleichung deutscher und engl. Zustände (Lpz. 1881); Kalisch, Die B. und das Börsengeschäft (7. Aufl., Berl. 1892); Siegfried, Die B. und Börsengeschäfte (Salings "Börsenpapiere", 1. Tl., 6. Aufl., ebd. 1892); Marinitsch, La Bourse théoretique et pratique (Par.1892).