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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Buddha und Buddhismus

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Buddha und Buddhismus'

Hintergrund getreten. Das gelobte Land des Buddhismus ist Tibet. Hier allein hat sich auch ein Oberhaupt aufgeworfen, wie der Katholicismus es im Papste besitzt. Die Geschichte des Buddhismus in Tibet ist wesentlich eine Geschichte der Entwicklung der Hierarchie. Er kam nach Tibet in völlig entwickelter, und zwar in seiner spätesten Gestalt, und die Lehre selbst hat dort wesentliche Veränderungen nicht erfahren, wohl aber der Kultus. Eingeführt wurde er in Tibet durch Schrong tsan gan po (tibetan. Shrong bTsan sGan po), einen gewaltigen und klugen Fürsten, der 629 n.Chr. zur Regierung kam, und besonders gefördert durch dessen Hauptgemahlinnen, die später heilig gesprochen wurden. Unter seinem fünften oder sechsten Nachfolger wurden die heiligen Schriften ins Tibetanische übersetzt; sie führen den Namen Kandschur (tibetan. bKā' gyur, d.h. «Übersetzung der Worte», nämlich des Buddha) und umfassen 104 Folianten mit 1083 Werken. Dazu kommt noch eine viel umfangreichere, aber nicht kanonische Sammlung in 225 Folianten, der Tandschur (tibetan. bsTan 'gyur, «Übersetzung der Lehre»), die die Kommentare zu den heiligen Schriften, aber auch eine große Anzahl von Übersetzungen profaner Sanskritwerke enthält. Der eigentliche Gründer der buddhistischen Hierarchie ist Ral pa tschan oder Thi de schrong tsan (tibetan. Khri l De Shrong bTsan), der das Volk zu Gunsten der Priester hart bedrückte und auf Veranlassung seines von ihm mit Hilfe der Priester verdrängten ältern Bruders gLang dar ma ermordet wurde. gLang begann eine wütende Verfolgung des Buddhismus und soll ihn im mittlern Tibet ganz ausgerottet haben. Er wurde von einem Priester ermordet; aber erst nach fast einem Jahrhundert, im 10. und 11. Jahrh., kam der Buddhismus wieder zur vollen Blüte und die Äbte des Klosters Schatja (tibetan. Sha sKya) schwangen sich zu Herrschern über Tibet auf und durch den mongol. Kaiser Chubilai, der zum Buddhismus übertrat, wurde um 1260 das tibetan. Papsttum bestätigt. Das Gepräge, das sie noch heute zeigt, erhielt die tibetan. Hierarchie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. durch bTsong kha pa, der in Tibet und der Mongolei fast ebenso hoch verehrt wird wie Buddha. Er gründete die Sekte der «Gelbmützen», die der der «Rotmützen» feindlich gegenüber steht, führte den Cölibat wieder ein, beschränkte die Magie und ging in einer Anzahl einschneidender Reformen auf die alte Lehre des Buddhismus zurück. Von seiner Zeit an giebt es in Tibet zwei Päpste, den Dalai Lama, der zu Lhassa residiert und der eigentliche Regent von Tibet, der weltliche Herrscher, ist, und den Pan tschhen Rin pō tschhē, der in Hintertibet residiert und von den Europäern gewöhnlich nach seiner Residenz Tescho Lama genannt wird, das geistliche Oberhaupt, aber wesentlich nur ein Schattenkönig. Keiner dieser Lamas stirbt je nach dem Glauben der Menge, sondern verkörpert sich sofort wieder in einem Nachfolger.

Auch das Mönchswesen und der Kultus sind im nördl. Buddhismus sehr entartet. Der einfache Bettelstab, der im südl. Buddhismus meist durch den Sonnenschirm vertreten wird, woher wohl die Mönche Talapoins heißen, ist in Tibet und der Mongolei in den Händen der Lamen dem röm. Bischofsstabe ähnlich geworden; außerdem tragen sie das Gebetscepter, ein seltsam geformtes, unsern Mörserkeulen ähnliches Instrument, und die Gebetsklingel, mit der die Gesänge und Gebete begleitet werden. ↔ Der Kultus wird mit großem Pompe betrieben. Außer Tempeln hat der Lamaismus noch kleinere Kapellen, oft an der Landstraße oder an Kreuzwegen oder mitten in der Steppe angelegt, dann Gebetstürme bis zu 100 und mehr Fuß, dann die sog. Manis (in Tibet und den Himalajaländern), Mauern oder Steinwände, auf denen die heilige Gebetformel Om maṇi padmē hūm eingegraben ist, die Gebetmaschinen (s. d.), Gebetfahnen, auf Bäumen und Felsen, an Häusern und Türmen angebracht und mit der heiligen Gebetformel versehen. Ferner hat der Lamaismus eine rauschende Kirchenmusik, die Ohrenbeichte, den Bilderdienst, den Rosenkranz, aus 108 Kugeln bestehend, Kerzen, Opferschalen, Weihrauch, Weihwasser; die Priester kleiden sich beim Gottesdienst mit großer Pracht, und die Zahl der Feste ist bedeutend. Der Gottesdienst des Lamaismus gleicht dem katholischen so sehr, daß kath. Missionare ihn für ein Blendwerk des Teufels erklärt haben.

Wer den Buddhismus richtig beurteilen will, darf nicht vergessen, daß dieser nie etwas anderes hat sein wollen als eine ind. Religion und daß das Denken und Lehren seines Stifters ein durchaus indisches ist. Es ist daher verkehrt, Buddhismus und Christentum schlechthin aneinander abzumessen und über den Buddhismus den Stab zu brechen (Spence Hardy, Christianity and Buddhism compared, Colombo 1874). Eine andere Frage ist, ob, wie behauptet worden ist, «ein Einwirken buddhistischer Vorbilder auf die christl. Evangelienlitteratur und auf die sich zunächst anschließenden neutestamentlichen Schriften große Wahrscheinlichkeit für sich hat» (Seydel). Unzweifelhaft finden sich im Leben Buddhas und Christi mancherlei Parallelen, wie die Erzählung von Simeon und Asita Dēvala, die Versuchungsgeschichte u.a. An eine direkte Entlehnung ist aber gewiß nicht zu denken, da die Verschiedenheiten doch außerordentlich groß sind und die wirklichen Ähnlichkeiten sich aus der gleichen Lage und Stimmung beider Religionsstifter ungezwungen ergeben. Die Versuchung z.B. kennen auch noch andere Religionen, wie die des Zoroaster. Ob eine gemeinschaftliche Quelle vorliegt, bleibt zu untersuchen.

Litteratur. Zusammenfassende Werke sind: Fr. Koeppen, Die Religion des Buddha (2 Bde., Berl. 1857–59; in seinem zweiten Bande, der die Lamaische Hierarchie und Kirche schildert, noch heute unerreicht); Rhys Davids, Buddhism (Lond. 1880); Kern, Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien (übersetzt von Jacobi, 2 Bde., Lpz. 1882–84); I. Silbernagl, Der Buddhismus (Münch. 1891, wenig zu empfehlen). Populär ist: Barthélemy de St. Hilaire, Le Bouddha et sa religion (Par. 1860). Über den südl. Buddhismus gab wertvolle Aufschlüsse Hardy, A Manual of Buddhism (Lond. 1860; 2. Aufl. 1880) und Eastern Monachism (ebd. 1860). Grundlegend für die alte Zeit ist Oldenberg, Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde (Berl. 1881; 2. Aufl. 1890); gut auch Edm. Hardy, Der Buddhismus, nach ältern Pāli-Werken dargestellt (Münster 1890). Für Birma ist anzuführen: Bigandet, Vie ou légende de Gaudama (Par. 1878); für Siam: Alabaster, The Wheel of the law (Lond. 1871). Für den nördl. Buddhismus sind zu nennen: Burnouf, Introduction à l'histoire du Buddhisme indien (Par. 1844; später wieder abgedruckt) und als Fort-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 697.