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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Civilprozeß

besonders übernommen hatte. Von England ging der Name C. in das Staatsrecht anderer monarchischen Staaten, selbst nichtkonstitutioneller, über. So wenig der Monarch als ein Beamter im gewöhnlichen, technischen Sinne des Wortes erscheint, ebensowenig kann die C. als eine Besoldung erachtet werden. Da, wo das Hausgut einer Dynastie ganz oder teilweise Staatsgut geworden, ist die C. wenigstens zum Teil auch als eine Folge der fiskalischen Bereicherung des Staates anzusehen, was z. B. im Falle einer Entthronung des regierenden Hauses oder des Aussterbens successionsfähiger Nachkommenschaft in demselben wohl in Anschlag kommen müßte. In Preußen ist das Rechtsverhältnis wesentlich anders geartet. (S. Krondotation.) Der Betrag der C. ist in: Baden 1897698 M., Bayern 4231044 M. permanente C. des Königs, 442857 M. Apanage des Reichsverwesers und 730949 M. übrige Apanagen, Belgien 3300000 Frs. und 200000 Frs. Dotation des Grafen von Flandern, Dänemark 1000000 Kronen und 223240 Kronen Apanagen, Frankreich 600000 Frs. Gehalt und 600000 Frs. Repräsentations- und Reisekosten des Präsidenten der Republik, Griechenland 1325000 Drachmen (C. des Königs und Kronprinzen), Großbritannien 410060 Pfd. St. und 188000 Pfd. St. Apanagen, Hessen 1265500 M., Italien 15050000 Lire (C. und Apanagen), Japan 3214381 Yen (C., Apanagen und Tempel), Niederlande 800000 Fl., Österreich-Ungarn 4650000 Fl. aus dem Finanzetat der im österr. Reichsrat vertretenen Länder und 4650000 Fl. aus dem ungar. Etat, Portugal 526000 Milreïs (C. und Apanagen), Preußen 15719296 M., Rußland 8950000 Rubel, Sachsen 2940000 M., Schweden 1320000 Kronen (Norwegen 483500 Kronen), Spanien 9500000 Pesetas, Württemberg 1799459 M. und 295849 M. Apanagen.

Civilprozeß, bürgerliches Verfahren, ist die gesetzlich geregelte Form der staatlichen Privatrechtspflege. Die Rechtsordnung gestattet dem in seinem Privatrecht (bürgerlichen Recht) Verletzten der Regel nach nicht die Selbsthilfe, verweist ihn vielmehr auf den Schutz des Staates. Der Staat gewährt diesen Schutz durch die bürgerlichen Gerichte und in Gestalt eines geordneten Verfahrens. Welche Gerichte dazu berufen sind, bestimmt die Gerichtsverfassung. Das Verfahren findet seine Regelung im Civilprozeßrecht, welches, sofern es Beziehungen der Einzelnen zur Staatsgewalt ordnet, dem öffentlichen Rechte angehört, und sofern es sich dabei um das Verfahren zum Schutze bürgerlicher (materieller) Rechte handelt, formelles Recht genannt wird. Das Verfahren selbst bildet eine Reihenfolge, einen Fortgang (daher der Name processus) von Handlungen, welche in dem Urteile, als der richterlich-autoritativen Feststellung des schutzbedürftigen Privatrechts, und in der Vollstreckung (Exekution), als der zwangsweisen Ausführung des Urteils, gipfeln.

Im Deutschen Reiche herrschte bis zum 1. Okt. 1879 mit Bezug auf den C. eine große Zersplitterung. Man konnte zwei große Gruppen von Rechtsgebieten unterscheiden. Erstens solche Gebiete, welche den sog. Gemeinrechtlichen Prozeß als subsidiäre Rechtsquelle anerkannten, übrigens aber mehr oder weniger von demselben abweichende Landesgesetze besaßen. Der alte Gemeinrechtliche Prozeß war im Mittelalter auf Grund der röm. und kanonischen (kirchlichen) Rechtsquellen in Italien durch Doktrin und Praxis herausgebildet. Er wurde im 16. Jahrh. in Deutschland recipiert und hier durch Gewohnheitsrecht und Reichsgesetzgebung, wenngleich nicht erheblich, fortgebildet, durch die Praxis aber mißbräuchlich zu einem höchst schwerfälligen schriftlichen Verfahren gemacht. Die Gebiete, in denen er mehr oder weniger subsidiäre Geltung hatte, waren Sachsen, die sächs. Herzogtümer, beide Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Kurhessen, Nassau, die Freien Städte, das rechtsrhein. Hessen-Darmstadt, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt. Zweitens solche Gebiete, für welche seit dem Ende des 18. Jahrh. besondere Prozeßrechte mit ausschließlicher Geltung erlassen waren. Dahin gehörten die altländischen Provinzen Preußens, für welche die Allgemeine Gerichtsordnung vom 6. Juli 1793 gegeben wurde, ein Gesetzbuch, welches den Prozeß der Amtspflicht des Richters, die wahre Bewandtnis der Streitsache zu erforschen, unterwarf, übrigens durch neuere Gesetze (von 1833 und 1846) im Sinne mündlicher Verhandlung erheblich modifiziert wurde; ferner diejenigen Staaten, in denen der franz. Prozeß (der Code de procédure civile von 1806) wesentlich Geltung erlangte, wie in den linksrhein. Teilen von Preußen, Hessen-Darmstadt, Bayern und in Elsaß-Lothringen; endlich solche Gebiete, denen eine auf Verschmelzung des gemeinrechtlichen und des franz. Prozesses beruhende Gesetzgebung zuteil wurde, wie Hannover (Prozeßordnung von 1850), Baden (Prozeßordnung von 1864), Württemberg (Prozeßordnung von 1868) und Bayern (Prozeßordnung von 1869). Hierbei mag bemerkt werden, daß auch Österreich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zwei Prozeßgesetze, welche als ausschließliche Rechtsquellen bestimmt waren, erhielt, nämlich die (Josephinische) Allgemeine Gerichtsordnung vom 1. Mai 1781 und die sog. Westgalizische Gerichtsordnung vom 19. Dez. 1796, Gesetze, welche noch heute die Grundlage des österreichischen C. bilden. Neuerdings sind dort die Entwürfe einer Civilprozeßordnung, eines Gesetzes über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen und eines Gesetzes über das Exekutions- und Sicherungsverfahren dem Abgeordnetenhause vorgelegt worden.

Im Gefolge der einheitlichen Bestrebungen des J. 1848 trat im Deutschen Volke auch das Verlangen nach einem nationalen und zeitgemäßen C. hervor. Der Deutsche Bundestag ließ in den J. 1861‒66 durch eine nach Hannover berufene Kommission den Entwurf zu einer Civilprozeßordnung ausarbeiten, während gleichzeitig Preußen die Aufstellung einer mittelbar auch für das ganze Deutschland berechneten Prozeßordnung veranlaßte. Im Auftrage des Norddeutschen Bundes wurde von 1867 bis 1870 eine neue Prozeßordnung entworfen. Dieser Entwurf erfuhr nach 1870 verschiedene Umarbeitungen, zuletzt durch den Bundesrat. In der so gewonnenen Gestalt wurde er in Verbindung mit Entwürfen zu einem Gerichtsverfassungsgesetz, einer Strafprozeß- und einer Konkursordnung dem Reichstage vorgelegt. Diese Körperschaft ließ die Vorlagen zuvörderst durch eine besondere Kommission (Reichsjustizkommission) vorberaten, und nahm dieselben dann in einer zwischen ihr und den Bundesregierungen durch Kompromiß vereinbarten Fassung an. Von den so zu stande gebrachten sog. Reichsjustizgesetzen, denen noch mehrere andere hinzutraten, ist die Civilprozeßordnung 30. Jan. 1877 verkündet. Sämtliche Reichsjustizgesetze sind seit dem 1. Okt. 1879 in Kraft.

^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]