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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Desinfektion

Ob aber einer jeden Krankheit eine besondere Art dieser Pilze eigen, wie es von vielen angenommen wird, oder aber ob es nur wenige Arten von Spaltpilzen giebt, die je nach Umständen die eine oder andere Form der Krankheiten hervorrufen, darüber sind die Ansichten noch verschieden. Solange dieses aber der Fall ist, solange man nicht die Lebensbedingungen eines jeden Ansteckungsstoffes genau kennt, muß man sich damit begnügen, bei der D. auf dem Wege der Erfahrung vorzugehen und solche Mittel in Anwendung zu dringen, von denen erfahrungsmäßig festgestellt ist, daß sie der Vermehrung der kleinsten lebenden Organismen im allgemeinen hinderlich sind.

Da zwischen den Krankheitsbakterien und den Fäulnisbakterien große Ähnlichkeit besteht, so werden beide vielfach miteinander verwechselt, und man ist geneigt, alles was zur Unterdrückung von Fäulnisprozessen geeignet ist, auch als wirksames Desinfektionsmittel gelten zu lassen, ja man glaubt oft sogar mit der Beseitigung äußerer Fäulniserscheinungen, wie übler Gerüche, auch zugleich das Ursächliche der Krankheitserregung zu vernichten. Wenn auch ersteres in vielen Fällen richtig ist, wenn man mit der Unterdrückung von Fäulnisprozessen zugleich die meisten Krankheitserreger, wenn solche vorhanden sind, vernichten kann, so ist doch nicht erwiesen, ob letztere alle in dieser Beziehung sich gleich verhalten, und daß in dieser Beziehung sehr erhebliche Verschiedenheiten vorkommen können, erhellt am besten aus der ungleichen Widerstandsfähigkeit der kleinsten Organismen gegen Erhitzung. Während den bei weitem meisten krankheiterregenden Mikroorganismen durch Erwärmen auf 50 bis 60° C. in Flüssigkeiten sicherer Tod gebracht wird, gehen andere aus stundenlang fortgesetztem Kochen ungeschädigt hervor. Besonders widerstandsfähig sind die mit einer besondern Kapsel versehenen sog. Sporen. Es sei dieses nur erwähnt, um zu beweisen, daß ein Mittel, welches unter gewissen Umständen sichern Erfolg gewährt, unter andern Umständen erfolglos bleiben kann. Sicher erfolglos ist die alleinige Anwendung von Desodorisationsmitteln (s. d.).

Bei der praktischen D. hat man zwei Ziele ins Auge zu fassen: 1) Die Verhütung der Ansammlung größerer Mengen von Ansteckungsstoffen und 2) die möglichste Vernichtung derselben. Die Übertragung der Ansteckungsstoffe geschieht in den meisten Fällen dadurch, daß diese in der Luft schwebend den Körper erreichen und sich in diesem mit größter Geschwindigkeit vermehren. In je größerer Zahl die Organismen in einem gegebenen Luftraume enthalten sind, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit der Übertragung auf die darin Weilenden; bei steter Wiederaufnahme eines Krankheitsstoffes wird die Genesung verzögert, die Gefahr der Ansteckung durch die sich mehr und mehr ansammelnden Organismen vergrößert. Diesem ist durch kräftigste Ventilation (s. d.) vorzubeugen. Mit jedem Raumteil Luft, das aus einem Krankenzimmer hinausgeschafft wird, entweichen Millionen von Organismen, die hier nur Verderben bringen können. Nichts kann mehr Schaden bringen, als die aus Unkenntnis so vielfach vorgenommene Absperrung der frischen Luft in Krankenräumen; je mehr reine Luft hier zugeführt wird, um so eher ist auf Genesung zu hoffen, um so geringer auch die Gefahr für die mit der Pflege des Patienten Betrauten. Die an das Wunderbare grenzenden Erfolge des Barackensystems sind die deutlichsten Beweise für diese Thatsache. Diese natürlichste Art der D. ist aber nicht allein auf Krankenräume, sondern ganz besonders auch für die zum dauernden Aufenthalt von gesund zu erhaltenden Menschen bestimmten Räume anzuwenden. Es gilt dies insbesondere von Schulräumen, in denen die für Krankheiten empfänglichen Kinder täglich viele Stunden zu verweilen haben. Ein einziges Kind kann in seinen Kleidern wie an seinem Körper die Aussaat zur Krankheit mitschleppen, welche bei genügender Lüftung sich zerstreuen, in der stagnierenden Atmosphäre aber Masern, Scharlach u. dgl. verbreiten kann.

Die Vermehrung aller niedern Organismen kann nur bei Gegenwart von Feuchtigkeit, von leicht zersetzbarer organischer Substanz und bei gewisser Wärme erfolgen. Bei der Bekämpfung der Ansteckungsstoffe sind daher diese Existenzbedingungen derselben vor allem in das Auge zu fassen. Die beim zu frühen Beziehen neugebauter Wohnungen fast regelmäßig ausbrechenden Krankheiten werden nicht, wie irrtümlich angenommen, durch einen zu hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft oder durch mangelnde Wärme herbeigeführt, sondern dadurch, daß die Mikroorganismen an den mit Wasser gesättigten Wänden sich üppig vermehren können und von da aus sich in die Luft verbreiten. Die gründliche Austrocknung sowie das Verbot des Bewohnens von feuchten Kellerwohnungen sind nicht genug zu beachtende desinfektorische Maßnahmen.

Überall, wo leicht zersetzbare organische Substanz, d. i. Unrat aller Art sich ansammelt, ist eine Brutstätte für Spaltpilze gegeben, die als harmlose Fäulniserreger auftreten können und sich dann durch den von ihnen verbreiteten Geruch zu erkennen geben, andererseits aber auch Krankheitsträger sein können. Man dulde daher in keinem Teile der Wohnung die Ansammlung irgendwelcher Stoffe dieser Art. Man kann im allgemeinen sagen, daß die Gesundheit einer Wohnung direkt proportional dem in ihr herrschenden Reinlichkeitsgrade sei. Aber selbst in der reinlichsten Wohnung kann es verderbenbringende Räume, ja ganz bestimmt umschriebene Stellen geben, von denen sich Krankheiten, wie Typhus u. dgl. verbreiten. Die Ursache hiervon liegt nicht selten an Stellen, die dem sorgsamsten Auge verborgen, der reinlichsten Wirtschafterin nicht zugängig sind. Es sind dies die durch den Belag der Fußböden verdeckten Räume zwischen den Etagen, die sog. Zwischendecken, zu deren Ausfüllung manchmal, statt eines reinen Sandes oder sonstigen von organischen Stoffen freien Materials, alter Bauschutt u. dgl. verwandt wird. Ist solcher Schutt, wie nicht selten, schon mit Krankheitsträgern beladen, oder ist er mit organischen Substanzen imprägniert, so kann von solchen Stellen und durch lange Zeiten hin der Ausgangspunkt von Krankheiten sich entwickeln, ohne daß man ihre Ursache wahrnimmt.

Die Vernichtung vorhandener Ansteckungsstoffe kann durch Erhitzung erfolgen, der, wenn sie genügend weit getrieben wird, kein lebendes Wesen zu widerstehen vermag, oder durch Anwendung solcher Substanzen, Desinfektionsmittel, die sich als Gifte für die Spaltpilze erwiesen haben. Der D. durch Hitze sind am leichtesten alle leinenen oder baumwollenen Stoffe, die Bekleidungsstücke, Bettwäsche der Kranken zu unterziehen, indem man sie unmittelbar nach dem Gebrauch in einen mit siedendem Wasser gefüllten Kessel wirft und sie einige Zeit kochen läßt. Steht ein Apparat zur Verfügung,