Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

22

Deutsche Litteratur

Feuilletonistik. Der eigentliche Schöpfer des feuilletonistischen Stils ist der Frankfurter Jude Ludw. Börne (1784-1837), der, ein ehrlicher, aber blinder Fanatiker, ohne ästhetische Begabung, unfähig zu einer konzentrierten Schöpfung, doch zu stachelnden, erregenden und amüsanten kleinen Artikeln den rechten Ton traf, der den schwerfälligen Deutschen imponierte. Ihm brachten die Männer des jungen Deutschland eine heute schwer begreifliche Bewunderung dar. Auch sie waren Journalisten, zu ernstern Werken meist wenig begabt. Der tüchtigste unter ihnen, Karl Gutzkow (1811-78), ein starker Charakter, aber als Dichter ohne Anmut und Frische, ein gewaltig ringender, aber innerlich unfreier Geist, setzte mit unerquicklichen und anstößigen Romanen ein, unter denen namentlich das Produkt "Wally die Zweiflerin" einen Sturm entfesselte, der sogar den Bundestag 1835 zum Verbot der jungdeutschen Schriften trieb; aber, dem Wirbel der Politik ferner gerückt, hat er später tüchtige Schauspiele (vor allen: "Zopf und Schwert", 1843) und sehr bemerkenswerte socialpolit. Romane ("Die Ritter vom Geiste", 1850, "Der Zauberer von Rom", 1859) geschrieben, die eine starke Gabe der Menschenbeobachtung zeigen. Tief unter ihm stehen die übrigen Jungdeutschen, Heinrich Laube (1806-84), der sich als gewandter Bühnendichter und trefflicher Bühnenleiter später einen geachteten Namen erwarb, Th. Mundt, der Gatte der Luise Mühlbach, der schreibseligen Fabrikantin histor. Romane, u. a. Varnhagen von Ense, der blasierte Reisebeschreiber Fürst Pückler-Muskau kokettierten aus der Ferne mit diesem Kreise. Ein starkes, aber unausgegorenes Talent, das in seiner wüsten, revolutionären Dramatik etwa an die Technik von Lenz und Klinger gemahnt, Georg Büchner (1813-37), starb zu früh. Zersetzender und erregender als all diese poet. Manifeste wirkten die theol. und philos. Arbeiten einiger radikalen Schüler Hegels, die, wie Dav. Friedr. Strauß im "Leben Jesu" (1835) und Ludw. Feuerbach im "Wesen des Christentums" (1841), Hegels scharfe Dialektik benutzten, um den bestehenden Glauben zu erschüttern.

Daß im Dienste der polit. Tendenz die Dichtung nicht gedeihen konnte, darüber war sich auch ein eifriger Liberaler, wie der Historiker Gervinus, klar, als er 1835 seine "Geschichte der deutschen Nationallitteratur" begann, ein ausgezeichnetes Werk, das in umfassender Gelehrsamkeit und Sicherheit des ästhetischen Urteils lange unerreicht dastand; sein Verfasser meinte damit der deutschen Poesie die Grabschrift zu setzen. So schlimm war es doch nicht. Stand die erste Gruppe polit. Schriftsteller unbedingt im Zeichen der Prosa, so blüht etwa seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. (1840) und schon etwas vorher die polit. Poesie, vor allem die politische Lyrik auf. Es flattern die Sturmvögel der Märzrevolution in die Lüfte. Während die "Gedichte" Friedr. von Sallets, des Verfassers eines von Feuerbachschem Geiste getränkten "Laienevangeliums" (1842), noch wenig Beachtung fanden, entfesselten Herweghs rhetorisch mächtige "Gedichte eines Lebendigen" (1841) einen Sturm des Beifalls, dem auch der König sein Ohr nicht verschloß. Der Philolog Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), der glückliche Sänger volkstümlicher sangbarer Kinder- und Trinklieder, überträgt die leichte, zum Singen lockende Form auch auf seine zahllosen polit. Reime. Die feurigen Lieder zweier jüd. Dichter, des Ungarn Karl Beck und des Böhmen Mor. Hartmann, werden verschärft durch die noch immer gedrückte sociale Stellung ihrer Stammesgenossen. Rob. Prutz gelingt eine geistreiche dramat. Satire "Die polit. Wochenstube" (1845), der Glasbrenner satir. Epen zur Seite stellt. In wortprangenden "Canzonen" (1848) feiert Spiller von Hauenschild die Freiheit und beklagt die Schmach des gebundenen Vaterlandes. Ein Zug von weltmännischer Ironie geht durch die "Lieder eines kosmopolit. Nachtwächters" (1842) von Franz Dingelstedt, der den revolutionierenden Tendenzen seiner Jugenddichtung ebenso bald Valet sagte, wie der edle, formensichere und humorvolle Anastasius Grün (1806-76), den nur der erstickende Geistesdruck in Österreich zeitweilig in das Lager der unzufriedenen Poeten treibt. Ihre Unduldsamkeit gegen Andersdenkende nicht nur, sondern auch gegen Gleichgültige setzt es bei dem Dichter farbenprächtiger Orientbilder, Ferd. Freiligrath (1810-76), durch, daß er die höhere Warte, die er selbst dem Dichter zuspricht, verläßt und sich zu einer leidenschaftlichen socialen Anklagedichtung hergiebt. Die Macht des Zeitgeistes läßt gar Bettina in ihren alten Tagen einer Art socialen Lehrromans huldigen. Es gehört in solchen Zeiten heißen oppositionellen Ringens ein größerer Mut dazu, die Ruhe und den Bestand zu predigen: weihte sich der an Platen geschulte, zumal in seinen Balladen hinreißende Graf Strachwitz (1822-47) dieser Aufgabe mit Wärme und heftigem Pathos, so vertrat sie in edler Ruhe, unbeirrt durch die Angriffe der Gegner, Emanuel Geibel (1815-84); ein wahrer, keuscher Dichter, dem die Kunst viel zu heilig ist für den Lärm des Tags, hat er mit seiner vornehmen, formvollendeten, bald frisch jubelnden, bald gedankenvoll ernsten, bald innig warmen, bald hymnisch gen Himmel steigenden Lyrik die kurzlebigen Tendenzpoeten alle überdauert. Mit dem Jahre 1848 ist die Zeit jener polit. Lyrik im wesentlichen wieder vorbei.

So lärmend sie sich bis dahin hervordrängt, es gab auch in den beiden Decennien von 1830-50 noch Dichter, die der Schönheit und Wahrheit dienten und nicht den "modernen Ideen". Erst in dieser Zeit wächst Karl Immermann (1796-1840) zur Dichterhöhe heran; in den "Epigonen" (1836) schafft er, freilich in Goethes Fußstapfen, einen Roman des modernen Lebens und streut damit eine Saat, die reich aufgeht; in dem unvollendeten Epos "Tristan und Isolde" (erschienen 1841) sucht er die Dichtung des Mittelalters mit glänzendem Gelingen neu zu beleben und steht damit an der Spitze jener epischen Richtung, der K. Simrock, Wilh. Hertz, Wilh. Jordan später angehören; dem geistsprühenden satir. Roman "Münchhausen" (1838 fg.) fügt er seine westfäl. Dorfgeschichte, den "Oberhof", ein, der die ganze lange Litteratur der Dorfgeschichten einleitet. Berth. Auerbach, der meist als ihr Schöpfer gilt, ist ebenso wie Felder und später Rosegger didaktischer, Jer. Gotthelf realistischer bis ins Unschöne hinein, M. Meyr umständlicher und Steub genrehafter; die Lebensfülle der Gestalten Immermanns hat keiner der Nachfolger erreicht. Von andern Romanschriftstellern der Zeit hat Sealsfield durch seine amerik. Erzählungen die ethnogr. Romane Gerstäckers vorbereitet; auch Mügges nordländ. Geschichten, wie "Afraja" (1854), huldigen ähnlicher Tendenz. Die elegantere Gesellschaft der Zeit fand sich geschildert in den Romanen Alex. von Ungern-Sternbergs, eines Lieb-^[folgende Seite]