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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsches Heerwesen (Landheer)

Limburg, aber mit Einschluß der preuß. Provinzen Ost- und Westpreußen und Posen sowie des Herzogtums Schleswig zum Norddeutschen Bunde, dessen erster Reichstag 24. Febr. 1867 in Berlin zusammentrat und die Verfassung beriet; letztere erhielt 1. Juli 1867 Gesetzeskraft. Die Verfassung stellte das gesamte Militär- und Marinewesen unter die Bundesgesetzgebung; dem Bundespräsidium (der Krone Preußen) stand allein das Recht zu, Krieg zu erklären und Frieden oder Bündnisse zu schließen. Solche Bündnisse waren mit den süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden gelegentlich der Friedensverhandlungen bereits zum Abschlusse gelangt, wurden jedoch zunächst geheimgehalten. Alle Bundestruppen hatten dem Könige von Preußen im Frieden wie im Kriege unbedingt Folge zu leisten. Besondere Militärkonventionen führten eine noch weiter gehende Einheitlichkeit des Heerwesens herbei.

Das Heer des Norddeutschen Bundes bestand im Frieden aus 118 Infanterieregimentern zu 3 (4 großherzoglich hessische zu 2) Bataillonen, 18 Jägerbataillonen, 76 Kavallerieregimentern zu 5 Schwadronen, 13 Regimentern und 1 (hess.) Abteilung Feldartillerie, 9 Regimentern Festungsartillerie, 13 Bataillonen und 1 (hess.) Compagnie Pioniere, 13 Bataillonen und 1 (hess.) Abteilung Train, sowie 216 Landwehrbezirkskommandos, im ganzen 350 Bataillonen Infanterie, 18 Bataillonen Jäger, 380 Schwadronen Kavallerie, 163 fahrenden und 39 reitenden Batterien Feldartillerie, 88 Compagnien Festungsartillerie, 52 Compagnien Pioniere und 27 Traincompagnien. Die Infanterie war mit dem Zündnadelgewehr, die Feldartillerie mit gezogenen Hinterladungsgeschützen bewaffnet.

Das Heer gliederte sich in das Gardekorps, 12 Armeekorps und 1 (großherzoglich hess.) Division; jedes Armeekorps bestand aus 2 Divisionen zu 2 Infanterie- und 1 Kavalleriebrigade, doch war die Kavallerie des Gardekorps und 12. (sächs.) Armeekorps zu je einer Kavalleriedivision vereinigt. Die Friedensstärke betrug 302633 Mann (299704 Streitbare), 73312 Dienstpferde und 808 Geschütze; die Kriegsstärke an Feldtruppen 12777 Offiziere, 543058 Mann, 155896 Pferde, 1212 Geschütze, an Besatzungstruppen 6376 Offiziere, 198678 Mann, 15698 Pferde und 234 Geschütze, an Ersatztruppen 3280 Offiziere, 182940 Mann, 22545 Pferde und 234 Geschütze.

Die zwischen Preußen und Bayern (22. Aug. 1866), Württemberg (13. Aug. 1866), Baden (17. Aug. 1866) und Hessen (11. April 1867) abgeschlossenen Bündnisverträge verpflichteten die genannten Staaten, für den Fall eines Krieges zum Zwecke allseitiger Wahrung der Integrität ihrer Gebiete ihre gesamten Streitkräfte dem Oberbefehle des Königs von Preußen zu unterstellen.

Die Grundbestimmungen über das Kriegswesen des Norddeutschen Bundes (Art. 57-68 der Verfassung) sind fast unverändert in die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 übergegangen und durch die Gesetze vom 2. Mai 1874, 12. Febr. 1875, 6. Mai 1880, 11. Febr. 1888 und 27. Jan. 1890 weiter entwickelt worden. Die Bestimmungen über die Wehrpflicht und das Ersatzwesen sind in der "Deutschen Wehrordnung" und "Heerordnung" vom 22. Nov. 1888 zusammengefaßt. Danach ist jeder wehrfähige Deutsche, mit wenigen gesetzlich bestimmten Ausnahmen, wehrpflichtig, und zwar persönlich, eine Stellvertretung also nicht gestattet. Die Dienstpflicht (s. d.) beginnt mit dem vollendeten 20. Jahre und dauert 2 (bei Kavallerie, reitender Artillerie 3) Jahre bei der Fahne, 5 (4) Jahre bei der Reserve (s. d.), 5 (3) Jahre bei der Landwehr (s. d.) ersten und bis zum vollendeten 39. Jahre bei der Landwehr zweiten Aufgebots. Dann erfolgt der Übertritt zum Landsturm (s. d.), zu dem außerdem alle Wehrpflichtigen vom 17. bis zum vollendeten 45. Jahre gehören, die weder dem Heer noch der Marine angehören. Krankenwärter brauchen nur 2 Jahre, junge Leute von Bildung, die sich während ihrer Dienstzeit selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen und ein bestimmtes Maß von Kenntnissen dargelegt haben, nur 1 Jahr (Einjährig-Freiwillige, s. d.), Volksschullehrer nur 10 Wochen im stehenden Heere zu dienen; röm.-kath. Theologen werden, wenn sie bis zum 1. April des 7. Militärjahres die Subdiakonatsweihe empfangen, der Ersatzreserve überwiesen, von deren Übungen sie jedoch befreit sind, und die vor dem 11. Aug 1890 auf der Insel Helgoland geborenen männlichen Personen sind gänzlich von der Wehrpflicht befreit.

Über Dreijährig-Freiwillige s. d.

Die alljährliche Ergänzung des stehenden Heers geschieht durch Ersatzkommissionen (s. d.). Das Offizierkorps des stehenden Heers ergänzt sich aus den Kadettenanstalten und durch Aspiranten, die ihre wissenschaftliche Befähigung dargelegt haben, das des Beurlaubtenstandes hauptsächlich aus Einjährig-Freiwilligen und andern Militärpersonen, die mit der Qualifikation zum Reserveoffizier aus dem aktiven Dienst geschieden sind. Jeder Reservist ist zur Teilnahme an zwei Übungen, die die Dauer von 8 Wochen nicht überschreiten sollen, verpflichtet; jeder Landwehrmann kann während seiner Landwehrpflicht zweimal auf 8-14 Tage zu Übungen einberufen werden. Der Grundsatz vollständiger militär. Freizügigkeit ist in dem Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst ausgesprochen.

Die Friedenspräsenzstärke des Heers wird durch Reichsgesetz festgestellt. Nach dem Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874 betrug die Friedenspräsenzstärke des Heers an Unteroffizieren und Mannschaften für die Zeit vom 1. Jan. 1875 bis zum 31. Dez. 1881 ohne Anrechnung der Einjährig-Freiwilligen 401659 Mann. Die Infanterie wurde damals in 469 Bataillone, die Kavallerie in 465 Schwadronen, die Feldartillerie in 300 Batterien, von denen je 2-4 eine Abteilung bildeten, die Fußartillerie in 29, die Pioniertruppe und der Train in je 18 Bataillone und die Eisenbahntruppe in 2 Bataillone und 1 (bayr.) Compagnie formiert. Die Bataillone hatten 4, die des Trains 2 (einige 3) Compagnien. Bei der Infanterie wurde aus 3 Bataillonen (ein großherzoglich hess. Regiment bestand nur aus 2 Bataillonen), bei der Kavallerie aus 5 Schwadronen, bei der Feldartillerie aus 2-3 Abteilungen, bei der Fußartillerie aus 2 Bataillonen ein Regiment formiert; 2 oder 3 Regimenter wurden zu einer Brigade, 2 oder 3 Brigaden Infanterie und Kavallerie zu einer Division vereinigt; aus 2-3 Divisionen mit den entsprechenden Artillerie-, Pionier- und Trainformationen wurde ein Armeekorps gebildet, sodaß die Heeresmacht des Deutschen Reichs im Frieden aus 18 Armeekorps (einschließlich des preuß. Gardekorps) bestand. Zwei Armeekorps wurden von Bayern, je eins von Sachsen und Württemberg gestellt, während Preußen mit den übrigen Staaten 14 Armeekorps formierte. Für je 2-3 Armeekorps