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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsche Sprache (Geschichte)

wenn auch vereinzelt noch bis in die Mitte des 17. Jahrh. niederdeutsch geschrieben und gedruckt wurde (Laurembergs «Scherzgedichte», 1652). Die Kanzlei schrieb in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. und endgültig seit 1600 hochdeutsch. Um 1600 wird Hochdeutsch auch die Kirchensprache in Niederdeutschland. Die letzte plattdeutsche Bibel ist 1621 in Goslar gedruckt worden. Hochdeutsch schrieben Schriftsteller wie der Magdeburger Georg Rollenhagen, der Brandenburger Bartholomäus Krüger, der Mecklenburger Nathan Chytraeus, der Braunschweiger Herzog Heinrich Julius, Es wurde so ein Gegengewicht gegen die Versüddeutschung der mitteldeutschen Schriftsprache geschaffen. Hier in Niederdeutschland wurde die eindringende hochdeutsche Schriftsprache zugleich und zuerst die Grundlage für die gesprochene Sprache der Gebildeten. In Süddeutschland drang Luthers Autorität schon wegen der religiösen Gegensätze langsamer durch und war im 16. Jahrh. noch nicht allgemein anerkannt. Der Wendepunkt fällt hier um 1600. Noch 1593 konnte Sebastian Helbers in seinem «Syllabierbüchlein» sagen: «Viererlei Teutsche Sprachen weiß ich, in denen man Buecher druckt, die Cölnische oder Gulichische, die Sächsische, die Flämmisch od’ Brabantische (d. i. Niederländisch) und die Ober oder Hoch Teutsche. Unsere Gemeine Hoch Teutsche wirdt auf drei Weisen gedruckt: eine möchten wir nennen die Mitter Teutsche, die andere die Donawische, die dritte Höchst Reinische.» In der Schweiz dauert der letzte Widerstand gegen Luthers Schriftsprache bis in die Mitte des 18. Jahrh. hinein.

Endlich hat noch der Einfluß der Grammatiker des 16. Jahrh. die Einheitlichkeit der Schriftsprache gefördert, indem diese das beste Deutsch bestimmten. Die wichtigsten Namen sind Valentin Ickelsamer («Teutsche Grammatica», wahrscheinlich 1534 erschienen) und besonders Fabian Frangk («Orthographia», Wittenb. 1531). Letzterm, der auf Luther fußte, schlossen sich zumeist die spätern Grammatiker an. Sehr einflußreich, namentlich auch bei den Katholiken, war Clajus’ «Grammatica Germanicae linguae» (Lpz. 1578), die weitaus verbreitetste Grammatik des 16. und 17. Jahrh.

Die Ausbildung unserer Schriftsprache fällt in die J. 1550‒1750. Im 17. Jahrh. verschwanden die mundartlichen Schriftsprachen. Zunächst hörte das Niederdeutsche als Schriftsprache auf. Der Mecklenburger Lauremberg beklagt 1652, daß Hochdeutsch die herrschende Schrift-, Druck-, Kirchen- und Schulsprache sei und im öffentlichen Verkehr gesprochen werde. In der Schweiz erfolgte der entscheidende Schritt durch die revidierte Übersetzung der Züricher Bibel (1665‒67). Im 17. Jahrh. galt Meißnisch unbedingt als das beste Deutsch. Ihren Abschluß erlangte die Schrift- und Drucksprache durch Opitz («Buch von der deutschen Poeterei», 1624), dessen Einfluß auf unsern Stil dem Luthers ebenbürtig ist. Opitz erkannte Luther als Vorbild auch für die Sprache der Poesie an. Ihm schlossen sich die Grammatiker der Sprachgesellschaften (seit 1617) an, besonders Schottel, der von der Grammatik forderte, daß sie die Sprache lehrmeistern müsse. Seine Vorgänger (Ritter 1611, Scheräus 1619, Gueinz 1619 und 1645, von Zesen, Rosenmond 1651, Girbert 1653, Bellin 1661, Schupp 1663) hatten keine rechten Fortschritte seit Clajus gemacht. Bedeutsam wirkte Schottels «Ausführliche Arbeit der teutschen Haubtsprache» (Braunschw. 1663). Leibniz (1680) billigte seine Ansichten. Weitere Grammatiker waren Stieler (1691) und Morhof (1700). Ende des 17. Jahrh. war unsere Drucksprache durch die theoretischen Arbeiten der Sprachgelehrten feststehend geworden, nachdem es zu Beginn dieses Jahrhunderts noch keine festen Regeln gegeben hatte. ^[Spaltenwechsel]

Das 17. und 18. Jahrh. brachte die endgültige Einigung der Gemeinsprache. Bödikers «Grundsätze der deutschen Sprache» (1690; neu hg. von Frisch, 1746) blieben bis auf Gottsched die herrschende Grammatik. Neben Luther stellte er die Schlesische Dichterschule und einige Grammatiker, besonders Schottel, als maßgebend hin. Auch im 18. Jahrh. galt das Meißnische als die schönste und reinste deutsche Mundart. Mittelpunkt der sprachlichen Bestrebungen wurde Gottsched und seine Schule, Leipzig das Centrum für Litteratur und Bildung überhaupt. Als Führer der Deutschen Gesellschaft übernahm Gottsched das Sprachrichteramt und bemühte sich vor allem um äußere Korrektheit. Seit Gottsched galt nicht mehr Luther, sondern Opitz als Norm. Gottscheds Einfluß ist es zu danken, daß um die Mitte des 18. Jahrh., von kleinen landschaftlichen Besonderheiten abgesehen, die heutige Schriftsprache grammatisch normiert und so gut wie allgemein üblich war. Kath. Schriftsteller wagten noch gegen das «lutherische» Deutsch der modernen Litteratur Widerspruch zu erheben. Bald aber war Süddeutschland vollständig für die Schriftsprache gewonnen, die im 17. Jahrh. noch wenig Erfolge im Süden zu verzeichnen gehabt hatte. Gottscheds Hauptwerke sind die «Beiträge zur kritischen Geschichte der deutschen Sprache» (1732‒44) und die «Deutsche Sprachkunst» (1748). Sein litterar. Streit mit den Schweizern (Bodmer, Breitinger) in den vierziger Jahren war auch sprachlich bedeutsam. Ihr Kampf gegen Gottscheds sprachliche Diktatur war vergebens. Aber im Gegensatz zu Gottscheds Schulkorrektheit nahmen sie, wie auch die Göttinger Dichter und nachmals Lessing und Herder, alte Wörter wieder auf (z. B. «bieder», «Hain»). Gegen die Fremdwörter eiferte Lessing. Eine autoritative Stellung nahm der Sprachforscher Adelung ein, dessen «Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart» (1774‒86) und dessen Zeitschrift «Magazin für die D. S.» (1782‒84) hier genannt seien. Sprachliche Norm blieb Obersachsen, bis die klassische Litteratur des 18. Jahrh. endgültig die sprachliche Alleinherrschaft Obersachsens beseitigte. Von den deutschen Klassikern kommt vielleicht niemand eine größere sprachliche Bedeutung zu als Wieland, namentlich für Süddeutschland. Nachdem Klopstock mit einem Schlage eine neue, wahrhaft poet. Diktion erschaffen hatte, und durch Lessing auch die Prosa befreit und geadelt worden war, eilte die Dichtersprache in unaufhaltsamem Fortschritt der höchsten Veredelung und Vollendung entgegen. Seit Schiller und vor allem seit Goethe zeigt sich die D. S. jeder Anforderung gewachsen.

Litteratur. A. Socin, Schriftsprache und Dialekte im Deutschen nach Zeugnissen alter und neuer Zeit (Heilbr. 1888); O. Brenner, Mundarten und Schriftsprache in Bayern (Bamb. 1890); Fr. Kauffmann, Geschichte der schwäb. Mundart (Straßb. 1890, S. 275‒314); Fr. Pfeiffer, Über Wesen und Bildung der höfischen Sprache der mittelhochdeutschen Zeit (Wien 1861); H. Paul, Gab es eine mit- ^[folgende Seite]