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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1273-1519)

nem Königreich Sicilien hatte Friedrich eine feste monarchische Ordnung und eine geregelte Verwaltung aufgerichtet, er vollzog hier den Bruch mit dem mittelalterlichen Lehnsstaat und legte die Grundlagen eines modernen Beamtenstaates. Deutschland aber hat von dieser seiner Regierungskunst wenig erfahren. Seine Kraft war in Italien gebunden, und vollends mit seinem Tode geriet das deutsche Königtum in einen Verfall, der die Einheit der Nation bedroht haben würde, wenn diese nicht bereits sehr gefestigt gewesen wäre. Aber der Schwerpunkt der deutschen Geschichte lag fortan nicht in dem Könige, sondern in den Territorien und Städten, die in der folgenden Periode immer selbständiger wurden. Die innere Entwicklung Deutschlands in diesem ersten Abschnitt zeigt die Ausbildung von zwei neuen Ständen, dem Bürger- und dem Ritterstande, welche beide einen nicht unbedeutenden Teil der in wirtschaftliche und in rechtliche Abhängigkeit niedergetretenen Bevölkerung zu wirtschaftlich und politisch kräftigen Gliedern der Gesellschaft erhoben. Über den Ursprung der Städte ist vielfach gestritten worden, aber mit Sicherheit lässt sich erkennen, daß es Städte im Rechtssinn vor dem J. 900 nicht gab und daß um 1100 der Begriff so bekannt war, daß Stadtrecht von einem Orte auf einen andern übertragen werden konnte. Vielfach bildete eine Dorfgemeinde die Grundlage, die Entwicklung des Handels und der Gewerbe, die Anlage von Befestigungen und ähnliche Faktoren haben dann rechtliche Bedürfnisse erzeugt, denen durch neue Einrichtungen und Ordnungen entsprochen werden mußte, und die Summe dieser Ordnungen bildete den Begriff des Stadtrechts, erhob die Ortsgemeinde zu einer Stadtgemeinde, die sich von der Dorfgemeinde regelmäßig durch größere Leistungsfähigkeit, reichere Gliederung und mannigfaltige Privilegien namentlich bezüglich des Gerichtswesens unterschied. Wenn auch viele Stadtbewohner noch lange Zeit geistlichen und weltlichen Herren mancherlei Lasten und Leistungen schuldeten, so wurde doch im allgemeinen der Druck der Hörigkeit in den Städten erleichtert oder beseitigt, es entwickelte sich der Satz, daß die Luft in den Städten frei macht. Die Städte waren stolze Gemeinden, die ihre Angelegenheiten mit großer Selbständigkeit ordneten und ihre Rechte mit starker Hand verteidigten, ein bedeutsamer Ersatz für den im Lauf des Mittelalters großenteils untergegangenen freien Bauernstand. Nach einer andern Seite bot dafür der Ritterstand Ersatz. Er entwickelte sich, als namentlich seit dem 10. Jahrh. die Heere mehr und mehr ausschließlich aus den berittenen Scharen schwerbewaffneter Knechte gebildet wurden, welche die Großen auf ihren ausgedehnten Besitzungen unterhielten. Die Ritter (s. Ritterwesen) waren der Masse nach rechtlich unfrei; allein der Gegensatz von frei und unfrei trat zurück vor dem gesellschaftlich maßgebendern "waffenberechtigt" und "nicht waffenberechtigt". Die Ritter bildeten einen durch besondere Formen und Rechte ausgezeichneten und seit Friedrich I. durch die Forderung der Ritterbürtigkeit geschlossenen Stand, zu dem auch die Fürsten und Herren zählten. Das hob den Ritter über die Masse der Freien hinweg, welche diesem Stande nicht angehörten. Die Bürger wurden reich und mächtig durch sorgsame Pflege von Handwerk und Handel, durch Befestigung und tapfere Verteidigung ihrer Städte, durch Ausbildung des Rechts und durch mannigfaltige Bündnisse, unter denen der Rheinische Städtebund und noch mehr die Hansa durch Einfluß und Macht hervorragten. Die Städte erfüllten hier noch mehr als die fürstl. Verwaltungen diejenigen Aufgaben, welche die Kaiser nicht erfüllen konnten, weil sie durch die Kämpfe mit dem Papste und den Großen gelähmt waren; ihre größte polit. Bedeutung fiel zwischen 1250 und 1400. Das 12. und 13. Jahrh. sah ferner eine kräftige Pflege der Kunst und der geistigen Interessen. Neben der Fortbildung des Rechts ist da an die mittelalterliche Poesie, die höfische, die Volksdichtung und die politisch wie gesellschaftlich wichtige Vagantenpoesie und an die Baukunst zu erinnern.

3) Von 1273-1519. Von 1254 bis 1273, d. i. vom Tode des letzten Staufers Konrads IV. bis zur Wahl Rudolfs von Habsburg, hatte Deutschland thatsächlich keinen gemeinsamen König, sondern nur einige Prätendenten, die von Parteien erhoben waren und meist nur von denen anerkannt wurden, denen sie königl. Rechte verkauften oder schenkten. Wilhelm von Holland, der nach Konrads IV. Tode allgemeinere Anerkennung gefunden hatte und sich namentlich um die Stellung der Städte im Reich Verdienste erwarb, fiel im Jan. 1256 in einem Kampfe gegen die Friesen, und es teilten sich nun die Fürsten in zwei Parteien, von denen 1257 die eine Richard von Cornwallis, den Bruder König Heinrichs III. von England und also auch der letzten Gemahlin Kaiser Friedrichs II., Isabella von England, die andere den König Alfons von Castilien, der durch seine Mutter Beatrix der Enkel König Philipps von Schwaben war, wählte. Man blieb so auch jetzt dem Scheine nach dem staufischen Hause getreu, aber diese Doppelwahl machte es gar völlig unmöglich, daß etwas Ersprießliches hätte geleistet werden können. In dieser Zeit ging dem Reiche das ihm durch das staufische Geschlecht verbundene Königreich Sicilien an den Söldnerführer Karl von Anjou verloren, der im Dienst des Papstes Kaiser Friedrichs II. Sohn Manfred 1266 bei Benevent und den Enkel Konradin 23. Aug. 1268 bei Tagliacozzo schlug und letztern 29. Okt. 1268 in Neapel hinrichten ließ. Aber dieser Karl von Anjou ward nun der Tyrann der Päpste; Rom stürzte in die Grube nach, die es den Staufern gegraben. Vom Nov. 1268 bis zum Sept. 1271 konnte nicht einmal eine Papstwahl zu stande kommen. In Rom empfand man deshalb ein dringendes Bedürfnis nach Erneuerung des Kaisertums und unterstützte die Bemühungen, die, erleichtert durch den Tod Richards von Cornwallis (29. Sept. 1272), 1273 zu der Wahl Rudolfs von Habsburg führten. Rudolf war nicht ohne Macht, aber weit überlegen war ihm König Ottokar von Böhmen, der sich auch die österr. Lande anzueignen verstanden hatte, die durch den Tod des letzten Babenbergers 1246 dem Reiche heimgefallen waren. Rudolf zwang Ottokar durch zwei Feldzüge 1276 und 1278, und da Ottokar in der Schlacht bei Dürnkrut 26. Aug. 1278 (Marchfeld) gefallen war, so erreichte Rudolf, daß er zwei seiner Söhne mit Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain und der Windischen Mark belehnen konnte. Es war dies der Anfang der glücklichen Erwerbungen des Hauses Habsburg und für Rudolf die Grundlage seines königl. Regiments. Aber seine Erfolge erschreckten die Fürsten, und um dies Wiederaufleben einer wirklichen Königsmacht im Keime zu ersticken, wählten sie bei Rudolfs Tode nicht seinen zum Könige in hervorragender Weise geeigneten Sohn Albrecht, sondern den Gra-^[folgende Seite]