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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

jetzt noch erhalten blieben, gab sich bald kund bei den neuen Gewaltthaten der Franzosen, wie bei der Besetzung Hannovers (1803) und bei der Ermordung des Herzogs von Enghien in Ettenheim (1804). In dem Kriege der dritten Koalition kämpften Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und Nassau an der Seite Frankreichs gegen Österreich (s. Französisch-Österreichischer Krieg von 1805); durch den Preßburger Frieden (Dez. 1805) kamen die süddeutschen Lande Österreichs sowie Tirol an Bayern, Württemberg und Baden, die beiden erstern erhielten den Königstitel. Durch den Rheinbund (s. d.) vom Juli 1806 traten die Staaten des deutschen Südens und Westens in ein dauerndes festes Vasallenverhältnis zu Frankreich. Eine erhebliche Anzahl der kleinern Reichsfürsten wurde mediatisiert; auch die Ritterschaft und die kleinen weltlichen Herren verloren jetzt ihre Selbständigkeit, ebenso wie es schon 1803 mit den geistlichen Fürsten und den Reichsstädten geschehen war. Kaiser Franz, der bereits 1804 den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen hatte, legte nach Begründung des Rheinbundes die deutsche Kaiserkrone nieder (6. Aug. 1806). Danach war das alte Reich auch förmlich für beseitigt erklärt, nachdem es thatsächlich schon aufgehört hatte zu existieren. Der Plan, auch in Norddeutschland einen Bund deutscher Fürsten zu stiften, hier unter Preußens Führung, wie im Süden und Westen unter der Frankreichs, der Plan einer norddeutschen preuß. Kaiserwürde wurde vereitelt durch den ausbrechenden Krieg gegen Frankreich (s. Französisch-Preußisch-Russischer Krieg von 1806 und 1807). In dem Frieden von Tilsit verlor Preußen die Hälfte seiner Provinzen; es hatte alle seine Lande westlich der Elbe abzutreten und ebenso auch seine poln. Erwerbungen, mit Ausnahme von Westpreußen. Wie Österreich, so sollte auch Preußen aus Deutschland hinausgedrängt und auf den Osten beschränkt werden. Aus den Landen westlich der Elbe und weiter aus Kurhessen, Braunschweig und einem Teil von Hannover ward das neue Königreich Westfalen gebildet. In den Rheinbundsstaaten wurden die Rechtspflege, die Staats- und Heeresverfassung, die gesamte Verwaltung, die wirtschaftlichen und socialen Einrichtungen nach franz. Muster umgewandelt. Anders in Preußen. Hier begann eine eigenartige Reform, die zu den franz. Staatsprincipien, zu den Ideen der Revolution und den Grundsätzen des Napoleonischen Bureaukratismus zum Teil im schärfsten Gegensatz stand, eine durch Stein, Scharnhorst und Hardenberg durchgeführte nationale Wiedergeburt, die gewaltige sittliche Kräfte erweckte, die das ganze Volk zum Dienst für das Vaterland aufrief, die die Grundlagen für den neuen preuß. Staat legte und in vieler Beziehung, so in der Selbstverwaltung und in der allgemeinen Wehrpflicht, für ganz Deutschland ein später immer mehr nachgeahmtes Vorbild aufstellte. Eine Zeit lang begannen zwar auch in Österreich unter dem deutschgesinnten Minister Stadion verheißungsvolle Reformen, und früher als in Preußen, wo die übergroße Vorsicht und die Unentschlossenheit des Königs hemmend einwirkte, brach in Deutsch-Österreich der nationale Aufstand los; aber nur zu schnell wurden nach anfänglichen Erfolgen die Schilderhebung Österreichs und die im übrigen Deutschland versuchten Erhebungen niedergeworfen (s. Französisch-Österreichischer Krieg von 1809), und mit der ersten Niederlage war auch die Reform in Österreich gebrochen, die deutsch-nationale Begeisterung erloschen. Nach Stadions Rücktritt sank der Donaustaat unter Metternich in den frühern apathischen Zustand zurück. In Preußen dagegen nahm die patriotische Begeisterung und die allseitige Rüstung zum Befreiungskämpfe unausgesetzt ihren Fortgang. Erbitterung und Haß machten sich auch in andern deutschen Gauen geltend ob der fortgesetzten Übergriffe des franz. Kaisers, der immer neue ungemessene Opfer an Geld und an Truppen forderte, der im Dez. 1810 es wagte, durch ein einfaches Dekret, ohne jedwedes Recht, die deutsche Nordseeküste dem franz. Kaiserreiche einzuverleiben. Der Untergang der großen franz. Armee in Rußland (s. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815) gab endlich das Zeichen zur Erhebung. Das ganze preuß. Volk griff zu den Waffen, das Joch der Fremden jetzt für immer abzuschütteln. Der Wunsch der nationalgesinnten preuß. Staatsmänner, der Plan vor allem des Freiherrn von Stein, ganz Deutschland nach dem Vorbild Preußens zum Kampfe aufzurufen, ging nicht in Erfüllung. Nur vereinzelt beteiligten sich an der Erhebung auch andere Landschaften. Erst als Napoleons Stern im Sinken war, entschlossen sich die Rheinbundfürsten zu den Verbündeten überzugehen. Durch den Friedensschluß zu Paris vom Mai 1814 wurde Frankreich auf die Grenzen von 1792 eingeschränkt, alles später dem Deutschen Reich entrissene Gebiet mußte zurückgegeben werden. In dem zweiten Pariser Frieden vom Nov. 1815 wurden die Abtretungen Frankreichs vermehrt durch Landau, das an Bayern, sowie durch Saarlouis und Saarbrücken, das an Preußen kam. Gegen die bestimmten Erwartungen der deutschen Patrioten verhinderten es die Sonderinteressen Rußlands und Englands, daß die früher von Frankreich gemachten Eroberungen, vor allem das Elsaß, an Deutschland zurückerstattet wurden. Der Wiener Kongreß (s. d.) 1815 regelte im einzelnen die neue territoriale Einteilung und die neue Verfassung Deutschlands. Die Souveränität der Einzelstaaten ward anerkannt. Nur auf einigen Gebieten sollten nach den in der Bundesakte aufgestellten allgemeinen Normen gleichmäßige Einrichtungen in allen Bundesstaaten durchgeführt und allenthalben landständische Verfassungen geschaffen werden, eine Bestimmung, die nachher zu mannigfachen heftigen Zerwürfnissen geführt hat.

7) Von der Gründung des Deutschen Bundes 1815 bis zumJahre 1866. (S. Karte II, 7.) Die neue Bundesverfassung, die der Wiener Kongreß schuf, blieb hinter den Erwartungen weit zurück, mit welchen man im Laufe der großen Kämpfe sich getragen hatte. Die preuß. Staatsmänner aber hatten sich wenigstens redlich bemüht, eine starke Reichsgewalt auf Grund einer Kreisverfassung mit einem Schutze für die ständischen und freiheitlichen Rechte der Unterthanen zu erreichen. Bei dem Widerstreben der Mittelstaaten erklärte auch Österreich diese Pläne für unausführbar und schlug einen nur völkerrechtlichen Bund der deutschen Staaten vor. So kam die Wiener Bundesakte vom 8. Juni 1815 zu stande. (S. Deutscher Bund.) Um die Hoffnung eines starken Deutschlands betrogen, wandte sich nun die öffentliche Meinung mit um so größerm Eifer dem Wunsche nach freiheitlichen Verfassungen im Innern zu, nicht ohne dabei in ihrer Gereiztheit und in beginnendem Mißtrauen gegen die Regierungen doktrinäre und unerfüllbare Förde-^[folgende Seite]