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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

einem Aufrufe von jeder Beteiligung an dem Unternehmen ab und suchte, freilich vergeblich, durch eine Abordnung an Hecker die friedliche Unterwerfung zu erlangen. Die Heckerschen Freischaren wurden bei Kandern (20. April) geschlagen, jedoch der Anführer der bad. Truppen, General Friedrich von Gaggern, gleich beim Beginn des Kampfes getötet. Aus Freiburg wurden die dort eingedrungenen Freischaren vertrieben und die unter Herwegh von Frankreich herübergekommenen deutschen Arbeiter bei Dossenbach zersprengt (27. April). Der Aufstand hatte die Wirkung, daß er die Parteien heftig entzweite und den alten Autoritäten Gelegenheit gab, wieder zu Kräften zu kommen. Gleichzeitig wütete in Posen ein heftiger Kampf, der auf Lostrennung der ehemals poln. Landesteile von Preußen abzielte, aber von den preuß. Truppen niedergeschlagen ward. Inzwischen hatte auch der Kampf in Schleswig-Holstein begonnen. Die dän. Truppen waren in Schleswig vorgedrungen, bis Preußen ein Armeekorps unter Wrangel entsendete, das (23. April) das Danewerk erstürmte, Schleswig einnahm und rasch bis an die Grenzen Jütlands vordrang. (S. Deutsch-Dänischer Krieg von 1848 bis 1850.)

Die Verfassungsangelegenheit war indes von den Vertrauensmännern (Schmerling, Sommaruga, Dahlmann, Todt, Zachariä, Uhland, Bassermann, Bergk, Langen, Droysen, Willmar, von der Gabelentz, Luther, M. von Gagern, Stever, Albrecht, Jaup, Petri, Gervinus), die der Bundestag einberufen hatte, in Beratung genommen, und 26. April wurde der Bundesversammlung der von Dahlmann ausgearbeitete sog. Siebzehner-Entwurf überreicht, wonach ein erblicher Kaiser, ein Oberhaus aus den regierenden Fürsten und Vertretern der einzelnen Kammern, ein Unterhaus aus gewählten Abgeordneten, von denen einer auf je 100000 Seelen käme, und ein oberstes Reichsgericht eingesetzt werden sollten. Der Entwurf bedingte eine scharfe Unterordnung der Einzelstaaten und fand weder bei den Fürsten noch bei der radikalen Partei Beifall; aber warme Anerkennung ward ihm von seiten des Prinzen von Preußen zu teil, nur daß auch ihm jene Herunterdrückung der Einzelstaaten zu weit ging. Friedrich Wilhelm IV. aber träumte sich, wie einst die Patrioten der Befreiungskriege, eine Verfassung, in der er als gewählter Deutscher König unter Österreichs deutschem Kaisertum stünde.

Der Zusammentritt der Deutschen Nationalversammlung (18. Mai) fand ganz Deutschland in einer zerrütteten Lage. In den kleinern Staaten Mittel- und Süddeutschlands regten sich republikanische Elemente; die deutschen Großstaaten befanden sich mitten im Zustande der Revolution. In Wien war (25. April) eine aufgezwungene Verfassung verkündet worden, die den Anstoß zu neuen Bewegungen gab. Man zwang das Ministerium Ficquelmont zum Rücktritt, und abermalige Unruhen (15. Mai) veranlaßten den Kaiser Ferdinand nach Innsbruck zu flüchten. Glücklicher war die Regierung in ihrem Bemühen, die Wahlen zum Deutschen Parlament in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gleichzeitig war in Berlin die Zurückberufung des Prinzen von Preußen der Vorwand zu unruhigen Auftritten geworden, und der Zusammentritt der zur Vereinbarung über die preuß. Verfassung berufenen Versammlung vermehrte die Verlegenheiten, statt sie zu heben. Die Berufung dieser Versammlung veranlaßte das Frankfurter Parlament, nachdem es Heinrich von Gagern zum Präsidenten gewählt, zu dem ersten wichtigen Beschlusse über sein Verhältnis zu den in den einzelnen deutschen Staaten versammelten Landesvertretungen. Es erklärte 27. Mai, daß alle Bestimmungen einzelner deutscher Verfassungen, die mit dem von ihm zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke nicht übereinstimmten, nur nach Maßgabe des Parlaments als gültig zu betrachten seien, und legte sich damit, übereinstimmend mit der Antrittsrede seines Präsidenten, in der Verfassungssache die souveräne Gewalt bei. Zunächst handelte es sich in der Versammlung nun um die Errichtung einer provisorischen Centralgewalt für Deutschland. Nach vielfachen Erwägungen und Debatten über die teils konstitutionellen, teils demokratischen Vorschläge wurde endlich 28. Juni das Gesetz über die provisorische Centralgewalt angenommen, welches dem Reichsverweser und seinen verantwortlichen Ministern die vollziehende Gewalt übertrug, die Entscheidung über Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten durch ihn im Einverständnisse mit der Nationalversammlung ausüben ließ, aber die Errichtung des Verfassungswerkes von der Wirksamkeit der Centralgewalt ausschloß und zugleich den Bundestag für aufgelöst erklärte. Am 29. Juni wurde von 436 Stimmen (unter 548 Anwesenden) der Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser gewählt. Der Bundestag aber ließ es sich nicht nehmen, auch formell seine eigenen Befugnisse auf den Erzherzog zu übertragen. Die Regierungen wagten nicht, dem Reichsverweser ihre Anerkennung zu versagen, Preußen indes mit dem Vorbehalte, daß die Art der Wahl kein Präjudiz sein dürfe. Am 12. Juli erschien der Erzherzog in der Nationalversammlung und berief Schmerling, Peucker und Heckscher zu Ministern. Am 9. Aug. ward dann das Reichsministerium in der Art modifiziert und vervollständigt, daß Fürst Leiningen Präsident wurde, Heckscher das Innere übernahm. Beckerath trat an die Spitze der Finanzen, Duckwitz ward Handelsminister, R. Mohl erhielt das Justizministerium, Peucker behielt die Leitung des Kriegswesens. Das Reichsministerium verordnete, daß in allen Staaten Deutschlands die Garnisonen 6. Aug. ausrücken und, nach Verlesung einer Proklamation des Reichsverwesers an das deutsche Volk, die Truppen demselben als Zeichen der Huldigung ein dreimaliges Hurrah ausbringen sollten. Die Anordnung erregte vielfache Mißstimmung bei den Regierungen. Auch beschränkte man sich in Preußen darauf, durch einen Armeebefehl bekannt zu machen, daß der Reichsverweser den Oberbefehl über die deutschen Truppen übernommen habe.

Indessen hatte die Nationalversammlung die Verfassungsarbeiten begonnen und sich in die Beratung der Grundrechte vertieft. Dem im Anfang der Märzbewegung laut gewordenen Freiheitsbegehren zu genügen, die Garantien für die Freiheit des Staatsbürgers, die sog. Grundrechte, sicher zu stellen, schien der Versammlung eine leichtere und dringendere Aufgabe als die Errichtung der nationalen Einheit, und über die weitläufigen Beratungen über diesen Punkt ging die kostbarste Zeit und Gelegenheit für die Lösung der Hauptaufgabe verloren. Auch von seiten der Regierungen wurde dem Verfassungswerk keine fruchtbare Anregung zu teil.

Währenddem waren Österreich und Preußen von revolutionären Zuckungen heimgesucht. Österreich