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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

Großmächte siegreich für die radikale Partei durch. In Frankreich drohte die Entzweiung zwischen der Krone und den parlamentarischen Parteien in einer gewaltsamen Krisis sich Luft zu schaffen. Die ital. Halbinsel hatte sich mit Erfolg gegen das alte System erhoben. In Dänemark starb (20. Jan. 1848) Christian VIII., wodurch der Konflikt zwischen den dän. und deutschen Interessen in unmittelbare Nähe gerückt wurde. Die Vorgänge in München, die mit einem Studentenauflauf 7. Febr. 1848 begannen, waren ein Symptom, wie weit die Aufregung selbst in den ruhigsten Teilen Deutschlands gediehen war. Eine demokratische Versammlung in Offenburg forderte Selbstregierung des Volks, eine gemäßigtere in Heppenheim Volksvertretung am Bundestag, und 12. Febr. stellte Bassermann in der bad. Kammer den Antrag auf Berufung eines deutschen Parlaments.

Die Botschaften aus Frankreich, die in rascher Folge den Sturz Guizots, Ludwig Philipps und des Königtums verkündeten, wirkten zündend auf Deutschland. Schon 27. Febr. 1848 wurden in Mannheim Beratungen gepflogen über die vier Forderungen: Preßfreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung, Nationalvertretung, die rasch ihren Weg durch ganz Deutschland machten. Am 1. März wurden diese Forderungen durch Massendeputationen der bad. Zweiten Kammer übergeben, noch an demselben Tage die Censur in Baden aufgehoben und wenige Tage nachher auch die Gewährung noch anderer von der Kammer ausgegangener Vorschläge zugesagt, welche die Aufhebung der Ausnahmegesetze, den Verfassungseid beim Heere, polit. Gleichstellung aller Konfessionen, Verantwortlichkeit der Minister, Unabhängigkeit der Richter, Aufhebung der Reste des Feudalwesens verlangten. Wie ein Lauffeuer gingen ähnliche Sturmpetitionen durch ganz Deutschland, und binnen wenigen Tagen hatten sämtliche deutsche Regierungen, mit Ausnahme von Österreich und Preußen, die Erfüllung der Forderungen gewährt, meistens auch die alten Ministerien liberalen Nachfolgern Platz gemacht. Widerstand war fast nirgends versucht worden, oder es war dem Versuche rasch die Nachgiebigkeit gefolgt. In Bayern endigten die zum Teil stürmischen Bewegungen mit der freiwilligen Abdankung König Ludwigs 20. März. Der Bundestag hatte nicht nur keinen Versuch gemacht, das alte System zu behaupten, sondern war ohne Widerstand dem Strome der neuen Bewegung gefolgt. Eine Proklamation vom 1. März versprach alles aufzubieten, um gleich eifrig für die Sicherheit Deutschlands nach außen wie für die Förderung der nationalen Interessen und des nationalen Lebens im Innern zu sorgen. Am 3. März stellte ein Bundesbeschluß jedem Bundesstaate frei, die Censur aufzuheben; am 10. beschloß die Bundesversammlung, Vertrauensmänner zur Revision der Bundesverfassung einzuberufen; wenige Tage später ward die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Bundespalais aufgepflanzt. Inzwischen versuchte man von anderer Seite der Bewegung eine einheitliche Richtung zu geben; es galt, der nationalen Reform der Bundesverfassung die Wege zu ebnen. In diesem Sinne trat (5. März) eine aus Führern der bisherigen Kammeroppositionen bestehende Versammlung in Heidelberg zusammen, die dafür wirkte, daß baldmöglichst eine größere Versammlung von Männern des Vertrauens zusammentrete, und die Einleitung dazu einem Ausschuß von sieben ihrer Mitglieder übertrug. Dieser Ausschuß lud 11. März alle frühern und gegenwärtigen Mitglieder landständischer und gesetzgebender Versammlungen und andere durch das Vertrauen des Volks ausgezeichnete Männer auf den 31. März nach Frankfurt a. M. ein.

Jetzt wurden auch die beiden deutschen Großstaaten von der Bewegung ergriffen, die hier die Gestalt einer gewaltsamen Krisis annahm. Aus Petitionen, die in der ersten Märzwoche auftauchten, erwuchs in Österreich die Revolution vom 13. bis 15. März, die Entlassung Metternichs, die Bewilligung der Preßfreiheit und einer Nationalgarde, die Einberufung von Abgeordneten "zum Behuf der vom Kaiser beschlossenen Konstitution des Vaterlandes". Wenige Tage später wurden die Forderungen der Ungarn gewährt und ein neues verantwortliches Ministerium gebildet. In Preußen war, zu spät um den Sturm zu beschwören, 5. März die früher verweigerte Periodicität des Landtags bewilligt worden. Berlin war seit dem 13. März der Schauplatz unruhiger Auftritte, die das Vorspiel ernsterer Konflikte bildeten. In den zwei Patenten vom 18. März bewilligte der König die Volkswünsche. Aber ein unglücklicher Zufall führte mitten in der Freude über das Errungene den blutigen Zusammenstoß zwischen Militär und Volk herbei, der sich zu einem teilweise hartnäckigen Straßenkampfe bis zum 19. März verlängerte. (S. Preußen.)

Inzwischen war es auch an der äußersten Nordgrenze Deutschlands zum Bruch gekommen. Der König von Dänemark hatte die Trennung beider Herzogtümer und die Einverleibung Schleswigs in Dänemark verfügt, wogegen der Herzog von Augustenburg in Berlin von Friedrich Wilhelm IV. die Zusage erlangte, daß Preußen die Rechte der Herzogtümer, ihre Selbständigkeit, ihre Verbindung und das Erbrecht des Mannsstammes schützen werde.

Unter diesen Erschütterungen kam der Tag heran, an welchem die nach Frankfurt a. M. berufene Versammlung, das sog. Vorparlament, zusammentreten sollte. Am 31. März wurden die Verhandlungen desselben unter dem Vorsitz des Heidelberger Professors Mittermaier eröffnet. Struves republikanisches Programm ward abgewiesen, und die Beratung richtete sich zunächst auf die Berufung des künftigen Parlaments. Die Versammlung beschloß, Schleswig, Ost- und Westpreußen seien in den Deutschen Bund aufzunehmen und in dem künftigen Parlament durch Abgeordnete zu vertreten. Auf je 50000 Seelen sollte ein aus allgemeinen Volkswahlen hervorgehender Vertreter kommen. Am 1. Mai sollte die Versammlung in Frankfurt zusammentreten. Auch der Bundestag erließ 7. April eine diesen Beschlüssen entsprechende Verordnung. Eine schärfere Scheidung der Parteien machte sich bei der Frage geltend, ob die gegenwärtige Versammlung bis zum Beginn des Parlaments permanent bleiben oder nur einen Ausschuß zurücklassen solle; die letztere Ansicht drang durch. Ein Ausschuß von 50 Mitgliedern zur Überwachung der Durchführung der Beschlüsse wurde gewählt; aber die von Hecker und Struve geführte republikanische Minderheit schied nun aus der Versammlung aus. Mitten in die Thätigkeit des 4. April zusammengetretenen Fünfziger-Ausschusses fiel dann die Kunde, daß Hecker und Struve 12. April im bad. Oberlande eine republikanische Schilderhebung versucht hätten. Der Fünfziger-Ausschuß mahnte in