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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutschland und Deutsches Reich (Geschichte 1815-66)

aber sowohl hier wie in seinen Anträgen auf Reform der Bundeskriegsverfassung, die auf eine Teilung der Leitung zwischen Österreich und Preußen und auf Anschluß der kleinern Kontingente an diese beiden Mächte gingen, überstimmt. Dagegen wuchs in der Bevölkerung und in den Kammern die nationale Bewegung. Schon die Schillerfeier des 10. Nov. 1859 war ein gewaltiger Ausdruck derselben. In einigen Ländern, wie in Baden, trat ein völliger Umschwung ein. Dort war das mit Rom geschlossene Konkordat von der Kammer verworfen (März 1860), das Ministerium entlassen und ein liberales aus der Majorität des Landtags gebildet worden, das sich den freisinnigen Fortschritt im Innern und die Forderung der nationalen Interessen als Ziel setzte. Im folgenden Jahre erfolgte die Ablehnung des Konkordats in der württemb. Kammer.

Die auswärtige Lage blieb auch nach dem Ausgange des Italienischen Krieges unsicher, und die Sorge vor weitern kriegerischen Konflikten war allgemein. Die von Frankreich begehrte Überlassung von Savoyen und Nizza erweckte in Deutschland alte Sorgen vor Napoleonischer Politik. So wurde die vom franz. Kaiser gewünschte Zusammenkunft mit dem Prinz-Regenten von Preußen zu einer Demonstration deutscher Einigkeit, indem (16. bis 19. Juni 1860) nicht der Prinz-Regent allein, sondern auch die deutschen Könige und mehrere andere deutsche Fürsten in Baden-Baden erschienen. Aber bei den Besprechungen derselben über die schwebenden deutschen Fragen kam es doch zu keiner Verständigung. Ebenso wenig erfolgte eine solche bei der Zusammenkunft des Prinz-Regenten mit dem Kaiser von Österreich in Teplitz (26. Juli). Das Recht im Bundespräsidium abzuwechseln, lehnte der letztere wieder ab. Der Prinz-Regent hatte den Kaiser auch auf die Reformbedürftigkeit Österreichs im Innern gewiesen. Immerhin war auch hier seit 1859 die Reformfrage in Fluß gekommen. Die Schöpfung eines verstärkten Reichsrats, der periodisch berufen werden sollte (5. März 1860), mit beschränkten Befugnissen in der Gesetzgebung und der Kontrolle des Staatshaushalts, ohne Initiative und ohne Öffentlichkeit, befriedigte freilich noch nicht, zumal nicht in Ungarn. So erfolgte 20. Okt. 1860 die Verkündigung eines Staatsgrundgesetzes für die gesamte Monarchie und besonderer Statute für die einzelnen Kronländer. Aber auch dieser Akt vermochte die Wünsche und Bedürfnisse nicht zu befriedigen, vielmehr erweckten die auf überwiegend feudalen Grundlagen aufgebauten Landesstatute fast allerwärts unverhohlenes Mißvergnügen. Da der Versuch als gescheitert zu betrachten war, so trat der Minister Goluchowski (Dez. 1860) zurück; sein Nachfolger, Schmerling, erließ 26. Febr. 1861 das "Februarpatent", wodurch für die deutsch-slaw. Länder ein engerer Reichsrat, für die Angelegenheiten des Gesamtreichs ein weiterer, aus zwei Kammern bestehender Reichsrat eingerichtet werden sollte.

Während so Österreich langsam anfing sich zu reorganisieren, erwuchsen dem liberalen Regiment in Preußen die Schwierigkeiten, an denen es scheitern sollte. Die Heeresverfassung erlaubte schon längst nicht mehr, auch nur den größern Teil der Wehrfähigen und Wehrpflichtigen einzustellen und drückte so die Eingestellten durch lange Dienstzeit in beiden Aufgeboten der Landwehr ganz unverhältnismäßig. Vor allem aber litt sie, wie zumal die Mobilmachung von 1859 erwiesen hatte, an schweren innern Gebrechen. Schon Anfang 1860 war deshalb ein vom Prinz-Regenten und dem Kriegsminister von Roon aufgearbeiteter Gesetzentwurf an die Kammern gebracht worden, der darauf beruhte, daß zur Erzielung einer höhern Kriegsstärke auch die Friedensstärke der Armee erhöht, eine größere Anzahl von Mannschaften zur Fahne einberufen, der Dienst in der Reserve verlängert, der in der Landwehr verkürzt werden sollte. Um schnell die nötigen Mittel zu erhalten, forderte die Regierung (Mai 1860) einstweilen einen außerordentlichen Militärkredit von 9 Mill. Thlrn., der auch bewilligt wurde, worauf das Ministerium sich beeilte, aus dem Reorganisationsplan eine vollendete Thatsache zu machen. In der nächsten Sitzung gelang es, den Widerstand des Herrenhauses in der Grundsteuerfrage zu überwinden, und darauf ward der Plan der Heeresreorganisation wieder aufgenommen. Das Haus der Abgeordneten bewilligte die Summe mit einigen Abstrichen, jedoch nur als außerordentliche Ausgabe (Mai 1861). Inzwischen war (2. Jan. 1861) König Friedrich Wilhelm IV. seinen Leiden erlegen, und der Prinz-Regent bestieg als Wilhelm I. den Thron und hob dabei, zumal bei der Krönung (Okt. 1861), das Königtum von Gottes Gnaden wieder scharf hervor. Im Abgeordnetenhause bildete sich eine heftige Opposition, nachdem sich (Juni) aus der frühern liberalen Partei die Deutsche Fortschrittspartei gebildet hatte, die den freisinnigen Ausbau der Verfassung, die gesetzliche Verantwortlichkeit der Minister, die Selbstverwaltung in Gemeinde, Kreis und Provinz, die Reform der Ehegesetzgebung, die Einführung der zweijährigen Dienstzeit und die durchgreifende Umgestaltung des Herrenhauses sowie die Einigung Deutschlands mit Volksvertretung und preuß. Centralgewalt in ihr Programm aufnahm.

In den deutschen Angelegenheiten war indessen kein sichtbarer Fortschritt erfolgt. In Kurhessen setzte die Regierung, aller Mahnungen Preußens ungeachtet, ihren Widerstand gegen die rechtmäßige Verfassung fort und ließ dreimal nacheinander Wahlen auf Grund der octroyierten Ordnungen vornehmen, worauf das Land dreimal die Antwort einer Inkompetenzerklärung abgab. Die Bemühung, die norddeutschen Küstenstaaten zu einer gemeinsamen Flottenschöpfung unter Preußens Leitung zu bewegen und ein gemeinsames Verteidigungssystem für sämtliche deutsche Küstenstaaten aufzustellen, wofür Moltke, Chef des preuß. Generalstabes, dem Bundestag Pläne vorlegte, scheiterte an dem Übelwollen Österreichs und der Mißgunst Hannovers, das gern selbst die Leitung der nichtpreuß. Uferstaaten übernommen hätte. Wohl aber that Preußen für sich mehr als bisher, um seine maritime Stellung zu verstärken, und auch der Deutsche Nationalverein unterstützte mit Wort und That dies Bestreben. Die Versuche Preußens, sich mit Österreich über die Reform der Bundeskriegsverfassung zu verständigen, schlugen fehl; dagegen schlossen sich Österreich und die Mittelstaaten wieder enger zusammen. Im Okt. 1861 trat der sächs. Minister von Beust mit einem Reformprojekt hervor, worin er vorschlug, den Bundesvorsitz zwischen Österreich und Preußen halbjährlich wechseln zu lassen, den Bundestag auf 47 Mitglieder zu erweitern und von Zeit zu Zeit (nicht periodisch) eine Versammlung von Delegierten der Landesvertretungen (je 30 für Österreich und Preußen, 68 für die übrigen Staa-^[folgende Seite]