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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ernährung

geruchlos, und der Körper, der die feinsten Unterschiede im Tastgefühle, in den Schwingungen der Licht- und Schallwellen erkennt, vermag mit seinem Geschmackssinne eine eiweißarme Nahrung nicht von einer eiweißreichen zu unterscheiden. Wenn wir gegenwärtig einzelne Speisen, wie Fleisch, Eier, Milch u.s. w., als besonders eiweißreich bezeichnen, so ist dies nur ein Ergebnis der chem. Analyse, deren Kenntnis in weite Kreise gedrungen ist. Für die E. ist es ziemlich gleich, welche Eiweißsorten in den Speisen genossen werden; denn der Körper besitzt die wichtige Fähigkeit, sie alle je nach seinen Bedürfnissen umzubilden, und die Muskeln und Organe wachsen, ob Pflanzeneiweiß, oder Fleisch, oder Eiereiweiß oder Kuhmilch - Caseïn als Nährstoffe eingeführt wurden. Die Grundsubstanz jeder tierischen Zelle sind Eiweißverbindungen, welche, mit Wasser imbibiert, halbweiche bis knorpelharte Formen annehmen und so das widerstandsfähige Material darstellen, mit dem der Körper die verschiedenartigen ihm Form und Gestaltung verleihenden Zellengebilde aufbaut. Mit Recht bezeichnet man in diesem Sinne die Eiweißstoffe als plastische Nährstoffe. In der lebenden Zelle des Tierkörpers und durch sie wandeln sich die aufgenommenen Eiweißstoffe in organisiertes, lebendes Eiweiß um. Dieser Vorgang ist jedoch kein glatter. Durch die Lebensprozesse wird ein Teil der Eiweißmoleküle selbst betroffen; sie spalten sich und zerfallen in niedere Produkte, die nun für das Leben der Zelle wertlos und durch den eingeatmeten Sauerstoff weiter oxydiert und als Endzersetzungsprodukte aus dem Körper ausgeschieden werden. So wird beim Menschen und Fleischfresser die Stickstoffgruppe des Eiweißes größtenteils als Harnstoff, bei den Pflanzenfressern als Hippursäure, bei den Vögeln, Schlangen u. s. w. als Harnsäure im Harne abgegeben. (S. Stoffwechsel.) Empfängt der Mensch oder der Tierkörper gar kein Eiweiß in der Nahrung, wie bei Hunger oder in Krankheiten, so ist die lebende Zelle gezwungen von ihrem eigenen Vorrat zu zehren. Es zerstört also auch der hungernde Mensch stetig Eiweiß; der Körper verarmt an Eiweiß, konsumiert sich selbst bis zur untersten Grenze des Eiweißbestandes, bei welchem die lebende Zelle nicht mehr bestehen kann und der Körper erschöpft zu Grunde geht. Je reichlicher vorher die Eiweißernährung war, und je größer der in guten Ernährungstagen angesetzte Vorrat von organisiertem Eiweiß ist, desto länger erträgt der Körper den Eiweißhunger und kann in diesem Falle 30 bis 40 Tage und selbst länger ohne jede Eiweißzufuhr bestehen, während ein vorher ungenügend mit Eiweiß ernährter Körper schon in einer Woche dem Eiweißhunger erliegt. Es ist leicht verständlich, daß die Zellen des Körpers nur so viel Eiweiß ansetzen und organisieren können, als sie selbst verbraucht haben oder zur Neubildung und zum Wachstum benötigen. Ein Überschuß an Eiweißnahrung kann somit im Körper keine Verwendung finden, sondern wird zerstört und in Form der Endzersetzungsprodukte wieder ausgeschieden (cirkulierendes Eiweiß). Darum steigt auch mit der Eiweißzufuhr die Größe des Eiweißzerfalles, und Voit fand, daß der Fleischfresser 480 g und 2500 g Fleisch täglich aufnehmen konnte, bei längerer Fütterung die ganze Menge täglich zerstörte und deren Zersetzungsprodukte ausschied (Stickstoff-Gleichgewicht). Wichtig ist die Thatsache, daß der Mensch wie auch der Tierkörper bei angestrengter Muskelarbeit nicht mehr Eiweiß zerstört als in der Ruhe. Eine Steigerung des Eiweißumsatzes tritt jedoch ein durch reichliches Wassertrinken, durch Zufuhr einiger Salze, Gifte (namentlich Phosphor) und besonders durch Temperaturerhöhung des Körpers. Letzterer Vorgang wirkt direkt auf die Lebensprozesse der Zellen und zwingt sie zu rascherer Konsumtion. Solche Fälle treten ein bei anstrengenden Märschen, die eine Überwärmung des Körpers zur Folge haben, oder bei unvorsichtigem Gebrauche von heißen Dampf- und Sandbädern und bei allen fieberhaften Zuständen des Körpers. Zur E. bedarf der erwachsene Mensch bei mittlerer Arbeitsleistung nach Voits Beobachtungen täglich 118 g Eiweiß.

2) Fette. Diese sind dem Körper darum so wichtige Nährstoffe, weil sie im kleinsten Gewicht die größte Menge von Spannkräften enthalten. Sie sind also besonders geeignet, innerhalb des Körpers große Mengen von Wärme zu bilden, die zum Leben notwendige Eigentemperatur zu erhalten sowie an der Entwicklung der Muskelkraft sich zu beteiligen. Die in den Nahrungsmitteln aufgenommenen Fette des Pflanzen- und Tierreichs bestehen zum größten Teil aus Neutralfetten, und zwar aus einer Mischung von Trioleïn und Tristearin nebst Tripalmitin. Die Fette sind in Wasser und in den Körperflüssigkeiten vollständig unlöslich. Überall, wo das Fett im Körper cirkuliert, kommt es in Form feinster Tröpfchen vor (Milch, Chylus, Blutserum, Lymphe). In dieser Form vermag das Fett die feinsten Kanäle und Spalten im Körper leicht zu durchwandern. An dem Aufbau der Zellen kann sich das Fett nicht direkt wie die Eiweißstoffe beteiligen. Da jedoch das Fett in eigenen kleinen Zellengebilden, den Fettzellen, abgelagert wird, und diese sich an bestimmten Stellen im Innern des Körpers, besonders aber unter der äußern Hautbedeckung vorfinden, so erhält der fettreiche Körper die weichen, runden Formen des guten Ernährungszustandes. Die Größe der Fettzersetzung und der Fettbedarf hängt ganz wesentlich von den äußern und innern Zuständen des Körpers ab. So zerstört der hungernde Mensch genau so große Fettmengen, als er zur Gleichhaltung seiner Körperwärme bedarf. Bei jeder körperlichen Arbeitsleistung, durch die mehr Kraft verbraucht wird und auch die Wärmeabgabe infolge der stärkern Respiration gesteigert ist, erfolgt sofort eine Erhöhung des Fettumsatzes. Während z. B. ein hungernder Mensch bei körperlicher Ruhe im Tage 208 g Fett zerstörte, wurde von demselben bei Hunger und Arbeitsleistung fast noch einmal soviel Fett (380 g) verbrannt. Stets wird im Schlafe weniger Fett verbraucht als beim Wachen, und in dem auf einen anstrengenden Arbeitstag folgenden Schlafe ist der Fettumsatz sogar noch um 22 Proz. geringer als während des weniger tiefen Schlafs nach einem ruhig verlebten Tage. Auch jede Einwirkung von Kälte erhöht sofort den Fettumsatz, sodaß in kalten Klimaten das dringendste Bedürfnis nach Fettnahrung besteht. Die Fettmengen, welche der Körper in seinem Fettgewebe aufspeichert, sind als Reservenahrung von größter Wichtigkeit. Sie machen den Menschen in bestimmtem Umfange unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Genießt der Mensch im Durchschnitt so viel Fett, als er täglich zerstört, so bleibt sein Vorrat unverändert. Nimmt aber der Mensch mehr Nahrungsfette auf, als er braucht, so wird der ganze