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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Erstickung - Ertgau
den opferbaren Tieren geltenden Brauches zu erblicken
iein. Aus dem Opser der Frühjahrserstgeburten der
Herden hat sich wahrscheinlich das Passahfest ent-
wickelt. (S. Erstlinge.) Aus dem Vorrang und Vor-
recht der Erstgeborenen erllärt sich auch die bildliche
Anwendung des Ausdrucks "erstgeborener Sohn"
auf das ganze Volk Israel, sowie im Neuen Testa-
ment auf Christus und dessen treue Vekenner. -
Nber E. in neuerer Bedeutung s. Primogenitur.
Erstickung (suikocatio), diejenige Todesart,
welche durch Entziehung atembarer Luft und die dar-
auf folgenden Vlutveränderungen verursacht wird.
Sie ersolgt entweder dadurch, daß die äußere Luft
verhindert wird, in die Lungen zu gelangen, also
z. B. durch Zuschnürung der Luftwege von außen
her, durch Erdrosselung (s. d.), durch Verstopfung
der Luftwege (z. B. durch verschluckte fremde Körper,
durch Krupphäute), durch Anfüllung der Luftwege
und Lungen mit fremden Flüssigkeiten, wie beim
Ertrinken (s.d.) und beim Stickfluß oder Lungenodem
(s. d.), durch Verminderung oder Aufhören der
Atembewegungen bei verfchiedenen Erkrankungen
des sog. Atmungscentrums im verlängerten Mark
des Gehirns, oder dadurch, daß statt der atmosphä-
rischen Luft ein anderes Gas eingeatmet wird,
welches entweder einfach unatembar (sauerstofflos),
wie die Kohlensäure, oder direkt giftig sein kann,
wie das Kohlenoxydgas, Schwefelwasscrstofsgaö
u. a. Das Wesen der E. besteht in Folgendem:
Sobald kein Sauerstoff, keine Lebensluft mehr in
die Lungen gelangt, fo verliert das Blut seine be-
lebende Eigenschaft und nimmt im ganzen Körper
eine dunkle, dünnflüssigere (cyanotische) Beschaffen-
heit an; es färbt daher auch Lippen, Zunge, Wangen
und andere Teile blau oder schwärzlich und häuft
sich in den Lungen, dem rechten Herzen, den Körper-
venen und dem Gcbirn an, wodurch bald heftige
Beklemmung und Atemnot (Dyspnoe), krampf-
artige Zusammenziehungen der Atmungsmuskeln
und schließlich allgemeine, den epileptischen ähn-
liche Krämpfe (Erstickungskrämpfe) entstehen.
Durch diese überfüllung mit sauerstofflosem, da-
gegen stark kohlensäurehaltigem, wie ein narkotisches
Gift wirkendem Blute wird jedoch rafch die Thätig-
keit des Gehirns gelähmt (Betäubung) und nicht
minder die des verlängerten Markes, der Atmungs-
und Herznerven. Daher erfolgt nun der Tod von
diesen Centralorganen aus, wie man sich ausdrückt,
bald durch Stickfluß (Atmungslähmung), bald durch
Schlagfluß (Hirnlähmung). Da beides beim reinen
Erstickungstode nicht gar zu rasch vor sich geht, dieser
vielmehr durch ein verschieden langes Stadium von
Scheintod eingeleitet wird, so sind Belebungsver-
suche bei Erstickten niemals zu unterlassen.
Die Belebungsversuche beginnt man damit,
daß man den Atmungswcgen wieder sauerstoffreiche
Luft zuführt, also z. B. den Strick des Erhängten
abschneidet, den Erstickten aus den mit schädlichen
Luftarten gefüllten Räumen hinwegbringt, alle be-
engenden und fest anliegenden Kleidungsstücke ent-
fernt u. s. w. Befindet sich der Erstickte in einem
mit Kohlendunst erfüllten Zimmer, so darf man
nur mit der größten Vorsicht eindringen, um nicht
selbst zum Opfer zu fallen: man erzeuge erst mittels
Offnen der Thüren und Einschlagen der Fenster von
außen her einen gehörigen Luftzug, und wenn dies
nicht möglich ist, binde man sich ein nasses Tuch
vor Mund und Nase, schöpfe noch einmal vor der
Thür tief Atem und springe dann durch das Zim-
mer auf das nächste Fenster zu, um es einzuschlagen;
hat man durch das eingestoßene Fenster frische Luft
geschöpft, so springe man zum nächsten Fenster und
fahre so fort, bis starker Luftzug den Kohlendunst
vertrieben hat und der Bewußtlose ohne Gefahr
herausgeholt werden kann. Dann beginne man die
Wiederbelebungsversuche mit der künstlichen At-
mung nach Sylvester (s. Scheintod), bis die ersten
selbstthätigen Atembewegungen des Erstickten be-
merkt werden. Ist dies der Fall, so sind starke
Riech- und Niesmittel, kräftige Hautreize (Bespren-
gen mit kaltem Wasser, Reiben und Bürsten des
ganzen Körpers, Einwickeln der Füße in Senfteige)
und reizende Klystiere anzuwenden; auch stoße man
nun dem Verunglückten einige TheelöM warmes
Wasser, Thee, Kaffee, Wein oder Grog ein. übrigens
soll man derartige Belebungsversuche niemals zu
früh abbrechen, weil wiederholt Fälle beobachtet
wurden, in denen Erstickte erst nach mehrstündigen
Bemühungen aus ihren: Scheintode erweckt wurden.
- Vgl. Ed. H. Müller, Die Behandlung Verun-
glückter bis zur Ankunft des Arztes (2. Aufl., Verl.
1868); Esmarch, Die erste Hilfe bei plötzlichen Un-
glücksfällen (10. Aufl., Lpz. 1891).
Erstlinge. Die Sitte, von Pflanzen und Tieren
als den Geschenken der Gottheit den ersten Ertrag
wiederum der Gottheit zu weihen und darzubringen,
ist im Altertum weit verbreitet. Erst hierdurch er-
hält die ganze übrige Ernte den Charakter der Rein-
heit, wird ihr Genuß erlaubt. Daher bildet bei den
alten Völkern die Darbringung der E. (Aparche)
einen wesentlichen Teil des Opferkultus. So war
es auch bei den alten Israeliten. Doch haben nicht
alle Erstlingsopfer ihren ursprünglichen Opfer-
charakter behalten, viele sind zu Abgaben für die
Priester geworden. Aus den Erstlings opfern haben
sich wahrfcheinlich die drei großen Wallfahrtsfcste
des israel. und jüd. Volks, Ostern, Pfingsten und
Laubhütten, entwickelt. Sehr deutlich issdcr Erst-
lingscharakter noch bei der Ostergarbe und den
Psingstweizenbroten. (S. auch Erstgeburt.)
Erstmilch, f. Colostrum.
Ersuchen um Rechtshilfe, Requisition,
dasjenige E., welches die mit einer Rechtssache be-
schäftigte Gerichts- oder Verwaltungsbehörde an
eine andere Amtsstelle, sei es des Inlandes oder
des Auslandes, um Vornahme eines zur Erledigung
der Rechtssache dienenden, aber außerhalb der eige-
nen Zuständigkeit der ersuchenden Amtsstelle lie-
genden Aktes "richtet. Von besonderer Bedeutung
ist das E. im Civil- und Strafprozesse. Dasselbe
kommt namentlich in Betracht: g.. für Zustellungen
im Auslande, d. für Mitteilung behördlicher Ur-
kunden und Akten, c. für Beweisaufnahmen im In-
und Auslande, ä. für Zwangsvollstreckungen, 6. für
sonstige Rechtshilfe. Die heutige deutsche Gerichts-
verfassung wird von dem Grundsatze beherrscht,
daß die Gerichte sich in bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten und in Straffachen 'Rechtshilfe (s. d.) zu leisten
haben. Die besondere Bezeichnung ersucht er
Richter legen die deutschen Prozehordnungen dem-
jenigen Amtsgerichte bei, welches vor dem erken-
nenden Gericht um Vornahme, einer Beweisauf-
nahme oder eines Sühneversuchs angegangen wird.
Ersuchter Nichter, s. Ersuchen.
Ertag, s. Dienstag.
Ertgau, im Mittelalter ein die jetzigen württemb.
Oberämter Rieolingen und Saulgau des Donau-
treises umfassender Bezirk.