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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ethikotheologie - Ethnographie und Ethnologie

doch dieselben Grundprobleme immer wiederkehren. Doch bleibt der große Hauptgegensatz der apriorischen oder empirischen, autonomen oder heteronomen, idealistischen oder naturalistischen Begründung immer der allbeherrschende. Sokrates und Plato hatten ihre idealistischen Grundsätze bereits gegen eine mächtige empiristische Richtung der E. (besonders vertreten durch die Sophisten) durchzusetzen; in Aristoteles siegt eigentlich der Empirismus. Auch die stoische Moral, so entschieden sie einen idealistischen Zug verrät, so hoch sie die ideale Forderung der Sittlichkeit zu spannen weiß, bleibt doch in der eigentlichen Begründung (die übrigens bei dem starren Dogmatismus dieser Philosophie nicht im Vordergrund steht) eudämonistisch und naturalistisch; vollends die Epikureische E. ist der Typus einer empiristischen Moralbegründung. Ganz zwar wurde diese Richtung zurückgedrängt durch den Supranaturalismus der Neuplatoniker wie des Christentums, von dem erst die beginnende Neuzeit sich allmählich losmachte. Männer aber wie Montaigne, Gassendi, Hobbes bezeichnen sehr kenntlich die Rückwendung zu einem entschlossenen Empirismus, der dann in voller Schärfe namentlich in der engl. Moralphilosophie seit Locke entwickelt wurde. In Spinoza geht diese naturalistische Richtung einen merkwürdigen Kompromiß ein mit einem halb mystischen Rationalismus. Zugleich treten die ethischen Probleme seit dem 17. Jahrh. in zunehmend engern Kontakt mit denen der Staats- und Gesellschaftslehre. Diese Richtung ist in England und Frankreich im großen und ganzen herrschend geblieben, während in Deutschland das Auftreten Kants ("Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", 1785; "Kritik der praktischen Vernunft", 1788) einen scharfen Einschnitt macht und die Behandlung der E. auf lange hinaus bestimmt, sodaß auch die Gegner seiner (oben skizzierten) Grundrichtung unter seinem Einfluß stehen. So lassen sich Fichte, Schleiermacher, Herbart eigentlich nur von Kant aus richtig verstehen. In jüngster Zeit ist der bei den Engländern namentlich durch Bentham und Mill zur Herrschaft gelangte Empirismus und Utilitarismus, ebenso wie der Evolutionismus Spencers, auch in Deutschland wieder mächtig geworden, sodaß die Betonung der idealistischen Grundsätze, deren reinste Ausprägung wir Kant verdanken, von neuem zur Notwendigkeit geworden ist. - Hervorgehoben seien von den sehr zahlreichen auf E. bezüglichen Werken der neuern Zeit nur die von Baumann (Handbuch der Moral, Lpz. 1879), von Hartmann (Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, Berl. 1879 u. ö.); Laas (Idealistische und Positivistische E., 2. Teil von: Idealismus und Positivismus, ebd. 1882), Steinthal (Allgemeine E., ebd. 1885), Wundt (Ethik, Stuttg. 1886; 2. Aufl. 1892), von Gižycki (Moralphilosophie gemeinverständlich dargestellt, Lpz. 1888), von Höffding (E., deutsch von Bendixen, ebd. 1888), Paulsen (System der E., Berl. 1888; 2. Aufl. 1891). - Auch die Geschichte der E. ist, nach dem Vorgang Älterer, wie Meiners, Stäudlin, I. H.^[Immanuel Hermann] Fichte u. a., mehrfach wieder bearbeitet worden, so namentlich von Jodl (E. in der neuern Philosophie, 2 Bde., Stuttg. 1882-89), Ziegler (E. der Griechen und Römer, Bonn 1881; Christliche E., Straßb. 1886; 2. Aufl. 1892), Köstlin (Tl. 1, Tüb. 1887), Luthardt (Christliche E., Lpz. 1893).

Ethikotheologie (grch.), bei Kant im Gegensatz zur Physikotheologie in der "Kritik der Urteilskraft" diejenige Lehre vom göttlichen Wesen, die auf der Voraussetzung des Endzwecks der Menschen als moralischer Individuen beruht.

Ethisch, auf Ethik (s. d.) bezüglich, darauf beruhend, sittlich. Neuerdings entstand in Deutschland eine sog. ethische Bewegung, die die Erkenntnis des Sittlich-Guten mit dem Handeln in Einklang bringen will. Deutsche Gesellschaften für ethische Kultur bildeten sich und vereinigten sich mit solchen in England und Nordamerika 1894 zu einem Ethischen Bunde. - Vgl. Brasch, Die Ziele der ethischen Bewegung (Lpz. 1893).

Ethmoïdālknochen (Os ethmoïdĕum), das Sieb- oder Riechbein (s. d.).

Ethnárch (grch., d. h. Volksherrscher), in Syrien und Palästina zur Römerzeit häufiger Titel eines unter der Oderhoheit Roms stehenden Teilfürsten. Der Name kommt aber auch in der Bedeutung Statthalter vor. Ethnarchie, Bezirk eines E.

Ethnogrăphie und Ethnolŏgie (grch.), zwei Bezeichnungen der Wissenschaft, die man unter dem Ausdruck Völkerkunde zusammenfaßt. Manche machen einen Unterschied zwischen Ethnographie, der einfachen Beschreibung und Klassifikation der Völker, und Ethnologie, der tiefern Untersuchung über Rasse, Volkstum, Abstammung, Sitten und Zeugnisse des geistigen Lebens der Völker. Ethnographie wird im allgemeinen mehr in deutschen, Ethnologie in engl. Schriften gebraucht. Das Objekt der unter beiden begriffenen Wissenschaft ist der Mensch als Mitglied einer Familie, eines Stammes oder Volks, kurz einer durch eine gemeinsame Kultur und Sitten gebildeten und meist auch durch eine gemeinsame Sprache geeinten und geschichtlich verwandten Gesellschaft. Daraus ergiebt sich der Unterschied zwischen der Ethnographie und den mit ihr sachverwandten Wissenschaften, vor allen der Anthropologie (s. d.), welche den Menschen als Einzelwesen betrachtet, und der Anthropogeographie (s. d.) und polit. Geographie, die den Menschen und die Völker nach ihrer geogr. Verbreitung betrachten. Daher ist es Aufgabe des Ethnographen, die verschiedenen Gesellschaftsformen, unter denen der Mensch auftritt, zu schildern und ihre Bedingungen zu analysieren, alles was den Besitz des Menschen ausmacht, vom einfachsten Gerät bis zur mytholog. Dichtung, in der der Keim der Gottesidee liegt, zu beschreiben, entwicklungsgeschichtlich zu verfolgen und den Einfluß aller dieser Dinge auf das Leben der Völker nachzuweisen, das durch sie seine Eigentümlichkeit erhält. Jedenfalls wird unter allen das Volkstum begründenden Faktoren die Sprache als Organ des geistigen Lebens am höchsten zu schätzen sein, da sie am innigsten mit dem Volk zusammenhängt und die sichersten Schlüsse auf seine Verwandtschaft gestattet; daher bildete bisher die Beschreibung und Klassifikation der Sprachen (linguistische Ethnographie) die wissenschaftliche Basis fast eines jeden natürlichen Systems der Ethnographie. Die linguistische Ethnographie ist ein Produkt der Sprachvergleichung. Alle vorwiegend von deutschen Gelehrten der Boppschen Schule gelieferten sprachvergleichenden Arbeiten allgemeiner Natur sind auch Vorarbeiten für die linguistische Ethnographie.

Als Quellen der linguistischen Ethnographie sind außer dem unvollständigen und bereits vielfach veralteten Adelung-Vaterschen "Mithridates" (4 Tle. in 5 Bdn., Berl. 1806-17) zu nennen: die Arbeiten von Barth (für Afrika), Beames (für ind.