Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

616
Fechtart
Das zweite Tressen wurde bald in Mitleidenschaft
gezogen, das Vorschieben der ineist schwachen Re-
serve war die hauptsächlichste Einwirkung während
des Kampfes. Die Thätigkeit der Kavallerie mußte
im allgemeinen dem selbständigen Entschluß der
Kavallerie-Flügelcommandeure überlassen werden.
Ein großer Umschwung der F. wurde durch die
zu Ende des 18. Jahrh, beginnende Ausnutzuug
des Geländes hervorgegerufen. Es verdient als
charakteristisch hervorgehoben zu werden, daß die
Lineartaktik nicht etwa deswegen verschwand, weil
man sie für veraltet hielt, sondern weil die rasch auf-
gestellten Volksheere der Noroameritaner und der
franz. Republik zunächst sich nicht in geregelter
Schlachtordnung zu schlagen vermochten. Sie hatten
weder genügeud Offiziere, die die Ausbildung in der
Lineartaktit zu übernehmen verstanden, noch Zeit,
um ihre Mannschaften in der peinlichen Weise zu
exerzieren und disciplinieren, die die Fridericianifche
Schule auszeichnete. Außerdem fehlte es in vielen
Fällen an einer Vorbedingung der Lineartaktik,
nämlich an dem ebenen, nicht durchschnittenen Ge-
lände. Obwohl die franz. Reglements von 1791 und
1805 sich in den Formationen nur wenig von denen
der preuß. Reglements von 1743 unterschieden, brach
man zunächst unbeabsichtigt mit der Lincartaktik, in-
dem die Kolonne (s. Kolonnentaktik) und eine im
Reglement nicht vorgesehene F. angewandt wnrden.
Nach dem Reglement von 1791 stand die franz. In-
fanterie in 3 Gliedern, das Bataillon hatte 8, später
6 Compagnien. Das erste franz. Infanterietreffen
löste sich anfangs ganz in ungeordnete Tirailleur-
schwärme auf und drang so vorwärts. Bei der un-
genügenden Vorbereitung des Angriffs, dem fast
gänzlichen Mangel an Reserven, waren Rückschläge
unausbleiblich. Französischerseits verfiel man zu-
nächst darauf, entscheidende Schlachten zu vermeiden,
den Krieg durch zahlreiche, kleine Gefechte zu führen
und dabei die vorhandene, an Zahl den Gegnern weit
überlegene Mannschaft rücksichtslos einzusetzen.
Noch schlechter als um die taktische Ausbildung
der Infanterie stand es bei Ansbruch der Revolution
mit Remontierung und Ausbildung der franz. Ka-
vallerie. Da sie im Einzelkampf gegen preuß. oder
österr. Reiterei stets den kürzern zog, suchte man
durch die Masse zu wirken und vereinigte bis zu
30 Schwadronen uuter daueruder Zuteilung von
1 bis 2 Batterien zu Kavalleriedivisionen.
Unter Napoleon hat die franz. Kavallerie eine
der Fridericianischen nicht nachstehende Ruhmes-
epoche. Obwohl nicht aus durchgebildeten Reitern
bestehend, gab sie in vielen Schlachten die Ent-
scheidung, weil sie, in Masse und am rechten Ort
eingesetzt, sich ohne Künsteleien ungestüm auf den
Feind warf. Obwohl selbst ein schlechter Reiter,
wußte Napoleon seiner Kavallerie die rücksichts-
loseste Vravour einzuhauchen, und seine Reiter-
generale, unter denen besonders Murat, Nansouty,
Exelmans, Sebastiani, Latour-Maubourg und Mil-
haud hervortreten, verstanden es, selbst schlecht
ausgebildete Truppen auf elenden Pferden in
Masie zu bewegen und mit ihrer Wucht den Gegner
niederzurennen. Einen eigentümlichen Gegensatz
hierzu bildete die preuß. - österr. Kavallerie, die,
an und für sich von weit besserer Beschaffenheit
und im allgemeinen der Zahl nach weit überlegen,
vielfach ganz unthätig blieb, höchstens in verein-
zelten kleinen Abteilungen auftrat und niemals
einen wirklich entscheidenden Erfolg davontrug.
Die franz. Artillerie stand schon bei Beginn der
Revolution auf einer hohen Stufe wissenschaftlicher
Ausbildung, blieb aber zunächst an Zahl gegen-
über dem schnellen Anwachsen der Massenaufgebote
schwach. Sie war in Batterien zu 6-8 Geschützen
formiert und in der Stärke von 2 bis 3 Batterien an
die Infanteriedivisionen verteilt. Regimentsstücke
gab es nicht mehr, da die Fechtweise der Infan-
terie in Tirailleurschwärmen die Beigabe von Ge-
schützen an die einzelnen Bataillone unmöglich
machte. Erst späterhin bildete sich der Grundsatz
aus, daß die Artillerie den Stoß der andern Waffen
vorbereiten müsse. Dementsprechend vereinte Na-
poleon I. die Artillerie in großen Batterien und
sonderte sich große Geschützreserven (bis zu 100 Ge-
schützen) aus, die sich in seiner Meisterhand außer-
ordentlich bewährten, die aber bei ungeschickter Be-
nutzung von feiten seiner ihm nachahmenden Gegner
häufig gar nicht zur Wirksamkeit kamen.
Seine Infanterie formierte Napoleon in Armee-
korps, welche ans 2-4 Divisionen bestanden und
denen je 1 Division oder Brigade leichter Kaval-
lerie zugeteilt war; die Hauptmasse der Kavallerie
formierte er anfangs in selbständige Divisionen,
die zusammen zwar den Namen Kavalleriereserve
führten, stets aber zum strategischen Aufklärungs-
dienst vor der Front der Armee verwendet wurden;
in den Feldzügen von 1812 bis 1815 wurde auch
die Kavallerie in mehrere Kavalleriekorps, jedes
aus mehrern Divisionen bestehend, zusammenge-
zogen; ihre Verwendung in dieser Epoche war
übrigens mehr taktischer als strategischer Natur.
Das in der Fridericianischen Zeit so entscheidende
Ansetzen der Truppen zum Gefecht verliert einen
Teil seiner Bedeutung. Der Kampf nimmt einen
langsamern Verlauf. Fehler in der ersten Anlage
können durch das Eingreifen frifcher Truppen wieder
gut gemacht werden. Neben die Kunst des Ansetzens
zum Gefecht tritt ebenbürtig die Leitung im Gefecht.
Wie die strategische Thätigkeit Napoleons darauf
gerichtet war, in überraschender Weise Kräfte auf
einem Punkte zu vereinigen, fo erscheint als Ziel
seiner Echlachtenleituug häufig das Durchbrechen
der feindlichen Mitte als die entscheidendste Aktion.
Die den Napoleonischen Feldzügen folgende lange
Friedenszeit, bis 1859, nur durch vereinzelte, lokali-
sierte Feldzüge unterbrochen, zeitigte in den meisten
Armeen ein pedantisches Wesen, über dem reinen
Exerzieren vergaß man den Felddienst.
Die Infanterie ist teils in 3 Gliedern formiert
(Rußland, Osterreich), teils in 2 Gliedern (Frank-
reich, England), in Preußen bald in 3 Gliedern (zum
Exerzieren und zur Parade), bald in 2 Gliedern (zum
Gefecht). Seit der Mitte des 19. Jahrh, wird die Be-
waffnung der Infanterie mit gezogenen Gewehren
(Vorderladern, s. Handfeuerwaffen) verschiedener
Systeme durchgeführt, Preußen allem führte seit 1848
den Hinterlader (Dreysesches Zündnadelgewehr, s.d.)
ein; aus der Kolonnentaktik der Napoleonischen Zeit
entwickelt sich allmählich eine neue, das Schützen-
gefecht mehr und mehr in den Vordergrund rückende
Taktik, welche, zuerst in Preußen, zur Zerlegung
der großen Bataillonskolonnen in die beweglichen
Compagniekolonnen (s. d.) führt. Auch in dieser Be-
ziehung ist die preuß. Taktik für alle andern Heere
vorbildlich; nach den preuh. Erfolgen im Kriege 1860
wird der Hinterlader und die (5ompagniekolonnen-
tattik von der Infanterie aller europ. Heere ange-
nommen.