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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Fleischhandel
Beide Verfahren haben ihre Licht- und Schatten-
seiten. Der Hauptvorzug des Imports lebenden
Schlachtviehs liegt darin, daß der Gesundheits-
zustand der Schlachttiere vor und nach dem Schlach-
ten durch Sachverständige festgestellt und krank be-
fundene Tiere vom Konsum ausgeschlossen werden
können. An ausgeschlachtetem Fleische ist dagegen
der gewandteste Sachverständige nicht mehr im
stände, die Herkunft von kranken Tieren in allen
Fällen zu erkennen. Wenn daher am Orte der
Schlachtung eine mangelhafte oder, wie es in Ame-
rika bis vor kurzem durchweg der Fall war, gar
keine Fleifchbeschau (s. d.) ausgeübt wird, so kann
nicht verhindert werden, daß auch Fleisch von kran-
ken Tieren, darunter selbst solches mit gesundheits-
schädlichen Eigenschaften, eingeführt wird. Die
Nachteile der Einfuhr lebender Schlachttiere be-
stehen in der Gefahr der Seucheneinschleppung und
Verschleppung, ferner in den hohen Transportkosten
lebender Tiere. Beide Momente sind von größter
Bedeutung; das erstere ist eine eminente Gefahr
für die Landwirtschaft, das zweite volkswirtschaft-
lich sehr nachteilig, weil die Leistungsfähigkeit eines
Volks wesentlich davon abhängig ist, ob das-
selbe sich hinlänglich mit Fleisch ernähren kann.
In England sucht man aus solchem Grunde die
Einfuhr von Fleifch möglichst zu erleichtern und
stellt die finanzielle Seite des Fleifchverkehrs so sehr
über die hygieinische, daß bis jetzt von einer strengen
Überwachung des Fleifchverkehrs Abstand genom-
men wurde. Den Unterschied zwischen dem Trans-
port lebender Rinder und demjenigen ausgeschlach-
teten Fleisches (in Eiswaggons)"zeigt Hausburg
("Vieh- und Fleischhandel", Berl. 1879) an mchrern
Beispielen. So beträgt die Ersparnis beim Versand
des ausgeschlachteten Fleisches von 30 Ochfen von
Königsberg bis Hamburg 671^ M., für das Fleisch
von 5671 Schafen von Berlin bis Paris 20810 Frs.
Als ein sehr zweckmüßiges Auskunftsmittel, wenig-
stens für die Fleifchversorgung aus den Nachbar-
ländern, wurde die Errichtung sog. Grenzschlacht -
Häuser empfohlen. Diefelben, hart an der Grenze
errichtet, sollten die lebenden Transporte aufnehmen
und das unter einheimischer Kontrolle geschlachtete
Vieh nach dem Binnenlande versenden. Derartige
Schlachthäuser bestehen an der deutschen Ostgrenze
(namentlich in Oberschlesien), in Belgien, Frankreich,
England. Sie erweisen sich auch deshalb lohnend,
weil in der Regel der Eingangszoll für ein lebendes
Echlachtticr viel niedriger ist, als für die Menge des
von demselben Tiere gewonnenen Fleisches. Vor-
bedingung bleibt freilich die Möglichkeit eines fehr
raschen Transports nach den größern Verbrauchs-
plätzen zu billigsten Preisen. Nach dieser Richtung
verfahren unter andern die deutschen Eisenbahnen
sehr zuvorkommend, da frisches Fleisch zu billigen
Sätzen mit den Personen-sogar mit den Schnellzügen
befördert wird. Große Schlächtereien verfrachten das
Fleifch in besonders gebauten und entsprechend ein-
gerichteten Wagen, in denen ganze ausgeweidete und
enthäutete Rinder, Schase, Kälber aufgehängt trans-
portiert und selbst in der warmen Jahreszeit durch
entsprechend beigepacktes Eis auf weite Entfernun-
gen hin befördert werden. In ganz ähnlicher Weife
ist der Transport geschlachteter Tiere aus Austra-
lien, Südamerika und Südafrika nach Europa mit-
tels der Schiffahrt durchgeführt worden. Bei so
langem Transport, der selbst für Dampffchiffe 2-
4 Wochen beanfprucht, unterliegt solches Fleisch
aber doch einer allmählichen, bald mehr bald minder
bemerkbaren Zersetzung, die noch am wenigsten auf-
zutreten fcheint, wenn das Fleisch durch Eisver-
packung oder Umgebung von Eis bis zum Gefrieren
gebracht worden ist.
Außer durch Wärmeentziehung kann der Zer-
setzung des Fleisches durch Räucherung und durch
Einsalzen oder Einpökeln vorgebeugt werden. Ge-
pökeltes Rind- und Schweinefleisch hält sich sehr
lange und findet auch viele Liebhaber, aber doch nur,
nachdem es nicht zu lange Zeit dem Pökelfafse ent-
nommen worden ist. Ist das letztere der Fall, so
ist die Haltbarkeit gleichfalls beschränkt, und eine
Versendung auf sehr weite Strecken würde nur mit
der Pökelflüssigkeit rätlich sein, wodurch jedoch der
Transport sehr verteuert würde. Das bekannte
(^0i'ii6ä dost' von Nord- und Südamerika wird meist
einer schwachen Einpökelung unterzogen, seine Halt-
barkeit erlangt es jedoch erst durch den in der Regel
darauf folgenden Prozeß einer wenn auch nur mäßi-
gen Anräucherung. Gut geräucherte Fleischwaren,
z.V.Schinken, geräuchertes Rindfleisch, geräucherte
Wurst (Hammel- und Kalbfleisch eignen sich dazu
weniger), vertragen unangeschnittcn weite Trans-
porte und in der That gehen z. B. Westfälische und
Prager Schinken, Gothaer und Vraunschweiger
Wurstwaren in weite Ferne, ebenso Hamburger
und Ostfriesisches Rauchfleisch, letzteres unter dem
Namen Nagelholz. Diese künstlich zubereiteten, wenn
auch sehr schätzenswerten Fleischsorten gelten so-
wohl im Volksmunde wie im Handel nicht als
Fleisch (im engern Sinne), sondern als Fleischwaren
(s. d.), was sie auch wirklich sind. Dasselbe gilt
in noch höhcrm Grade von dem Fleischextrakt und
dem Fleischmehl, d. h. von den Extrakten der ver-
meintlich kräftigsten Nährstoffe des Fleisches, die
als recht wirksame Zusätze, sogar als Surrogate
gelten können, das frische Fleisch jedoch dauernd
nicht zu ersetzen vermögen.
Die Summen, welche im innern Verkehr in den
Fleischläden und auf den Wochenmärkten durch den
gefamten F., welchem auch der Viehhandel zuzu-
rechnen ist, umgefetzt werden, sind vielleicht 20-
30mal so hoch als die des auswärtigen Handels.
Wie bedeutend trotzdem die letztern sind, erhellt
daraus, daß 1893 die deutsche Einfuhr von frischem
Fleisch 16610 t im Werte von 11,9 Mill. M., die
Aussuhr 3703 t im Werte von 4,3 Mill. M. be-
trug. Außerdem wurden, wenn auch nicht ausschließ-
lich als Schlachtvieh, sondern teilweise zu Zucht-
zwecken, 211916 Stück Rindvieh (Wert 62,0 Mill.
M.), 800852 Schweine (91,3 Mill. M.) eingeführt,
422365 Schafe (10,6 Mill. M.) ausgeführt.
Über den Fleischverbrauch pro Kopf sind
mancherlei Angaben vorhanden. Dieselben sind
indessen mit Vorsicht aufzunehmen, da derartige
Berechnungen sehr schwierig sind und, weil zum
Teil auf einem nicht sicher ermittelten Durchschnitts-
gewicht der geschlachteten Tiere beruhend, nur an-
nähernd richtig sein können. Geschätzt wird der
Fleischverbrauch 1888 pro Kopf für Großbritannien
auf jährlich etwa 62, für Frankreich auf 42, Deutsch-
land 29 KZ, dagegen für London auf 98 KZ, Paris
87, Berlin 77 KZ. Während aber 1880 in Paris
84 KZ Fleifch pro Kopf verzehrt wurden, betrug der
Verbrauch in Lyon nur 73, Marseille 69, Toulouse
58, Lille 53 KZ, um jedenfalls auf dem platten
Lande ungleich mehr zu fallen, so daß sich schon aus
dieser abnehmenden Zahlenreihe die großen Unter-