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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Verfassung. Verwaltung)

Verfassung. Die Verfassung ist republikanisch und beruht auf der von der Nationalversammlung angenommenen Konstitution vom 25. Febr. 1875 und einigen polit. Akten aus den Jahren 1875, 1879, 1884, 1885 und 1887, welche dieselbe ergänzen. Hiernach regiert der Präsident der Republik mittels der Minister, sowie unter Mitwirkung des Senats (Erste Kammer) und der Deputiertenkammer (Zweite Kammer). Seine Gewalt ist die vollstreckende. Die Deputiertenkammer wird nach Gesetz vom 15. Febr. 1889 durch allgemeine direkte Wahlen, die arrondissementsweise vorgenommen werden, gebildet. Jedes Arrondissement, das nicht mehr als 100000 E. hat, wählt einen Deputierten, und für jede weitern 100000 oder einen Teil davon einen weitern Deputierten. Der Wähler muß Bürger und 21 J. alt sein, ein deputierter Bürger muß 25 J. alt sein. Die Deputiertenkammer besteht jetzt aus 584 Mitgliedern, die auf 4 Jahre, der Senat aus 300, welche seit dem Gesetze vom 9. Dez. 1884 allein durch die Departements und Kolonien auf 9 Jahre gewählt werden. Alle drei Jahre scheidet ein Drittel der Senatoren aus; die Wahl geschieht durch ein besonderes Kollegium, bestehend aus den Deputierten des Departements, den Generalräten, den Kreisräten und besondern Delegierten der Municipalräte, die für jede Wahl besonders gewählt werden. Ein Senator muß Franzose und mindestens 40 J. alt sein. Senat und Kammer versammeln sich alljährlich am zweiten Dienstag des Januar und müssen mindestens fünf Monate versammelt bleiben. Beide beginnen und beendigen ihre Sitzungen zu gleicher Zeit. Der Präsident verkündigt den Schluß der Sitzung und hat das Recht, die Kammern zu außergewöhnlicher Zeit zusammenzurufen; er ist verpflichtet sie zu berufen, sobald die halbe Mitgliederzahl jeder Kammer darauf anträgt. Der Präsident kann die Kammern vertagen, aber nicht auf längere Zeit als auf einen Monat und nicht öfter als zweimal während derselben Sitzungsperiode. Jeder Senator und jeder Deputierte hat das Recht der Initiative; zu einem Gesetz gehört die Zustimmung beider Kammern; indes muß jedes Finanzgesetz zuerst der Deputiertenkammer vorgelegt und von derselben angenommen werden.

Der Präsident der Republik wird durch die zur Nationalversammlung vereinigten beiden Kammern nach Stimmenmehrheit erwählt, und zwar auf sieben Jahre; er ist wieder wählbar. Auch ihm steht selbstverständlich die Initiative für die Gesetzgebung zu. Er verkündet die von beiden Kammern angenommenen Gesetze und überwacht die Ausführung derselben. Er hat das Recht der Begnadigung, verfügt über die bewaffnete Macht und ernennt alle Civil- und Militärbeamten, einschließlich der Chefs der Ministerialdepartements. Die Botschafter und Gesandten der fremden Mächte sind bei ihm beglaubigt. Jeder seiner Erlasse muß von einem Minister gegengezeichnet sein. Der Präsident kann unter Zustimmung des Senats die Deputiertenkammer auflösen, muß aber dann die Wahlkollegien innerhalb dreier Monate zu neuen Wahlen zusammenberufen. Die Minister sind insgesamt den Kammern für die allgemeine Politik der Regierung und jeder ist für sein persönliches Thun verantwortlich. Der Präsident ist nur im Falle des Hochverrats verantwortlich. Bei Todesfall oder sonstiger Vakanz müssen beide vereinigte Kammern (der "Kongreß") sofort zur Wahl eines neuen Präsidenten schreiten. Der Sitz der vollstreckenden Gewalt und der beiden Kammern ist seit 1879 wieder in Paris. - Vgl. Brie, Die gegenwärtige Verfassung F.s (Berl. 1893).

Verwaltung. Die Verwaltung ist von der Gesetzgebung sowie von der Justiz scharf geschieden und bildet ein System der Centralisation. Es bestehen folgende Ministerien: 1) des Innern, 2) der auswärtigen Angelegenheiten, 3) der Finanzen, welchem seit 1887 Post und Telegraphie unterstellt sind, 4) der Justiz (Großsiegelbewahrer), mit dem des Kultus vereinigt, 5) des Handels und der Industrie, welchem seit 1889 das Departement der Kolonien zugeteilt ist, 6) des Ackerbaues, 7) des öffentlichen Unterrichts und der Künste, 8) der öffentlichen Arbeiten, 9) des Krieges, 10) der Marine. Selbständig ist der Rechnungshof gestellt. Unter dem Präsidium des Justizministers ist ein Staatsrat eingesetzt, welcher sein Gutachten über die Entwürfe von Gesetzen und Dekreten und über die Verwaltungsreglements, sowie über alle Fragen, die ihm durch den Präsidenten der Republik oder die Minister vorgelegt werden, abgiebt und über Rekurse in streitigen Verwaltungssachen und über Annullierungsgesuche wegen Machtüberschreitung seitens der verschiedenen Verwaltungsbehörden entscheidet. Seine Mitglieder werden vom Präsidenten der Republik ernannt. Zur Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Verwaltungsbehörden und Gerichten ist ein besonderes Tribunal berufen (1872). Der Centralverwaltung der Ministerien schließt sich die Departemental- oder Provinzialverwaltung an. An der Spitze jedes der 87 Departements (s. Tabelle, S. 58) steht ein Präfekt, der die Befehle und Entscheidungen der Minister vollzieht; seine Gehilfen, die Präfekturräte, bilden als Kollegium den Präfekturrat, der in einer Reihe von Verwaltungsrechtssachen in erster Instanz entscheidet. Außer seiner Stellung als Regierungsorgan ist er aber auch Vertreter der Interessen des Departements, das zugleich Verwaltungsbezirk und Selbstverwaltungskörper und als letzterer jurist. Person ist. Dem Präfekten steht der Generalrat zur Seite. Der letztere ist aus so vielen Mitgliedern zusammengesetzt, als das Departement Kantone hat, und wird von dem Volke nach dem allgemeinen Wahlrechte auf Grundlage der für die Gemeindewahlen aufgestellten Listen gewählt. Nur müssen die Generalräte, deren Ernennung auf 6 Jahre erfolgt, im Departement wohnen oder darin eine direkte Steuer zahlen. Alle 3 Jahre wird ein Dritteil erneuert; doch sind die Austretenden wieder wählbar. Der Generalrat verteilt die auferlegten Steuern über die Bezirke, berät über die finanziellen Angelegenheiten des Departements, wobei seine Beschlüsse zum Teil der höhern Bestätigung unterworfen sind, und äußert seine Ansichten in allen Dingen, über welche er zu Rate gezogen wird. Jeder Generalrat beruft jährlich aus seiner Mitte eine ständige Departementalkommission, welche dem Präfekten an die Seite gesetzt ist. Die Unterabteilungen des Departements, die Arrondissements, haben je einen Unterpräfekten au der Spitze, der eigentlich nur Agent des Präfekten ist. Ihm steht ein gewählter Kreisrat (Conseil d'arrondissement) zur Seite, dessen jährliche Sitzung die Dauer von 15 Tagen nicht überschreiten darf. Die Kantone, in welche das Arrondissement zerfällt, haben keine administrative Bedeutung, sondern dienen nur zur Grundlage für Wahlen und für die Rekrutenaus-^[folgende Seite]