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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1589-1789)

wisse Fragen besaß der "Grand conseil". Leiter all dieser Körperschaften war von Hause aus der König; seit er nicht mehr mitarbeitete, fiel den Räten selbst und den Ressortchefs die eigentliche Gewalt zu. Staatssekretäre gab es für das Auswärtige, den Krieg, die Marine, das königl. Haus und für die Reformierten; an der Spitze der Justizverwaltung und Gesetzgebung stand der Kanzler von F., die polit. Leitung hatte der höchste Vertrauensmann des Herrschers; der thatsächliche Leiter der franz. Verwaltung aber, ausgestattet mit ungeheuerer Macht, war der Contrôleur général des finances, die Seele des Finanzrates, Spitze sämtlicher innern Fachverwaltungen, das Haupt vor allem der neuen, allmächtigen Beamtenschaft des Königtums: der Intendanten. Die Intendanten beherrschten die Provinzialverwaltung. Freilich lag gerade hier Altes und Neues wunderlich durcheinander. Noch bestanden die alten landschaftlich-polit. Körper, aus denen F. zusammengewachsen war, die Gouvernements; sie zerfielen in Ständelande (pays d'états) und Elektionslande (pays d'élection), in den erstern (fünf) bestanden noch Provinzialstände, recht lebensvolle nur noch im Languedoc. Die Mehrzahl der Provinzen hatte keine Stände mehr; die "Erwählten" (élus), denen die Steuerumlage oblag, wurden seit Jahrhunderten nicht mehr gewählt, sondern von der Krone bestellt. Jedes Gouvernement hatte einen Gouverneur, der ursprünglich Mittler zwischen Provinz und König sein sollte, das militär. und polit. Haupt seines Bezirkes bildete und den König bei den Ständen vertrat. Seit Ludwig XIV. waren diese Stellen einträgliche Ehrenposten ohne Inhalt geworden. Die Verwaltung lag vielmehr in den Händen der Intendanten (s. d.). Anstatt der alten Einteilungen war die neuere nach Steuerbezirken (généralités) die wirklich wichtige geworden; an deren Spitze standen die Intendanten, "die 32 Könige von F.", Beamte wesentlich finanzieller Art, deren Befugnisse nicht streng geregelt waren, aber bald sehr ausgedehnte wurden. Die Steuerverwaltung gipfelte im Contrôleur général und dem Finanzrat; dort wurde jährlich die Gesamthöhe der direkten Steuern (besonders die Taille) festgesetzt; sie wurden an die Generalitäten, in diesen von den Intendanten an die Einzelkreise verteilt. In den Pays d'états zahlten die Stände die auf die Provinz fallende Summe auf einmal und legten sie ihrerseits um; auch andere Körperschaften kauften sich gern durch Pauschalsummen ab (Geistlichkeit, Städte u. s. w.); für alles übrige Land ernannte der Intendant ortseingesessene Sammler (collecteurs), die Umlegung und Eintreibung verantwortlich besorgen mußten. Eingeliefert wurden die Summen an Einnehmer (receveurs) und Generaleinnehmer. Fast jedem Parlament war eine Oberrechenkammer (chambre des comptes) zugeteilt. Unter den direkten Steuern stand die Taille voran: ursprünglich das Entgelt der Nichtadligen zur Heereserhaltung, während die Adligen ohne Entschädigung dienten. Seit dem 15. Jahrh. hatte die Taille ihre thatsächliche Grundlage, ihr sichtbares Recht verloren und war zum Ausdruck einer großen, nicht mehr begründeten Scheidung des franz. Volks geworden: sie traf noch immer nur die Nichtprivilegierten, nach ihr trennten sich die beiden Gruppen der non taillables und der taillables (roturiers). Für letztere war sie die ausnahmslose Steuer; andere Steuern schlossen sich, als rechtliche Zugabe, ihr an. - Neue Steuerarten waren seit Colberts Tode neben die Taille getreten, mehrfach Anläufe zu allgemein gleichen Auflagen, wie Zehnte im Kriege, gemacht worden; stets widerstrebten aber unter Ludwig XV. die Bevorrechteten leidenschaftlich solchen auch sie treffenden Abgaben. Alle trafen die indirekten Steuern, wenngleich auch diese mit härterer Wucht die Ärmern. Diese Steuern, die auf alle möglichen Verbrauchsgegenstände (auf Salz in erster Reihe [gabelle], und auf Getränke) gelegt und im 18. Jahrh. erheblich erweitert wurden, trieb der noch nicht voll durchgebildete Staat nicht direkt ein, sondern er zog es vor, die Verwaltungskosten und Mühen sparend, feststehend sichere Beträge durch Verpachtung an Steuerpächter (meist Gesellschaften) zu beziehen. Die Pächter (fermiers) trieben die Abgaben durch ein Heer von Beamten auf eine für die Bevölkerung und insbesondere den kleinen Mann überaus lästige Weise ein. Dazu kam das Zollsystem, das unter Ludwig XIV. und XV. mit Entschiedenheit durchgeführt wurde und der Weiterbildung des Staatsgedankens und der polit. und wirtschaftlichen Einheit, der die Außenzölle Vorschub leisten mußten, durch die Unzahl der Binnenzölle schroff entgegenwirkte: 50000 Zollbeamte wurden als Wächter dieser regellosen, den verschiedensten Besitzern gehörigen, den Staatskörper zerreißenden Binnenzölle gerechnet; der innere Schleichhandel wucherte und erzog zu gefährlicher Gewaltthätigkeit. Der Wein wurde, abgesehen von Abgaben vor und bei der Fertigstellung und beim Verkauf, auf seiner Reise aus dem Südosten bis zur Hauptstadt etwa 40mal verzollt.

Finanzpolitisch kam im 18. Jahrh. F. auf keinen grünen Zweig: das von Ludwig XIV. ererbte Deficit führte, trotz neuen Steuern, Anleihen, Versuchen nach fünf Bankrotten, unter steigender Beunruhigung der öffentlichen Meinung, die Krone bis an die Schwelle der allgemeinen Revolution.

B. Die Gesellschaft wird ganz beherrscht von dem Vorrechte, dem Privileg: nach ihm scheiden sich die zwei großen Klassen, Taillefreie und Taillepflichtige; es war der einstmals durch politische und wirtschaftliche Leistungen begründete Lohn, der Entgelt für aufgegebene Souveränität; doch waren die Leistungen zum großen Teil verschwunden, das Vorrecht geblieben. Die Gesamtentwicklung F.s hatte die thatsächlichen Zustände mit diesen Scheidungen des Rechts in Widerspruch gesetzt; diesen Widerspruch faßt die geistige Bewegung auf, sucht ihn zu versöhnen durch Reformen oder aufzuheben durch Revolution. Die Kluft zwischen bestehendem Zustande und ererbter Form klafft am sichtbarsten beim Bauernstande. Abgesehen von einzelnen spät annektierten Strichen im Osten war der Landmann in F. persönlich frei. Nach einer Berechnung besaßen von dem gesamten Grund und Boden 1/5 Krone und Kommunen, 1/5 die Geistlichkeit, 1/5 der Adel, 1/5 Bürgerliche, 1/5 Bauern. Bewirtschaftet aber wurde durch Bauern der bei weitem größte Teil. Sie selber zerfielen in Besitzer und Pächter. Kleine und kleinste Besitzer gab es bereits in großer Zahl, daneben die Pächter der königlichen, adligen und geistlichen Güter, die von der Menge der Verpflichtungen gegen den Pachtherrn überlastet waren. Den Rest bildeten die ganz freistehenden Landarbeiter, deren Zahl nicht groß gewesen zu sein scheint. Der franz. Landwirtschaft haftete viel Hemmendes an: die Kulturmethoden