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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1852-70)

auf einer Pariser Konferenz (März bis Mai 1857) ausgetragen. Insbesondere aber dehnte F. jetzt seinen Einfluß aus über Italien, wo es an Sardinien einen festen Bundesgenossen gewonnen hatte. Auf dem Pariser Friedenskongreß, an dem auf Napoleons Betreiben auch Sardinien, der Bundesgenosse der Westmächte im Orientkriege, teilgenommen hatte, war trotz der Proteste Österreichs der "Schmerzensschrei" Italiens zuerst laut geworden und namentlich über die reaktionären Zustände im Königreich Neapel ein harter Tadel ausgesprochen worden. F. und England nahmen nunmehr Anlaß, abmahnende Noten an die neapolit. Regierung zu richten, und da diese kein Gehör fanden, wurde der diplomat. Verkehr (Okt. 1856) abgebrochen. Bei den Neuwahlen zum Gesetzgebenden Körper (Juni 1857) wurden die bisherigen Mitglieder von den Beamten auf jede Weise unterstützt und trugen daher fast überall den Sieg davon. Nur in einigen großen Städten gelang es entschiedene Oppositionsmänner durchzubringen, von denen jedoch zwei (Carnot und Goudchaux) den Eid der Treue gegen den Kaiser verweigerten und sich deshalb ausgeschlossen sahen, worauf bestimmt wurde, daß jener Eid schon vor der Wahl von den Kandidaten geleistet werden müsse.

Die Folge war, daß alle Opposition nun ins Ausland oder in das Dunkel zahlreicher Geheimbünde flüchtete. Schon 1855 hatten zwei Mordversuche auf den Kaiser stattgefunden. Gefährlicher war das Attentat Orsinis (s. d.) 14. Jan. 1858, durch das zwar Napoleon nicht verletzt wurde, das aber weitgehende Folgen hatte. Im Innern gab es den Anstoß zu einer Verschärfung des bisherigen Systems und zu außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln. Das Reich ward in fünf große Militärbezirke (Paris, Nancy, Lyon, Toulouse und Tours) geteilt und jeder Bezirk einem Marschall unterstellt. Der Kaiser traf Bestimmungen über die event. Regentschaft und setzte einen Geheimen Rat (5. Febr. 1858) ein, der allenfalls als Regentschaftsrat fungieren sollte. Das seit 1853 abgeschaffte Polizeiministerium ward vorübergehend wiederhergestellt, in dem General Espinasse 7. Febr. bis 14. Juni 1858 als "Minister des Innern und der öffentlichen Sicherheit" fungierte. Ein sog. Sicherheitsgesetz wurde von dem Gesetzgebenden Körper 19. Febr. mit 227 gegen 24 Stimmen genehmigt, durch das die Regierung fast unbeschränkt freie Hand erhielt, alle politisch kompromittierten Persönlichkeiten aus Sicherheitsrücksichten in F. oder Algerien zu internieren oder ganz zu verbannen, wovon sie in ausgedehnter Weise Gebrauch machte. Zugleich maßregelte man die Presse aufs strengste. Erst um die Mitte des Jahres trat wieder eine Milderung ein, und Espinasse wurde durch Delangle als Minister des Innern ersetzt. Außerdem aber veranlaßte das Attentat Reibungen mit dem Auslande, indem das franz. Kabinett bei den Regierungen von England, Belgien, Schweiz und Sardinien über das revolutionäre Treiben der polit. Flüchtlinge daselbst und über deren mangelhafte Überwachung Beschwerde erhob. Die schwächern Staaten beeilten sich, ihre Polizei sowie ihre Gesetzgebung in betreff der Fremden, der polit. Morde, der Beleidigung fremder Souveräne u. s. w. zu verschärfen.

In Italien drängte der Gegensatz zwischen der verhaßten Fremdherrschaft Österreichs und der nationalen und konstitutionellen Politik Sardiniens immer mehr zum Bruche. Schon längst bestand zwischen Paris und Turin ein inniges Einverständnis. Anfang Februar 1859 erschien in Paris eine offiziöse Broschüre: "Napoléon III et l'Italie", welche die Notwendigkeit einer polit. Umgestaltung Italiens und Beseitigung des österr. Einflusses daselbst darlegte. Auch die kaiserl. Thronrede vom 7. Febr. war in ähnlicher Weise gehalten. Die Spannung wuchs, bis endlich 29. April die österr. Truppen die sardin. Grenze überschritten. Am 3. Mai erließ Napoleon III. sein Kriegsmanifest, worin er den Entschluß aussprach, "Italien sich selbst wiederzugeben; frei bis zum Adriatischen Meer!" (S. Italienischer Krieg von 1859.) Im Präliminarfrieden von Villafranca (s. d.), 11. Juli 1859, der den Krieg beschloß, trat Österreich den größten Teil der Lombardei an den franz. Kaiser ab, und dieser versprach, die abgetretenen Territorien dem Könige von Sardinien zu übergeben.

Am 10. Nov. schloß man in Zürich die definitiven Friedenstraktate ab. (S. Züricher Friede.) An demselben Tage wurde auch daselbst der Vertrag vollzogen, durch den der franz. Kaiser definitiv die eroberte Lombardei an den König von Sardinien abtrat und sich dagegen als Ersatz der Kriegskosten eine Summe von 60 Mill. Frs. ausbedang. Ein zur Ordnung der ital. Verhältnisse in Paris geplanter Kongreß scheiterte an der Weigerung des Papstes, denselben zu beschicken, wenn nicht die Integrität des Kirchenstaates von vornherein gesichert würde. Die Verträge von Zürich waren damit aufgegeben. F. begnügte sich, den Schein einer vermittelnden Politik aufrecht zu halten, und so konnte Sardinien, aber freilich nur um den Preis einer Gebietsabtretung, die Annexion Mittelitaliens durchführen. Am 24. März 1860 ward zwischen F. und Sardinien ein Traktat in Turin abgeschlossen, in dem Savoyen und Nizza an F. abgetreten wurden, und 15. und 22. April fanden in Nizza und Savoyen allgemeine Volksabstimmungen statt, die unter geschickter Leitung eine ungeheure Majorität für den Anschluß an F. ergaben.

Diese Haltung Napoleons in der ital. Frage hatte ihm das Mißtrauen der Mächte eingetragen und seiner europ. Politik Hindernisse bereitet, sodaß er sich veranlaßt sah, sich entferntern Erdteilen zuzuwenden. Von Anfang an hatte der Kaiser ein großes Interesse an den Kolonien bethätigt. Im Sept. 1853 war Neucaledonien occupiert worden. Die Besitzungen am Senegal und in Algerien wurden durch glückliche Kriegszüge erweitert. Ein Handelsvertrag mit Siam vom 15. Aug. 1856 öffnete dem franz. Handel Hinterindien. Gemeinsam mit England wurde eine Expedition gegen China (s. d., Bd. 4, S. 209 b fg.) unternommen und der vorteilhafte Vertrag von Tien-tsin (27. Juni 1858) errungen. Gleich darauf erfolgte ein Handelsvertrag mit Japan (9. Okt. 1858). Da China die Ausführung des Vertrags nachher verweigerte, so begann der Krieg aufs neue, und erst nach der Kapitulation von Peking kam der Friede daselbst (25. Okt. 1860) zu stande. Gleichzeitig hatte unter Mitwirkung Spaniens eine Expedition gegen Annam (s. d.) begonnen, wo man die Mißhandlung der kath. Missionare rächen wollte. Dieselbe zog sich seit Sept. 1858 mehrere Jahre hin bis zum Frieden von Saigon (5. Juni 1862). In diesem wurden Gebiete von Cochinchina (s. d., Bd. 4, S. 398) an F. abgetreten, wo ein Kolonialreich begründet werden sollte. Andererseits gab der große