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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Neufranzösische Periode 1830-48)

während der Restauration wirkten die Flugschriften P. L. Couriers, die in meisterhafter Sprache geschrieben, zugleich reiche Beiträge zur Sittengeschichte der damaligen Zeit gewähren.

In der Geschichtschreibung traten seit der großen Revolution am Ende des 18. Jahrh. drei verschiedene Schulen oder Auffassungsarten hervor. Die systematische oder rationelle Schule, deren Haupt Guizot ist, stellt die Thatsachen massenweise zusammen, sucht daraus Folgerungen und Ideen zu ziehen, verliert sich aber oft in zu weit gehenden Betrachtungen. Die beschreibende oder erzählende (deskriptive) Schule, zu der Barante und die beiden Thierry gehören, schildert die Begebenheiten, die Personen und Sitten mit aller möglichen Treue ohne Reflexionen und sucht geradezu den naiven Ton der Chronisten des Mittelalters zu treffen und dem Leser die Betrachtungen zu überlassen. Die fatalistische Schule endlich, deren wichtigste Repräsentanten Mignet und Thiers sind, beschränkt sich auf die polit. Geschichte; sie erzählt die Hauptvorfälle und stellt die guten und bösen Thaten der Individuen als notwendige Folgen der Umstände dar. Michelet, einer der ausgezeichnetsten Historiker Frankreichs, vermittelt die erste und zweite Schule, indem er die pragmatische Manier zur philosophischen zu steigern und auch das beschreibende Element zur histor. Poesie zu erheben sucht. Sismonde de Sismondi hat nur als Forscher Wert; als Geschichtschreiber steht er weit unter Guizot und Michelet. Für die älteste Zeit der Monarchie begeisterte sich der Graf Montlosier in seinen histor. Schriften. Augustin Thierry verdankt seinen Ruhm seiner "Histoire de la conquête de l'Angleterre par les Normands" (1825). Barante ist in seiner "Histoire des ducs de Bourgogne" (1826) der eigentliche Stifter der schildernden Schule. Michaud hat sich in seiner "Histoire des croisades" (1811-22) in einer unbefriedigenden Mitte zwischen der deskriptiven und pragmatischen Manier gehalten. Von den zahlreichen Geschichtswerken, welche die Ereignisse der Französischen Revolution selbst behandeln, sind am bedeutendsten die von Thiers (1823 fg.) und Mignet (1824). Von den Geschichtschreibern, die das erste Kaiserreich zum Gegenstande wählten, sind die berühmtesten der Graf Ségur, dann Vignon, Gourgaud, Arnault, in Verbindung mit Jay, Jouy und Norvins. Was die eigentliche Kriegsgeschichte anlangt, so fand ebenfalls das Werk Ségurs: "Histoire de Napoléon et de la grande armée" (1824) fast allgemeine Anerkennung. Von noch größerer Wichtigkeit aber ist Matth. Dumas' "Précis des événements militaires" (19 Bde. und 8 Bde. Atlas, Par. 1816-26). Daneben verdienen genannt zu werden die Werke von Henri de Jomini, vom Marquis George de Chambray, vom Marschall Gouvion Saint Cyr und von Foy. An Memoiren über die Revolution und das Kaiserreich herrscht ein fast erdrückender Überfluß. Unter den Sammlungen sind zu erwähnen die von Saint Albin Berville und J. F. Barrière: "Collection des mémoires relatifs à la Révolution française" (56 Bde., Par. 1820-26) und die "Mémoires particuliers pour servir à l'histoire de la Révolution". Von einzelnen Werken erregten Napoleons "Mémoires", außerdem die von Bourrienne und von Las Cases das meiste Aufsehen. - Vgl. Nettement, Histoire de la littérature française sous la Restauration (3. Aufl., 2 Bde., Par. 1875).

10) Während des Julikönigtums (1830-48). Seit der Julirevolution war der Sieg der Romantiker entschieden, aber viele Kräfte wurden zugleich der Litteratur entfremdet und der Politik zugeführt. Unmittelbar durch die polit. Ereignisse hervorgerufen wurden die beißenden Jamben Barbiers, die ihrem Verfasser eine schnelle Berühmtheit verschafften. Der Zusammenhang zwischen den Angehörigen der Schule lockerte sich aber nach dem Siege, und die Einzelnen folgten den Bahnen, die ihnen Neigung und Begabung vorschrieb. Châteaubriand war Politiker und Publizist geworden, Lamartine behauptete seine Ansprüche als Dichter durch einige lyrisch-epische Gaben ("Jocelyn", 1836), ehe er ganz in der Politik aufging, für V. Hugo beginnt 1830 die reichste Zeit seines Schaffens. Als Lyriker verschafft ihm seine farbenprächtige Sprache und sein feuriges Pathos die erste Stelle in der Schätzung der Zeitgenossen, während A. de Musset hinter ihm an sittlicher Kraft zurückbleibt, ihn aber in seinen lyrischen und epischen Dichtungen durch wahre Empfindung und einfachen Ausdruck übertrifft. Im Geiste Lamartines dichteten Saintine, Brizeur, Autran, J. Reboul. Durch Neuheit und Glanz der Diktion hatten V. Hugo und seine Anhänger kräftige Wirkungen zu erzielen gesucht, die Übertreibung dieses Strebens führte zu einer Bevorzugung künstlicher Wort- und Versbehandlung, die den Inhalt über der Form vernachlässigte. In dieser Beziehung bildete Th. Gautier Schule, sein talentvollster Nachahmer war Théodore de Banville ("Cariatides", 1842) u. a.

Auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung waren Delavigne ("Louis XI", 1832 u. a.) und Vigny ("Chatterton", 1835) mit glücklichem Erfolg thätig; obgleich der neuen Richtung folgend, hielten sie sich frei von Ungeheuerlichkeiten und Ausschreitungen. V. Hugo und A. Dumas war es vorbehalten, durch Übertreibung ihrer Principien auf der Bühne das romantische Drama zu Tode zu hetzen. Die ausschweifende Phantasie dieser Dichter nahm den kühnsten Flug in die Regionen des Ungeheuern und Gräßlichen. Ihre spätern Stücke zeigen, mit ihren frühern verglichen, eine zunehmende Verflachung und Verwilderung. Individuelle Beseelung, feste Charakterzeichnung, sinnreiche Anlage, fleißige Ausführung sucht man darin umsonst. Alles läuft darauf hinaus, durch die grellsten Gegensätze und krassesten Momente zu wirken. Jeder von jenen beiden Autoren hat einen eigenen, aber gleich heillosen Einfluß auf die franz. Bühne gehabt. V. Hugo schuf das Tirade-Drama, das schon bei dem Meister selbst und noch viel mehr bei seinen Schülern in bloßes Maschineriewesen und leeres Schaugepränge ausartete. Dumas wurde der Schöpfer des sog. Leidenschaftsdramas, das nur leidenschaftlich erregte Personen vorführt, ohne tiefer gehende Charakterschilderungen zu geben. Dieses Drama kam schnell herunter durch den überwiegenden Einfluß und Anteil, der dem Maschinisten und Dekorationsmaler dabei eingeräumt wurde, und ging infolge der übermäßigen Verwicklung von Kombinationen und Motiven, die an die Stelle des wirklichen Lebens und Handelns traten, völlig im phantastischen Abenteuerdrama, sog. drame de cape et d'épée, und im Melodrama auf. Racines und Corneilles tragische Muse, die nach langer Abwesenheit die Bühne wieder begrüßte, fand an der Schauspielerin Rachel eine würdige Vertreterin, die durch ihr wunderbares Spiel jenen großen dramat. Dichtern bei der Nation