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Freiding - Freie Bühne
Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Freidenker'
wurde jedoch von den englischen F. nicht angegriffen. (Vgl. Deismus.)
In Frankreich wurde die Freidenkerei durch den Geistesdruck, den die herrschende Kirche
ausübte, hervorgerufen; sie war anfangs nur in kleinern Kreisen verbreitet, gewann aber
bald eine große Ausdehnung. Man schritt hier von einer scharfen Kritik des kirchlichen
Glaubens und des ganzen kath. Kirchenwesens, wie sie z. B. Voltaire und Rousseau übten,
bis zur grundsätzlichen Verneinung aller Religion und zum Atheismus fort. Die Führer
dieser Bewegung waren die Encyklopädisten d'Alembert, Diderot und Helvétius sowie der
Baron von Holbach. In Deutschland haben die F. namentlich seit der Wiederherstellung
des orthodoxen Kirchentums, aber auch infolge der modernen Zeitströmung in den
verschiedensten Volkskreisen Anhang gefunden. – Vgl. Lechler, Geschichte des engl.
Deismus (Stuttg. und Tüb. 1841); Noack, Die F. in der Religion (3 Bde., Bern 1853–55).
Freie waren bei den Germanen der Hauptteil der Nation. Die
Bevölkerung gliederte sich in F. (Gemeinfreie),
Halbfreie (Liten
oder Hörige) und
Knechte. Letztere sind rechtlos und stehen im
Eigentum eines Herrn. Die Halbfreien sind im Genusse des Volksrechts; sie sind nur der
Gewalt eines Schutzherrn unterworfen. Unter den F. ragen die Adligen hervor, ursprünglich
die Glieder von durch ihre Dienste ausgezeichneten Geschlechtern. Die F. hatten das
volle Wergeld (s. d.), die Hörigen nur das halbe, die Knechte wurden
nur nach ihrem persönlichen Sachwerte geschätzt. Der F. hatte das Recht und die Pflicht,
dem Heere anzugehören, den Zutritt zu den Volks- und Gerichtsversammlungen, das
Recht des Eides und des Zeugnisses gegen F. Zur vollen Wirkung der Freiheit gehörte,
daß der F. Grundbesitz besaß. Die Entwicklung der öffentlichen Verfassung Deutschlands
wurde wesentlich durch die Schicksale des Standes der F. bestimmt, der mehr und mehr
abnahm. Eine große Zahl der frühern F. gingen in den Stand der Fürsten und Herren,
sowie in den Ritterstand über. Andererseits waren diejenigen F., die nicht im stande waren,
persönliche Kriegsdienste zu leisten, vielfach genötigt, sich in den Schutz (Vogtei) eines
Landesherrn zu begeben. Während jener den Kriegsdienst übernahm, mußten diese ein
Schutzgeld oder einen Zins zahlen. Sie bewahrten ihre Freiheit, wurden aber abhängig. In
den Städten erhielten sich ebenso wie auf dem Lande freie Geschlechter. Aber auch hier
bildeten sich unter Zurückdrängen der alten neue Standesverhältnisse. Es entstand ein
neuer freier Stand, der Bürgerstand, der die Vorstufe zu der modernen Freiheit, dem
allgemeinen Staatsbürgertum ist. – Vgl. Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der Stände
in Deutschland (2. Ausg., Berl. 1830).
Freie Agrarvereinigung nennt sich eine Gruppe im österr.
Abgeordnetenhause, die sich 1887 unter Führung Lienbachers zur Wahrung der
Interessen der Landgemeinden bildete, deren Mitglieder aber keinem Klubzwang
unterworfen und nicht verpflichtet sind, zu stimmen, wie es die Mehrheit der F. A.
beschlossen hat. Anfangs nahmen zahlreiche Abgeordnete verschiedener Klubs an den
zwanglosen Besprechungen der F. A. teil, in denen wirtschaftliche Fragen rein fachlich mit
Außerachtlassung polit. und nationaler Gesichtspunkte erörtert wurden; nur die Polen
verhielten sich grundsätzlich ablehnend. Nach den Neuwahlen 1891 hörte zwar diese
Teilnahme anderer Klubmitglieder auf, doch nimmt die F. A. mit ihren 42 Mitgliedern der
Kopfzahl nach die vierte Stelle im österr. Abgeordnetenhause ein. Vorsitzender ist
Lienbacher, Stellvertreter Jax.
Freie Berufe, in der Statistik die Berufsarten der Ärzte, Anwälte,
Schriftsteller und Künstler.
Freie Bühne, ein im Herbst 1889 nach dem Vorbild des von
Ch. Antoine in Paris begründeten Théâtre libre von
Schriftstellern und Kunstfreunden in Berlin gebildeter Verein, der sich zur Aufgabe stellte,
«eine Bühne zu begründen, welche frei ist von den Rücksichten auf Theatercensur und
Gelderwerb». Die Räume eines Theaters mietend, unterschied er sich von
Dilettantenvereinen dadurch, daß er die Stücke durch berufsmäßige Schauspieler
darstellen ließ. In der Auswahl der dramat. Werke und in der Art ihrer schauspielerischen
Darstellung sollten «die Ziele einer der Schablone und dem Virtuosentum abgewandten
lebendigen Kunst angestrebt werden». Ferner erklärte die F. B.: «Wir binden uns an keine
ästhetische Theorie und schwören auf kein Programm, sondern heißen alles willkommen,
was frei und groß und lebend ist; nur das Werk der erstarrten Form bleibe uns fern, das
Produkt der Berechnung und der Konvention.» Die Aufführungen waren nur den
Vereinsmitgliedern zugänglich. Die F. B. wollte der modernen realistischen Richtung durch
Privataufführungen die Anerkennung der Zeitgenossen erringen, weil auf den öffentlichen
Theatern polizeiliche Censur und private Bedenken der Bühnenleiter diesen Bestrebungen
mehrfach im Wege standen. Hervorragend beteiligt an der Begründung waren:
Otto Brahm, Paul Schlenther, H. Hart, J. Hart und Julius Stettenheim. Im ersten Spieljahre
1889/90 zählte der Verein über 600 Mitglieder; der Spielplan führte Stücke an, wie:
«Vor Sonnenaufgang» von Gerh. Hauptmann, «Gespenster» von Ibsen, «Familie Selicke»
von Holz und Schlaf u. s. w. Im zweiten Spieljahre 1890/91 hatte sich die Mitgliederzahl
erheblich vermindert. Bei Anfang des dritten Spieljahres 1891/92, in dem nur Strindbergs
«Comtesse Julie» aufgeführt wurde, sah sich der Vorstand genötigt, den Verein auf zum
Teil neuer Grundlage zu rekonstruieren: eine bestimmte Anzahl von Vorstellungen sollte
nicht mehr gewährleistet werden, «weil die öffentlichen Theater dem modernen Realismus,
soweit er von echten, dramat. Talenten vertreten wird, zugänglicher geworden waren, als es
vor Begründung der F. B. der Fall war». 1892/93 kamen «Die Weber» von G. Hauptmann
und «Dämmerung» zur Aufführung.
Nach dem Muster dieser F. B. bildeten sich neue Vereinigungen zu gleichen
oder ähnlichen Zwecken; in Berlin selbst entstand (1890) ein Konkurrenzverein
Deutsche Bühne, der «nur Neuheiten deutscher
Schriftsteller auf dem Gebiet des modern-realistischen und histor.-realistischen Dramas» in
seinem Spielplan verzeichnete. Schon nach den fünf Aufführungen des ersten Spieljahres
trat der Verein nicht mehr in die Öffentlichkeit. – Eine sehr rege Thätigkeit zeigt hingegen
die Freie Volksbühne, die sich 1890 unter
Bruno Wille, J. Hart u. a. bildete; ihre Tendenz ist: «die socialistische Weltanschauung in
geeigneten Werken von der Bühne herab zu verbreiten». Die Plätze zu den Aufführungen
der Freien Volksbühne werden durch das Los bestimmt, das die Mitglieder aus Urnen
ziehen. Die Mitgliederzahl dieses Vereins war bald so groß, daß
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 258.