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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Friedrich Wilhelm IV. (König von Preußen)
zu Vischering, frei und gestattete die Rückkehr des
Erzbischofs Dunin nach Posen. Im Kultusministe-
rium wurde eine kath. Abteilung eingerichtet, die
dann freilich 1850 in verhängnisvoller Weise bei
Abfassung der die Kirche betreffenden Verfassungs-
paragraphen die staatlichen Hoheitsrechte schmälerte.
Vor allem in der Frage der von seinem Vorgänger
wiederholt versprochenen ständischen Verfassung
schieden sich die Wege des Königs, der die Idee des
"christlich german. Staates" vertrat und nichts von
Vertretung des Volks nach Kopfzahl wissen wollte,
von denen der öffentlichen Meinung. Die von ihm
1842 berufenen Ausschüsse sämtlicher Provinzial-
landtage genügten derselben nicht, und im Frühjahr
1845 forderten die Landstände fast aller Provinzen
eine allgemeine Volksvertretung. Durch das Patent
und die Verordnung vom 3. Febr. 1847 berief end-
lich der König den Vereinigten Landtag, gebildet
aus der Herrenkurie und der Kurie der Ritter, Bür-
ger und Bauern nach Berlin. Aber schon die eröff-
nende Rede des Königs, 11. April, zeigte den tiefen
Zwiespalt mit den Wünschen der Versammelten; er
wies jegliche Beschränkung des freien Selbstbestim-
mungsrechts der Krone durch Majoritäten feierlich
zurück. Die Verfammelten aber weigerten die Mit-
arbeit, solange nicht die frühern Versprechungen
ganz erfüllt feien.
Weitere Zugeständnisse, die der König noch kurz
vor dem Ausbruche der Märzrevolution 1848
machte, hielten dieselbe nicht auf. Sie nötigte ihm
ab, was freiwillig zu gewähren er verfäumt hatte.
(S. Preußen.) Aber persönlich erschütterten ihn die
Vorgänge des 18. März auf das tiefste, fein inner-
stes Empfinden, dem gegenseitige Liebe von Fürst
und Volk als Heiligtum galt, wurde durch den
Ausbruch dieser "dämonischen Gewalten", wie er sie
nannte, verletzt. Er hatte weder Verständnis sür
die nationalen Wünsche des Volks, noch auch für
das Interesse Preußens. Auch er träumte von einem
in Glanz geeinigten Deutschland, aber er wider-
strebte dem Verfassungswerke der Frankfurter Natio-
nalversammlung wegen feines "Verschiebens von
Unten nach Oben, von Obrigkeit und Unterthanen",
und wollte andererseits in seinen eigenenVerfassungs-
entwürfen, der Idee des gottgeweihten Königtums
zu Liebe, dem "Kollegium der Könige", also den
Mittelstaaten einen für Preußen und Deutschland
höchst bedenklichen Einfluß einräumen. Die Kaiser-
wahl des Frankfurter Parlaments 28. März 1849
lehnte er ab, weil sie vom Volke und nicht von den
Fürsten ausging. Nun schloß er, gemäß seinem
Grundsätze, daß die Regierungen die Einigung
Deutschlands in die Hand nehmen mühten, 26. Mai,
vonRadowitz beraten, zur Herstellung oes deutschen
Bundesstaates zunächst ein Bündnis mit Sachsen
und Hannover und berief zur Vereinbarung einer
deutschen Verfassung ein neues Parlament, das sog.
Unionsparlament, nach Erfurt, während die österr.
Regierung am Bundestage festhielt. Ein Krieg mit
Osterreich schien unvermeidlich. Aber um der Union
als solcher willen wollte der König den Krieg nicht,
so gab er sie durch die Konvention von Olmütz
29. Nov. 1850 auf. In Preußen gewann nun unter
dem Ministerium Manteuffel die Reaktion die Ober-
hand. Zu einer Aufhebung der von ihm beschwore-
ncn Verfassung vom 31. Jan. 1850 wollte der König
sich freilich nicht verstehen. Seinen besondern
Neigungen entsprach die Bildung des Herrenhauses
(durch Verordnung vom 12. Okt. 1854), ebenso
gingen auch die Einsetzung des evang. Oberkirchen-
rates 1850 und die sog. Regulative für das Volks-
schulwesen (Okt. 1854) auf eigene Gedanken des
Königs zurück. Seit 1848 wurden unter seiner Re-
gierung 330 Kirchen neu gebaut und 280 Pfarr-
stellen gegründet.
In merkwürdiger Weise traf während des Krim-
krieges 1854-56 die neutrale Haltung F. W.s, die
wieder mehr durch Antriebe des Gemütes als durch
nüchterne Erwägungen bestimmt war, mit dem that-
sächlichen Interesse Preußens zusammen. Fast noch
näher berührten den König persönlich die Händel
wegen Neuenburgs (s. d.), und nur durch Napo-
leons III. Vermittelung wurde schließlich ein Krieg
Preußens gegen die Schweiz vermieden. Aber die
Verwicklung hatte den König seelisch stark erregt. Im
Juni 1857 gebrauchte er in Marienbad inBohmendie
Brunnenkur und reiste von da bei drückender Hitze
zu einem Besuche nach Wien. Auf der Rückreise traf
ihn auf Schloß Pillnitz bei Dresden ein Schlaganfall,
der sicy Anfang Oktober nach der Rückkehr wieder-
holte. Wiewohl sich die Kräfte des Leidenden wie-
der hoben, mußte er doch 23. Okt. seinen Bruder
Wilhelm, den Prinzen von Preußen, mit der Stell-
vertretung in den Regierungsgeschäften beauftragen.
Erst ein Jahr später^ 7. Okt. 1858, übernahm dieser
als nächster Anwart auf den Thron verfassungs-
mäßig die Regentschaft. Den Winter 1858-^59
brachte F. W. in Rom zu, wo die Umdüsterung sei-
nes Geistes von einzelnen lichten Zwisckenräumen
unterbrochen wurde. Nach der Rückkehr Nov. 1860
ward sein Zustand gänzlich hoffnungslos, und er
starb 2. Jan. 1861 in Sanssouci bei Potsdam.
Trotz seiner bedeutenden geistigen Anlagen und
seiner hohen Bildung war F. W.s Negierung für die
polit. Entwicklung Preußens und Deutschlands sehr
ungünstig. Für seine zähe festgehaltenen roman-
tischen Anschauungen vom Staate hatte seine Zeit
kein Verständnis. Persönlich edelsinnig und peinlich
gewissenhaft, war er als Staatsmann nicht praktisch
und kühl genug. Ein schöner Zug aber war es, daß
er auch zu Politikern von sehr abweichender Rich-
tung, deren Charakter und überzeugungstreue ihm
imponierten, Freundschaft und Vertrauen fassen
konnte. Zweimal waren Mordversuche auf F. W.
gemacht worden, 26. Juli 1844 durch Tschech, ehe-
maligen Bürgermeister von Storkow, und 22. Mai
1850 durch den wahnsinnigen Invaliden Sefeloge,
der ihn am Arm verwundete. F. W.s Reiterstand-
bild (von Bläser) auf der Kölner Rheinbnicke wurde
1867 errichtet; ein anderes Reiterstandbild (von
Calandrelli) vor der Nationalgalerie in Berlin
wurde 10. Juni 1886 enthüllt. Das 1. pommersche
Grenadierregiment Nr. 2 trägt seinen Namen.
Vgl. F. Ws. IV. Rcdcn, Proklamationen, Bot-
schaften, Erlasse und Ordres seit seiner Thronbe-
steigung (3. Aufl., Verl. 1861); Varnhagen, Tage-
bücher (14 Bde., Lpz. u. Hamb. 1863 - 70); ders.,
Blätter aus der preuß. Geschichte (5 Bde., Lpz.
1868-69); Ranke, Friedrichd.Gr. F.W.IV. Zwei
Biographien (ebd. 1878); Friedberg, Die Grund-
lagen der preuß. Kirchenpolitik unter König F. W. IV.
(ebd. 1882); Schmettau, F. W. IV. (2. Aufl., Verl.
1864); Sybel, Begründung des Deutschen Reichs
durch Wilhelm I., Bd. 1 u. 2 (3. Aufl., Münch.
1889); Ernst II., Herzog von Sachsen-Cobura,-
Gotha, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit,
Bd. 1 u. 2 (6. Aufl., Verl. 1889); von Reumont,
Aus F. W.s IV. gesunden und kranken Tagen