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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gehör

Erschütterungen elastischer Körper, vor allem der Luft, deren Schwingungen durch die Vermittelung der verschiedenen Leitungsapparate des Ohrs (Trommelfell, Gehörknöchelchen, Labyrinthwasser) auf die Endapparate der Gehörnerven übertragen werden und hier je nach ihren physik. Eigenschaften entweder die Empfindung eines Klanges oder eines Geräusches erzeugen. Die Empfindung eines Klanges wird in unserm Ohr durch schnelle regelmäßige und periodische (d. h. in einem gewissen Zeitraum in genau der gleichen Weise wiederkehrende) Bewegungen eines tönenden Körpers hervorgerufen, während die Empfindung von Geräuschen durch unregelmäßige, nicht periodische Bewegungen ausgelöst wird. Das Rollen und Rasseln des Wagens, das Heulen des Windes, das Rauschen der Wogen sind Beispiele für die nicht periodischen Bewegungen des Geräusches, die Klänge der musikalischen Instrumente hingegen periodische Bewegungen. Der Gehörsinn, so gering sein Einfluß aus das leibliche Wohlbefinden ist, besitzt eine ganz außerordentliche Bedeutung für die gesamte geistige Entwicklung und das seelische Wohlergehen des Menschen; G. und Sprache stehen in der allerinnigsten Wechselbeziehung, und wenn auch der Taubgeborene durch den Taubstummenunterricht zu einem regen Gedankenaustausch mit seinen Mitmenschen befähigt werden kann, so bleiben ihm doch durch den Mangel des Gehörvermögens eine Reihe der edelsten und reinsten Genüsse für immer verschlossen.

Das Gehörorgan (organon auditus) ist ein höchst komplizierter physik. Apparat, der zum größten Teil im Felsenbein, dem innersten und festesten Teil des Schläfenbeins, verborgen liegt und der, nach akustischen Gesetzen gebaut, die von außen auf ihn eindringenden Schallwellen sammelt und nach den akustischen Endapparaten der Gehörnerven leitet, durch deren Vermittelung sie als specifische Schalleindrücke von unserm Bewußtsein empfunden werden. Man teilt das Gehörorgan in drei Abteilungen, in das äußere, mittlere und innere Ohr ein, von denen das äußere und mittlere Ohr lediglich als schallleitender, das innere Ohr oder Labyrinth wesentlich als schallempfindender Apparat wirkt. Die erste Abteilung, der äußere Teil des Gehörorgans, wird von der Ohrmuschel und dem äußern Gehörgang gebildet, besteht in der Hauptsache aus Haut- und Knorpelgewebe und hat die Aufgabe, die Schallwellen aufzufangen, zu sammeln und dem innern Ohr zuzuleiten. Die Ohrmuschel, auch schlechtweg Ohr (auricula, s. Tafel: Das Gehörorgan des Menschen I, Fig. 1) genannt, stellt eine muschelförmige, mit Haut überzogene und durch verschiedene kleine Muskelchen befestigte Knorpelplatte (s. Taf. I, Fig. 1 u. 2) dar, die sich an den Seiten des Kopfes, über dem Schläfenbein, befindet und nach dem äußern Gehörgang führt. Man unterscheidet an der Ohrmuschel mehrere wellenförmige Erhabenheiten oder Leisten und Gruben, die dem Ohr feine eigentümliche Gestalt verleihen: die Ohrleiste oder Ohrkrempe (helix, s. Fig. 2, 1), den äußersten aufgekrempelten Rand; die Gegenleiste oder Gegenkrempe (anthelix, s. Fig. 2, 2), die weiter nach innen, parallel mit der Ohrleiste verläuft; die Ohrecke oder vordere Ohrklappe (tragus, s. Fig. 2, 7), den abgerundeten knorpligen Vorsprung vor der Öffnung des äußern Gehörgangs, und die ihr gegenüberstehende Gegenecke oder hintere Ohrkläppe (antitragus, s.Fig. 2, 3). Zwischen der Ohrecke und Gegenecke befindet sich die Incisura intertragica, zwischen der Ohrleiste und der Gegenleiste die kahnförmige Grube (fossa scaphoidea s. navicularis); die vertiefteste Stelle der Ohrmuschel zieht sich als eigentliche Muschel (concha auris, s. Fig. 1, 2) trichterförmig in den äußern Gehörgang hinein. Die äußere Haut, die den Ohrknorpel überzieht, bildet am untern Ende desselben eine fettlose, blut- und nervenarme, beutelförmige Verdoppelung, das Ohrläppchen (lobulos auriculae, s. Fig. 1, 3), das, wie die schweren Ohrzieraten der Wilden beweisen, eine außerordentliche Ausdehnbarkeit besitzt und beim Durchstechen behufs Einbringung von Ohrringen weder erheblich schmerzt noch blutet. Kein Ohr eines Tieres besitzt ein Ohrläppchen, kein im Wasser lebendes Säugetier eine Ohrmuschel. An die Knorpelhaut des Ohrknorpels befestigen sich von vorn, oben und unten her kleine dünne Muskeln (ein Heber, Vorwärts- und Rückwärtszieher des Ohrs [s. Taf. I, Fig. 2, 3-5] und der Eck- und Gegeneckmuskel [musculus tragicus und antitragicus, für den letztern s. Taf. I, Fig. 2, 6]), die das Ohr im ganzen bewegen können; freilich können nur wenige Menschen infolge mangelnder Übung diese Muskelchen willkürlich in Thätigkeit versetzen, während die Säugetiere diese Fähigkeit in hervorragendem Maße besitzen. Nach innen zu setzt sich die Ohrmuschel in den äußern Gehörgang (meatus auditorius externus, s. Fig. 1, 4) fort, einen etwa 3 cm langen, etwas gebogenen, bis zum Trommelfell reichenden Kanal, dessen äußere Hälfte eine knorplige Grundlage besitzt, während seine innere Hälfte von dem knöchernen Felsenteil des Schläfenbeins gebildet wird. Die Haut des Gehörgangs, die nach innen zu immer zarter und schleimhautähnlicher wird und im knöchernen Teile fest mit der Knochenhaut verwachsen ist, enthält zahlreiche feine Wollhärchen, Talgdrüsen und den Schweißdrüsen ähnlich gebaute Ohrenschmalzdrüsen (glandulae ceruminosae), die eine aus Fettkügelchen und Farbstoffkörnchen bestehende gelbliche klebrige Masse, das Ohrenschmalz (cerumen auris) absondern. Die physiol. Bedeutung des Ohrenschmalzes ist noch nicht hinlänglich aufgeklärt; eine gewisse Menge desselben scheint für ein gutes G. unerläßlich, auch vermag es das innere Ohr in einem gewissen Grade vor dem Eindringen fremder Körper, besonders des Staubes und der Insekten, zu schützen. Bei übermäßiger Ohrenschmalzbildung sammeln sich leicht festere Massen an, die sog. Ohrenschmalzpfröpfe, die den Gehörgang völlig verstopfen und Schwerhörigkeit, Ohrensausen und andere Beschwerden verursachen können.

Die Grenze zwischen dem äußern und mittlern Ohre bildet das Trommel- oder Paukenfell (membrana tympani, s. Fig. 1, 5), das die Übertragung der Schallwellen vom äußern Gehörgange auf die hinter ihm gelegene Kette der Gehörknöchelchen vermittelt und als dünne elastische, weißlich glänzende Membran von nahezu elliptischer Form in einem ringförmigen Falze des Felsenbeins befestigt ist. An der äußern, dem Gehörgang zugewandten Fläche des Trommelfells gewahrt man in der Mitte eine trichterförmige Vertiefung, den sog. Nabel, an deren innerer Fläche der Handgriff des Hammers eingewachsen ist. Das Trommelfell besteht aus verschiedenen Gewebsschichten, von denen die äußere eine Fortsetzung der Gehörgangshaut, die mittlere von festem fibrösen Gewebe, die innere