Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

782
Genfer Katechismus - Genfer Kirchenkonflikt
hatten. Die Französische Revolution sührte zu
einem neuen Wendepunkte. Die Unzufriedenen
stürzten im Juli 1794 die Regierung, stellten all-
gemeine Rechtsgleichheit her und schusen eiuen Na-
tionalkonvent und eine Schreckensregieruug, bis
1796 eine gemäßigtere Nichtuug siegte; 1798 wurde
G. mit Frankreich vereinigt, G. sank zu eiuer De-
partemeutsstadt (Depart. du Ltwan) herab.
Die Siege der Verbündeten gaben G. seine Selb-
ständigkeit zurück; es trat 1815 uach den: Wieuer
Kongreß als 22. Kanton der Eidgenossenschaft bei
und erlangte eine Vergrößerung seines Gebietes
durch eiuige beuachbartc srauz. und savoyische Ort-
schaften. Die ueue Verfassung svon 1814) erteilte
die gesetzgebende Gewalt einem sonst ohnmächtigen
Repräsentantenrat von 250 Mitgliedern; dieser er-
nannte den aus 4 Syndics und 24 andern Mitglie
dern bestehenden vollziehenden Staatsrat, in dessen
Händen die eigentliche Herrschaft ruhte. Die Schwer-
fälligkeit dieser Konstitution, die keine Gesamt-
erneuerung der Behörde gestattete und da5 Wahl-
recht beschränkte, veranlaßte manche Unzufriedeu-
heit sowohl gegen die Verfasfung wie gegen die
konservative Partei. Allein erst 3. Mär/184 l or-
ganisierte sich die Opposition in einem polit.-radikalen
Vereine mit Fazy (s. d.) an der Spitze und forderte
durch Volksversammlungen und Demonstrationen
von dem schwankenden Staatsrat entschiedene Teil-
nahme für Aargau (s. d.) in der Klosterfrage und Ein-
berufung eines Vcrfassuugsrates zum Entwurf eiuer
neuen Verfassuug. Am 7. Iuui 1842 wurde die
neue Vcrfasfuug angenommen; sie führte eiueu ge-
setzgebenden Nepräsentantenrat von 176 Mitglie-
dern und einen auf 6 Jahre gewählten Staatsrat
von 13 Mitgliedern ein.
Als 1846 bei der Entfernung der Jesuiten und der
Auflösuug des Souderbundes der Staatsrat in G.
mit der Zustimmung zögerte, protestierte eine 5. Okt.
gehaltene Volksversammlung gegen diese Weige-
rung, es entstanden Unruhen, und schließlich wurde
der Staatsrat zur Abdaukuug geuötigt. Am 9. Okt.
wurde eine provisorische Regierung von 9 Mitglie-
dern mit James Fazy an der Spitze ernannt sowie
25. Okt. ein neuer Großer Rat von 90 Mitgliedern
gewählt. Dieser arbeitete zugleich die ueue demo-
kratische Verfassuug aus, die 27. Mai 1847 mit
großer Mehrheit vom Volke angenommen wurde
und im allgemeinen jetzt noch gültig ist (s. S. 779).
Ungeachtet des materiellen Aufschwungs, den G.
unter der radikalen Negierung nahm, bildete sich
im Gegensatze zu Fazys persöulichcr Willkür aus
der konservativen Partei und sonstigen unzufriede-
nen Elementen eine Opposition, die bei den Staats-
wahlen von 1853 siegte. Allein schon 1855 gelang-
ten Fazy und seine Partei wieder ans Ruder. Seit
1861 organisierte sich die Opposition als Partei der
Independentcn, und 1865, uach mancherlei Un-
ruheu, die 1864 sogar eine bewaffnete eidgenössische
Intervention nötig machten, errang sie den vollstän-
digsten Sieg. Mit dem Siege begann aber auch
ihre allmähliche Auflösung. Ein Vorschlag der Par-
tei zu einer Neueinteilung der Wahlkreise wurde
vom Volke mit großer Mehrheit verworfen. Der
(independente) Staatsrat gab hierauf feiuc Ent-
lassung und wurde größtenteils wieder aus Radi-
kalen bestellt. Auch bei den Grosiratswablcn von
1870 und den ^watsrat^wahleu von 1871 erraug
die radikale Partei den Sieg und behauptete die
Herrschaft bis 1879, wo es den zur demokratischen
Partei vereinigten oppositionellen Elementen ge-
lang, das ausschließlich radikale Regiment zu spren-
gen. Aber schon 1881 gelangte die radikale Partei,
deren Führung Earteret (s. d.) übernommen hatte,
wieder ans Ruder und behauptete auch bei den Wah-
len von 1882 den Sieg über die ebenso zahlreiche,
aber nicht organisierte Opposition, der indessen durch
die Einführung des fakultativen Referendums eine
Waffe gegeu die einseitige Parteiherrschaft der Ra-
dikalen geboten wurde. Bald nach dem Tode von
Carteret, uuter dem G. einen großen Aufschwung
genommen und seine Akademie zur Universität er-
hoben hatte, wurdeu im Okt. 1889 die Radikalen
uuter Gavard gestürzt; die Demokraten (Liberal-
Konservativen) siegten; bei den Wahlen 15. Nov.
1891 wurden 5 Konservative und nur 2 Radikale
iu dcu Staatsrat gewählt. Eine Partialrevision
brachte im Juli 1892 das Proportionalsystem.
In den siebziger Jahren entbrannte in G. ein
heftiger Kulturkampf, dadurch veranlaßt, daß Jan.
1873 der Pfarrer K. Mermillod (s. d.), durch Papst
PiusiX. im Widerspruch mit eiuer früheru "ewigeu"
Aufhebuug des Bistums G. zum Bischof in partidu8
von Hebron und zum Apostolischen Vikar von G. er-
nannt, ohne staatliche Genehmigung sich bischöfl.
Macht und Rechte anmaßte. Der ^taatsrat entsetzte
Mermillod seines Amtes und im Februar wurde
dieser wegen Störung des innern Friedens vom
Bundesrat des Landes verwiesen, blieb aber das
Haupt der Genfer Ultramontanen. Diesen gegen-
über organisierte sich, vom Staat begünstigt, eine
altkath. Partei; bei der Pfarrerwahl von 1873 ent-
hielten sich die Ultramontanen der Abstimmung,
und die Altkatholiken setzten die Wahl ihrer Kan-
didaten Loyson (Pater Hyacinthe, s. d.), Hurtault und
Chavard durch. In den fanatisch römisch gesinnten
Landgemeinden gewann aber der Altkatholicismus
keinen Boden und auch in der Stadt bildeteu sich
bald Zerwürfnisse, infolge deren Loyfon 1874 sein
Amt niederlegte. Als Mermillod 1883 Bischof von
Lausanne wurde, und dadurch die formellen Schwie-
rigkeiten hinsichtlich des Generalvikariats beseitigt
wnrden, erkannte G. den neuen Bischof nicht an. -
In eidgenössischen Dingen ist G. durchaus freisinnig.
1874 standen bei Abstimmuug über die neue Bun-
desverfassung alle Parteieu außer den Ultramon-
tanen auf der Seite der Annehmenden.
Litteratur. Rey, (^6N6V6 et leg riv68 äu
I^c. I.ömcTn (Par., Genf u. Bas. 1868); F. Demole,
I^I^6Md1i<iuo (16 (?6I16V6, lN'6c Ht1ll8 (Genf 1877);
Alph. Favre, I)68ci-iptioii ^Lolo^i^nL äu canton
(10 (56N6V6 (2 Bde., ebd. 1879); Charles Archinard,
8liiti8ti(iu6 l^i'ioolL du cmiton (16 (Ä6NLV6 (ebd.
1893). Über die Geschichte des Kantons vgl. außer
den ältern Werken von Spon, Picot, Verenger u. a.
^1"moii'68 6t (1c)cuin6nt8 110U1- 8oi vir ^ 1'iii8toir6
<Io 66H6V6 (Genf 1842 fg.); Pictet de Sergy, ^6-
I16V6, 01'i^ino 6t ci6V6io^)6IN6Nt ^6 06tt6 r6M-
d1ihu6 (2 Bde., ebd. 1843-47); Thourel, I1i3toir6
äe (^6uöv6 (3 Bde., ebd. 1833); Galiffe, yuelyu^
MF68 (1'1ii8toii'6 äo (56N6V0 (ebd. 1863); Cherbuliez,
(i oN6V6) 868 il18titutit)N8, 868 INWUI'8, 80N sl6V6-
I<)j)p6M6nt int6li6ctk6i 6t inoral (ebd. 1868); Roget,
IIi8tnil6 du 1)6U1>16 ä6 (s. 66M18 1^ i'Üloi'IIISM^u'ö.
1'68cHl^ä6 (7 Bde., 1870-82); Fazy, 1.68 c0N8ti-
tntion8 <I6 1". i'Ü^ndU^NL äo (i6N6V6 (Genf 1891).
Genfer Katechismus, f. Katechismus.
Genfer Kirchenkonflikt, s. Genf (Geschichte)
uud Mermillod, Kaspar.