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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gera
die frühgot. St. Iobannistirche (1885) und die St.
Trinitatiskirche, 1611 erbaut, 18<;8 renoviert, be-
merkenswert, unter den übrigen Gebäuden das fürstl.
Schloß, das Rathaus, 1573- -76 an Stelle des alten,
1254 erbauten, 1450 zerstörten Baues errichtet und
nach dem Brande von 1780 erneuert, mit altertüm-
lichem Portal und der ältesten Scbantstätte Deutsch-
lands, die seit litt7 besondere Privilegien besitzt:
ferner das fürstl. Theater, das Postgcbäudc (1891),
die Geracr Bank, das Gymnasium (1^87), die En-
zian- und Lutberschule (1874 und 18>>3 eröffnet);
Denkmäler des Fürsten Heinrich Postbumus von
Reuß und Kaiser Wilhelms I. An Unterrichts-
anstalten besitzt G. ein fürstlich cvang.-lutb. Gymna-
sium, Rutbeneum, 1608 vom Grafeu Reuß gegrüudet
lDirektor I>r. Grumme, 15 Lehrer, l; Klassen mit 17")
Schülern, 3 Vorklassen mit 54 Schülern), ein städti-
sches Realgymnasium, 4864 als erste Abteilung der
Stadtschule gegründet (Direktorin. Kießler, ^Leh-
rer, 43 Klassen mit 400 Schülern, 3 Vorklassen mit
112 Schülern), Zabelsche höhere Vtädchensckule, drei
Bürgerschulen, gewerbliche Fortbildungsschule mit
<2onntagszeichenschule, städtische weibliche Fort-
bildungsschule; an Privatanstalten die Amthorscke
höhere Handelsschule und Handelsakademie, bis
1854 in Hildburgbausen, eine Fachwebesckule, Bau-
handwerker-Technikum in Gera-Neuuntermbaus,
Lehranstalten für Handvergoldung in der Buchbin-
derei, fürweiblicheDienstboten, Näh-undStriäschule.
Für Wissenschaft und Kunst wirken die Gesell-
schaft von Freunden der Naturwissenschaften, der
Pädagogische und Lehrer-Verein, der Ärztliche und
Kaufmäuuische Verein, die Gymnasial- und Rats-
bibliothek, das sürstl. Theater, der Kunstverein, das
städtische Museum, die städtische Musitkapelle, die
sürstl. Hofkapelle, der Musikalische Verein, der Ver-
ein für geistliche Musik u. a. Außerdem bestehen die
Freimaurerlogen "Archimedes zum ewigen Bunde"
und "Heinrich der Treue"; ferner ein Gewerbcverein,
je ein Kaufmännischer, Fabrikanten-, Landwirt-
schaftlicher, Forstwirtschaftlicher und Gärtnerverein.
Die bedeutende Industrie, die sich besonders
seit 4873 entwickelt hat, umfaßt etwa 190 Fabriken
mit 227 Dampfkesseln von zusammen 11837 (M
Heizfläche; die Zahl der Arbeiter beträgt 10 875,
darunter 3958 weibliche. Den Hauptzweig bildet
die 1595 durch den aus Flandern eingewanderten
Nikolaus de Smit begrüudete Wollwarenweberei
(1891: 9514 meckan.'Wcbstühle in 62 Fabriken
und 87 Dampfmaschinen mit 4662 Pferdestärken,
jährlicher Umsatz etwa 60 Mill. M., direkte Ausfubr
nach den Vereinigten Staaten von Amerika 1<^92:
etwa 7 Mill. M.), Kammgarnspinnerei (4 Fabriken",
Tcppichweberei (6), Färberei; ferner besteben Ap-
pretur- und Blanchieranstalten, Eisengießereien,
Kesselschmieden, Roßhaarspiniiereien, Pechsiedereien,
Ziegeleien, Brauereien, Müblenwerke sowie Fabri-
kation von Maschinen, Harmonika-Accordicms,
Drahtwaren, Loh-, Sämisch- und Instrumenten-
leder, Wagenfett, Schnupf- und Rauchtabak, golde-
nen Ringen. Bedeutend ist ferner der 5^l-, Pro-
dutten-, Spiritus- und Speditions-, Troguen- und
Farbwarenhandel sowie die Buch-und Steindruckerei,
Kunst- und Handelsgärtnerei. Jährlich werden
3 Roß-, je 2 Vieh- und Jahrmärkte abgehalten. G.
ist Sitz der Land- und Forstwirtschaftlichen Vcrufs-
genossenschaft des Fürstentums Reuß jüngerer Linie
und der 6. Sektion der Sächsischen Baugewerks-
berussgenossenschast. In der Umgebung wird außer
Brockhaus' Konversations-iiexiton. 14. Aufl.. VII.
Landwirtschaft auch Holzhandel, Bruchstein- und
Ziegelindustrie betrieben.
In der nächsten Umgebung tritt besonders das auf
dem Hainberg erbaute Schloß Osterstein hervor.
Seit 1848 Residenzschloß, ist es unter Fürst Hein-
rich I.XV11. 1859 - 63 restauriert, mit bequemem
Auffahrtsweg und neuen Seitengebäuden versehen
worden. Fürst Heinrich XIV. vollendete seit 1868
den innern Ausbau. Es enthält 5 Säle, ungefähr
160 Zimmer, eine große Bibliothek (30000 Bände),
Rüstsaal und Waffensammlung, Glas- und Por-
zellankabinett, naturhistor. und Altertumssamm-
lung und eine Meugc Kunstschätze. Unterhalb das
Dorf Gcra-Untermhaus mit (1890) 3274 E.,
schouer Kircke, Porzellanfabrik, Brauerei und Har-
monikafabrik. Unweit liegt ferner der Marktflecken
Langenberg an der Weißen Elster mit 2090 E.
und Kaltwasserheilanstalt, die Saline und die chem.
Fabrik Heinrichsball, letztere seit 1872 ein Aktien-
unternebmen, bei Triebes die große Geraer Iute-
spinnerei und Weberei, bei Tinz und Pforten die
Aktienbierbrauereien.
Als Ort wird G. selbst erst 4125 genannt, noch
um 1200 war es vilia, erst 4224 wird es als urds,
also als befestigter Platz bezeichnet. Damals ge-
borte die Grundherrschaft der Reichsabtei Quedlin-
burg. 1303 ging cil8trnni und civitas (Schloß
uud Stadt) G. durch Kauf an den Reußen Heinrich
über, der 1306 auch das Schultheißenamt mit Ge-
richtsbarkeit, Grundbesitz und Patronat von Qued-
liuburg erwarb. 1450 wurde es in dem Sächsischen
Bruderkriege durch die böhm. HilfsVölker unter Po-
diebrad fast vollständig zerstört; 4639 legten die
Scbweden beinahe die Hälfte der Stadt in Asche
und 1780 wurde sie abermals durch Brand fast
vollständig verheert.
Die Herrschaft G. war früher, wenn auch nicht
ganz in demselben Umfange, Besitztum einer eige-
nen, danack benannten Linie des vogteilichen Hauses,
welche zu Ende des 42. Jahrh. Heinrich, der jüngste
Sodn Heinrichs des Reichen, des Herrn des gesam-
ten Vogtlandcs, stiftete. In der Folge hatte diese
Linie aus dem Arnsbaugkischen Nachlasse zu Ende
des 13. Iabrb. die Herrschaften Lobenstein, Saal-
burg, Schleiz, Ebersdorf und Burgk durch eine Hei-
rat dazu erworben und mebrmals, jedoch immer nur
für kurze Zeit, diese ihre Erblande geteilt. Als sie
155<> ausstarb, fiel G. an die einzige noch übrige
vogteilicbe Hauptlinie, die Plauensche, und wurde
1562 dem jüngern Zweige derselben, den Grafen
Reuß, überlassen, welche sich 1564 dergestalt in
drei Aste teilten, daß der jüngere derselben unter
anderm G. erbielt. 1647 teilten die drei Söhne und
! ein Enkel des Heinrich Postbumus das Gesamtland
abermals untereinander, wobei die Herrschaft G. in
iluem gegenwärtigen Umfange an Heinrich II., den
ältesten dieser drei Brüder, kam. Als nach dem Ab-
sterben eines der letztern 1666 abermals eine Ge-
> bietsteilung vorgenommen wurde, fiel noch die alte
Herrschaft Saalburg an die Linie G., welche 1802
mit Heinrich XXX. abermals ausstarb. G. fiel nun
an die beiden jüngern Linien des Hauses Reuß,
den Fürsten Reuß-Schleiz und Neuß-Lobenstein-
Ebersdorf, welche seitdem die Regierung gemein-
schaftlich ft'lbrten und die jährlichen Einkünfte teil-
j ten. 1848 entsagte der Fürst Heinrich I.XXII. Reuß-
^obenstein-Ebersdorf der Regierung, sodaß diese
Teile des reußiscben Gesamtlandes sowie die Allein-
regicrung der Herrschaft G. dem Fürsten Reuß-
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