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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Gerichtsbann; Gerichtsbarkeit

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Gerichtsbann – Gerichtsbarkeit (staatliche)

ters bei der Staatsanwaltschaft zu übernehmen. Bei den Landgerichten und den Strafkammern der Amtsgerichte sind sie zur Wahrnehmung richterlicher Geschäfte nur befugt, wenn sie als Hilfsrichter (s. d.) bestellt sind (vgl. §§. 3‒6 des preuß. Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungsgesetze). Obgleich den G. außer dem Richteramt und der Staatsanwaltschaft auch die Rechtsanwaltschaft offen steht, und obgleich auch andere Zweige der Staats-, Provinzial- und Gemeindeverwaltung einen Teil ihrer Beamten aus den G. nehmen, ist die Zahl der letztern in Preußen seit Einführung der Reichsjustizgesetze bedenklich gestiegen. Sie betrug im Herbst 1890 1791, deren älteste schon seit sieben Jahren auf Anstellung warteten. Wenn nun auch die Zahl der Referendare (s. d.) von 3937 im J. 1883 auf 2975 im J. 1890 heruntergegangen ist, so ist doch andererseits die Zahl der die Rechte Studierenden seit 1886 wieder im Zunehmen begriffen und hiernach eine Abnahme der – überwiegend unentgeltlich beschäftigten – G. vorerst nicht zu erwarten.

Gerichtsbann, s. Bann.

Gerichtsbarkeit nennt man die Ausübung der Staatshoheit in ihrer Richtung auf den Rechtsschutz; in ihrer Richtung auf den Schutz der privaten Rechte bezeichnet man sie als Civilgerichtsbarkeit, in ihrer Richtung auf Verwirklichung des staatlichen Strafrechts als Strafgerichtsbarkeit. Sie schließt in sich die Urteilsgewalt (s. Urteil und Gericht unter C) und diejenige Befehls- und Zwangsgewalt, welche notwendig ist, das Urteil herbeizuführen: Prozeßleitungsgewalt, und zu vollstrecken: Exekutivgewalt. (S. Prozeßleitung, Vollstreckung, Zwangsvollstreckung.)

Die G. in diesem Sinne bezeichnet man als streitige G. zum Unterschiede von der nicht streitigen, freiwilligen G., worunter man versteht: die Mitwirkung der Gerichte bei privaten Rechtsgeschäften durch Entfaltung einer notariellen Thätigkeit, Aufnahme von Verhandlungen, bei denen gerichtliche Mitwirkung vorgeschrieben ist, z. B. Aufnahme von Testamenten, Bürgschaften der Ehefrauen, Schenkungen (s. d.), früher auch durch jetzt meistens hinweggefallene Bestätigung von Rechtsgeschäften, z. B. Kaufverträge über Grundstücke, die Regulierung von Erbschaften, Vornahme von Teilungen, öffentlichen Verkauf von Grundstücken, die Führung der Grund- und Hypothekenbücher, der Handels-, Genossenschafts-, Geschmacksmusterregister und ihre obervormundschaftliche Thätigkeit (Bestellung, Absetzung eines Vormunds, Überwachung der Vormundschaftsführung, Genehmigung zu gewissen wichtigen Rechtsgeschäften des Vormunds, s. Obervormundschaft).

Im alten Deutschen Reich stand die höchste G. dem Kaiser zu und wurde von den Landesherren nur auf Grund einer Verleihung geübt. Nachdem die mächtigern Landesfürsten sich schon früher in den Besitz der vollen Souveränität gesetzt hatten, ist mit der Auflösung des alten Deutschen Reichs auch die Justizhoheit allgemein auf die deutschen Einzelstaaten übergegangen. Neben der in der Person des Landesherrn verkörperten Staatsgerichtsbarkeit bestand aber bis in die Mitte des 19. Jahrh., in einzelnen Staaten bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze, eine Privatgerichtsbarkeit mediatisierter Standesherren, einzelner Städte und anderer Körperschaften, sowie der Besitzer gewisser Güter (Patrimonialgerichtsbarkeit, s. d.), in einigen Staaten auch für Ehe- und Verlöbnissachen kath. geistliche Gerichte.

Durch §. 15 des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Jan. 1877 ist die Privatgerichtsbarkeit aufgehoben, der Ausübung der geistlichen G. (s. Gerichtsbarkeit, geistliche) die bürgerliche Wirkung entzogen. Danach sind alle deutschen Gerichte Staatsgerichte. Insbesondere ist auch das zum Teil an Stelle der Privatgerichtsbarkeit, zum Teil auch als polit. Berechtigung in einzelnen Staaten eingeräumte Präsentationsrecht für Richterstellen aufgehoben.

Im heutigen Deutschen Reiche steht nun die G. teils dem Reiche, teils den Einzelstaaten zu. Dem Reiche steht sie in vollem Umfange zu für das Gebiet von Elsaß-Lothringen, für das ganze Reichsgebiet, insoweit das Reichsgericht (s. d.) zuständig ist; das Reich hat ferner die Konsulargerichtsbarkeit, die G. in den deutschen Schutzgebieten und die Marinestrafgerichtsbarkeit. In allem übrigen steht die G. den Einzelstaaten zu. Der Gesetzgebung des Reichs, deren Ausführung es überwacht, unterliegt aber nach Art. 4, 13 der Reichsverfassung das gerichtliche Verfahren und folglich auch die Gerichtsverfassung. Und wenn in einem Bundesstaate eine Justizverweigerung eintritt, so liegt es im Notfall dem Bundesrat ob, Abhilfe zu schaffen (Art. 77 der Verfassung).

Die deutschen Staaten sind zu wechselseitiger Unterstützung ihrer Rechtspflege aufs engste miteinander verbunden. Die Urteile und Beschlüsse eines deutschen Gerichts haben Wirksamkeit für das ganze Gebiet des Reichs; hinsichtlich der Rechtshilfe (s. d.) wird kein Unterschied gemacht zwischen Gerichten desselben und Gerichten verschiedener deutscher Staaten; alle deutschen Staaten betrachten sich wechselseitig in Bezug auf die Rechtspflege als «Inland». Zwischen einzelnen deutschen Staaten (so z. B. zwischen den thüring. Staaten) bestehen Gerichtskonventionen über Ausübung ihrer G. durch gemeinschaftliche, gemeinschaftlich von ihnen besetzte Gerichte.

Das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 bezieht sich nur auf die ordentliche, streitige G., also einerseits nicht auf die freiwillige G., andererseits nicht auf diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind (§§. 12, 13). Als bestellte Sondergerichte sind zu erwähnen die Militärgerichte in Strafsachen, die Konsulargerichte und die Gerichte in den deutschen Schutzgebieten; als zugelassene die Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte, die Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten bei Ablösungen, Auseinandersetzungen und Zusammenlegungen (in Preußen: Generalkommissionen und Oberlandeskulturgericht), die Gemeindegerichte und Gewerbegerichte (§. 14). Über die Zulässigkeit des Rechtsweges entscheiden grundsätzlich die Gerichte selbst; doch ist der Landesgesetzgebung unter gewissen Garantien zugestanden, die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über Zulässigkeit des Rechtsweges (Kompetenzkonflikte) besondern Behörden zu übertragen (§. 17).

Zum Schutz einer unparteiischen Rechtspflege enthält das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz besonders folgende Grundsätze. Der Träger der G. darf sie nicht selbst, sondern nur durch unabhängige, lediglich dem Gesetz unterworfene Richter ausüben: keine «Kabinettsjustiz» (§. 1). Justiz und Verwaltung sind getrennt; dadurch wird indes nicht ausgeschlossen, daß den Gerichten durch die Landesgesetze