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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gerichtsordnung - Gerichtssprache
Litteratur. Stengel, Das Gebührenwesen im
Deutschen Reich und Königreich Bayern (2. Aufl.,
Nördl. 1880; Ergänzungsdand 1881): Becker und
Grah, Das Deutsche Gerichtslostenwesen (4. Aufl.,
Verl. 1883); Kahle, Gerichtliche Gebührentaxe
<2 Tle., 2. Aufl., Striegau 1892); Pfafferoth,
Das Deutsche Gerichtskostenwesen (5. Aufl., Verl.
1891); Willenbücher, Das Kostenfestsetzungsver-
fahren l2. Aufl., ebd. 1888).
Gerichtsordnung, eine früher vorkommende
Bezeichnung für Gesetzbücher über die Regelung des
gerichtlichen Verfahrens, daher gleich Prozeßord-
nung, wie z. B. die Allgemeine G. für die preuß.
Staaten vom 6. Juli 1793. Mit dieser sollte der
mehrfach ausgesprochene Gedanke König Fried-
richs II. verwirklicht werden, daß ein Civilprozeh
in allen Instanzen innerhalb eines Jahres beendigt,
daß nicht formelle, sondern materielle Wahrheit er-
mittelt, die Findung derselben von dem Richter selbst
in die Hand genommen würde, sodaß ihn die Sach-
walter nur unterstützten. Die G. beruht auf dein
(^oi'M8^ui'i81"i'i(i6i iciu>umn von 1781 (erstes Bnch,
die Prozeßordnung). Das Gesetzbuch hat drei Teile:
1) die Civilprozesiordnnng, 2) von dem gerichtlichen
Verfahren in nichtstreitigen Angelegenheiten, 3) von
den Pflichten der Iustizbeamten.
Gerichtsort. Nach dem Deutschen Gerichtsver-
fassungsgesetz §. 167 darf ein Gericht Amtshand-
lungen außerhalb seines Bezirks ohne Zustimmung
des Amtsgerichts des Ortes nur vornehmen, wenn
Gefahr im Verzüge obwaltet. In diesem Falle ist
dem Ämtsgericht des Ortes Anzeige zu machen.
Innerhalb des Gerichtsbezirks findet die gerichtliche
Verhandlung regelmäßig an der ständigen Gerichts-
stelle - im Gerichtsgebäude - statt. ' Das ist für
Civilprozesse mit der Einschränkung vorgeschrieben,
daß nicht die Einnahme eines Augenscheins an Ort
und Stelle oder die Verhandlung mit einer am Er-
scheinen vor Gericht verhinderten Person oder eine
sonstige Handlung erforderlich ist, welche an Ge-
richtsstelle nicht vorgenommen werden kann (z. B.
Vernehmung von kranken Zeugen). Die Landes-
herren und die Mitglieder der landesherrlichen Fa-
milien sowie die Mitglieder der fürstl. Familie
Hohenzollern sind nicht verpflichtet, persönlich an
der Gerichtsstelle zu erscheinen (Civilprozeßordn.
§. 196). Eine gerichtliche Verhandlung ist deshalb
nicht ungültig, weil sie nicht an Gerichtsstelle vor-
genommen ist. Der in Haft befindliche Angeschul-
digte hat einen Anspruch auf Anwesenheit in Ter-
minen der Voruntersuchung nur, wenn sie an der
Gerichtsstelle des Ortes der Haft abgehalten werden.
Gerichtspersonen, die berufsmäßig und stän-
dig einem Gericht zugehörigen Personen, zunächst
also Richter und Gerichtsschreiber. Man bezeichnet
diese beiden zur Aufnahme eines jeden richterlichen
Protokolls nötigen Personen wohl auch als "erste"
und "zweite" G. Die Vorschriften über die Ableh-
nung (s. d.) der G. finden auch auf Schöffen und,
sofern es sich um gesetzliche Ausschließungsgründe
handelt, auf Geschworene Anwendung (vgl. '§§. 22,
31, 32 der Deutschen Strafprozeßordnung).
Gerichtsschreiber. Nach einem Grnndfatz des
vormaligen gemeinen Rechts wie nach den heutigen
deutschen Prozehordnungen gehört zum besetzten
Gericht auch der G. Seine wesentliche Funktion ist
die Beurkundung der gerichtlichen Vorgänge. (S.
Protokoll.) Bezüglich des Inhalts derselben ist er
von den Weisungeildes Richters unabhängig. Außer-
dem sind ihm aber auch noch andere wichtige Ver-
richtungen, wie z.B. die Ausfertigung der Beschlüsse
und Urteile, die Erteilung der Vollstreckungsklausel
in Civilprozessen sowie die Bescheinigung der Voll-
streckbarkeit in Strafsachen zugewiesen. Auf seine
Ausschließung und Ablehnung finden die Grund-
sätze über Ausschließung und Ablehnung des Rich-
ters entsprechende Anwendung. Das Gerichtsver-
fassungsgesetz vom 27. Jan. 1877 schreibt in ß. 154
die Einrichtung einer Gerichtsschreiberei bei jedem
Gericht vor; die Geschäftseinrichtung beim Reichs-
gericht wird durch den Reichskanzler, bei den Landes-
gerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt.
- Vgl. die Kommentare und Lehrbücher über Civil-
prozeß (s. d.) und Strafprozeh (s. d.).
Gerichtssprache ist im Deutschen Reich nach
§. 186 des Gerichtsverfassungsgesetzes die deutsche.
Die für Elsaß-Lothringen durch §.12 des Einfüh-
rnngsgesetzes vom 27. Jan. 1877 gemachte Aus-
nahme ist durch Reichsgesetz vom 12. Juni 1889
beseitigt. Die Bedeutung der G. ist die, daß alle
schriftlichen Erklärungen, die vom Gericht ansgehen
oder an das Gericht gelangen, in deutscher Sprache
abgefaßt sein müssen, daß Beamte und Anwälte sich
dieser anch bei den mündlichen Verhandlungen be-
dienen müssen, daß bei Verhandlung mit Personen
(Parteien, Zeugen u. s. w.), die der deutschen Sprache
nicht mächtig sind, ein Dolmetsch ss. d.) zuzuziehen
ist. Eide werden stets in der dem Schwörenden ge-
läufigen Sprache geleistet. Durch das Gerichtsver-
fassungsgesetz ist die G. zunächst nnr für den Bereich
der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit eingeführt,
während für die nicht streitige Gerichtsbarkeit die
Landesgesetzgebung maßgebend bleibt, insbesondere
für Preußen das Gesetz vom 28. Aug. 1876, für
Elsaß-Lothringen das vorerwähnte Reichsgesetz.
In Osterreich ist in der cisleithanischen
Reichs Hälfte durch Artikel 19 des Staatsgrund
gesetzes vom 21. Dez. 1869 über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger die Gleichberechtigung
aller landesüblichen Sprachen in folgender Weise
festgestellt worden: "Alle Volksstämme des Staates
sind gleichberechtigt und jeder Voltsstamm hat ein
unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner
Nationalität. Die Gleichberechtigung aller landes-
üblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem
Leben wird vom Staate anerkannt." Bezüglich der
civilprozessualischen Verhandlungen normiert §. 13
der Allgemeinen Gerichtsordnung vom 1. Mai l 781:
"Beide Teile sowohl als ihre Nechtsfreunde haben
sich in ihren Reden der landesüblichen Sprachen
zu gebrauchen." Die Parteien sind verpflichtet, allen
nicht in der G. oder in einer der Landessprachen aus-
gestellten Urkunden, wovon in oder außer Streit-
sachen bei Gericht Gebrauch gemacht werden soll, be-
glaubigte Übersetzungen in die G. oder in eine der
Landessprachen beizulegen. Zu deren Verfassung
bestehen bei jedem größern Gerichtshofe eigens be-
stellte und beeidete Dolmetsche. t-.
Hinsichtlich der eigentlichen Gerichts- als Ver-
handlungssprache fehlt eine gesetzliche Bestimmung
bei den Gerichten erster und zweiter Instanz. In
der Regel ist die landesübliche Sprache auch die
G. Bei dem obersten Gerichts- und Kassationshofe
in Wien (Oberste Gerichtsinstanz für alle österr.
Kronländer) hat nach §. 27 des Patentes vom
7. Aug. 1850 als Geschäftssprache in der Regel die
deutsche Sprache züngelten; es sind daher alle Vor-
träge in deutscher Sprache zu halten und die Aus-