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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gewerkvereine
dem Österr. Berggesetz ist eine Direktion zu bestellen
lttii cittem Vorsteher (Direktor) an der Spitze. Jeder
Gewerke ist befugt, anf seinen Anteil freiwillig zn
verzichten (Lossagung, Heimsagnng). Der Kux fallt
dann den Mitgenosscn zu; nach Preuß. Berggesetz
ist derselbe, sofern die G. nicht anderweit darüoer
verfügt, durch den Repräsentanten zu verkaufen.
Die G. geht unter 1) durch Übereinkommen der
Beteiligten, 2) dnrch Aufhebung des Vergwerks-
eigentums, 3) dnrch Veräußerung des Bergwerks,
4)"durch Konkurs. Soweit eine Liquidation erfor-
derlich ist, lebt sie als rechts- und prozesifähiges
Subjekt einstweilen noch fort. Manche Rechtslehrer
rechnen zu den Aufhebungsgründen noch die Ver-
einigung sämtlicher Kuxe in einer Hand; das Dentsche
Reichsgericht bat diese Ansicht in neuester Zeit ver-
worfen. Die Gewerken nehmen nach Verhältnis ihrer
Kuxe an Gewinn und Verlnst teil. Über die Höhe
der Ausbeute und Zubuße bestimmt die Gewerken-
Versammlung. Der Verurteilung und Zwangsvoll-
streckung kann sich jeder Gewerke dadurch entziehen,
daß er unter Überreichung seines Kuxscheins den
Verkauf seines Anteils der G. anheimstellt. Bleibt
derselbe unverkäuflich, fo wird er lastenfrei der G.
zugeschrieben. Eine Kadnziernng der Kuxe wegen
Säumigkeit der Gewerke bei Zahlung der Zubuße
findet nicht mehr statt; nach den nenern Rechten ist
die G. vielmehr anf den Weg der Klage gewiesen.
Wegen der ältern Rechte s. Retardat.
Gewerkvereine (auch Gewerks genoss en-
schaften und fälschlich Gewerkschaft en genannt,
engl. ^raäk IInion8), dauernde Verbmdnngen von
Arbeitnehmern gleichen Berufs (Gewerks) zum
Schutze und zur Förderung ihrer Rechte und Inter-
essen als Berufsgenossen, insbesondere hinsichtlich
der Arbeitsbedingungen. Die G. entstanden in
England gegen Ende des 18. Jahrh, infolge der
mächtig sich entwickelnden Großindustrie, welche die
bisherige gesetzliche und gewohnheitsmäßige Re-
gelnng der Arbeitsverhältnisse durchbrach und be-
sonders durch Ausbeutung der jugendlichen und
weiblichen Arbeitskräfte die gelernten Arbeiter schwer
schädigte. Anfänglich meist nnr vorübergehende
Koalitionen zur Abwehr bestimmter übergriffe, wur-
den die ^iaä6 Unions nach Aufhebnng der Koa-
litionsverbote (1824) mehr und mehr zu festen Or-
ganisationen mit regelmäßigen Beiträgeil und Lei-
stungen, bedeutendem Vermögen und Verzweignng
über das ganze Land, ja zum Teil bis ins Ausland
und die fernsten Kolonien, wobei lokale Selbstver-
waltung mit starker Centralgewalt glücklich verbnn-
den wurde. Seit 1871 konnten sie auf Grund des
Ii-aäö Union ^ct durch gerichtliche Eintragung
(rkFiZti-ktion) die Eigenschaft einer jurist. Person
erlangen. Doch wurde es unter diesem Gesetz üblich,
die Registrierung eines Gewerkvereins von dem
Nachweis abhängig zu machen, daß er nicht zu einer
Einschränkung des Gewerbes führe. Viele bedeu-
tende G. entzogen sich daher der Registrierung, bis
die Annahme des Mundellaschen Amenoements zum
^i-aä6 Union ^ct 1876 jede gesetzliche Schädigung
beseitigte. Das Ergebnis ist, daß jetzt beinahe alle
G. registriert sind und dieselben Rechte haben wie
jede andere gewerbliche Vereinigung.
Die .Hauptaufgabe der G. bestand und besteht
darin, die gesetzliche Freiheit des Arbeitsvertrags
für die mittellosen Arbeiter zur Wahrheit zu machen,
indem dieselben durch ihre Vereinignng befähigt
werden, mit den Arbeitgebern auf gleichem Fuße zu
unterhandeln; Aufrechterhaltung eines auskömm-
lichen Lohns, einer angemessenen Arbeitszeit, Schutz
für Leben und Gesundheit bei der Arbeit, humane
Behandlung u. s. w. stehen dabei in erster Linie.
Die Arbeitseinstellungen, früher <^erst zahlreich
nnd nicht selten mit Gewaltthätigkeiten verbunden,
wnrden gerade mit der wachsenden Stärke und
Wohlhabenheit der G. immer mehr vermieden;
insbesondere sind seit den sechziger Jahren durch
die Errichtung von Einigungs- und Schiedsämtern
(s. Gewerbcgerichte) sehr häufig Lohnstreitigkeiten
zwischen den Arbeitgebern und den G. dnrch güt-
lichen Vergleich beigelegt worden. Daneben gewäh-
ren viele G. ihren Mitgliedern reichliche Unter-
stützung bei Krankheit, Invalidität dnrch Unfall,
Siechtum und Alter, im Sterbefall, bei Verlust von
Werkzeng, bei außerordentlichen Notfällen und be-
fonders bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit: also
Versicherung gegen Maßregelung und ^Geschäfts-
stockung. Ferner ist die Arbeitsvermittelung auf
Grund sorgfältigster Arbeiterstatistik und durch Ge-
währung von Reisegeld organisiert; schließlich sind
die G. noch Viloungsvereine, indem sie die Aus-
bildung ihrer Mitglieder zu heben suchen und nur
gelernte, tüchtige und moralische Arbeiter aufneh-
men; außerdem bemühen sie sich, andere nützliche
Einrichtungen wie Konsumvereine, Sveiseanstalten,
Bangenossenschaften u. s. w. für ihre Mitglieder ins
Leben zu rnfen. Auch pflegen sie streikende Fack-
genossen in Fragen, die ihre Interessen berühren, mit
Geld zu unterstützen. Im allgemeinen wird von den
Mitgliedern ein Wochenbeitrag von 1 Schilt, er-
hoben, doch kann derselbe nach Bedürfnis erhöht
werden; für außerordentliche Vergütungen werden
besondere Beiträge erhoben. In den Krisisjahren
1878 und 1879 haben die englischen G. allerdings
den Kampf gegen dieLohnherabsetzung vielfach ohne
Erfolg versncht und große Opfer bringen müssen.
Jedoch ist ihre Stellung im ganzen dnrchaus nicht
erschüttert worden, zumal hierauf eine Periode fried-
licher Weiterentwicklung folgte. Bei einer Gesamt-
ausgabe von 59 Mill. M. verausgabten die sieben
größten Vereine 1880-85 24 Mill. für Arbeitslofe,
19,5 Mill. für Invalide, Verunglückte u. s. w. und
nnr 3,7 Mill. für Streiks. Die Geschichte der G. in
den letzten Jahren zeigt ein weniger erfreuliches
Bild. Der Lohnkampf ist durch Streiks wiederholt
in wenig versöhnlicher Weise geführt worden; auch
haben sich in der nenesten Zeit neben den alten G.
ans gelernten Arbeitern solche von ungelernten Ar-
beitern (un8ici1i6ä inen) mit ausgesprochener social-
demokratischer Tendenz gebildet. Der Führer dieser
Bewegung, John Vnrns, hat in kurzer Zeit gewal-
tige Arbeitervereinigungen zu stände gebracht, na-
mentlich unter den Dockarbeitern und Seeleuten.
Beispielsweise zählte die Dock-Werfte-Flnßlände-
uno General-Arbeiter-Union 1888: 2Z00, 1890:
57 000 Mitglieder; die vereinigte Nationalunion
von Seeleuten und Heizern von Großbritannien
und Irland (1890) 60525 bez. 60000 Mitglieder.
Anf dem Gewerkschaftskongreß von 1894 sind die
G. völlig ins socialistische Lager abgeschwenkt.
Nach einer in der "I^doni- (^axstts" veröffent-
lichten Statistik der G. für 1892 gab es 599 G., deren
Mitgliederzahl sich auf 1250000 deläuft. Doch ist
es sehr schwierig, eine sichere Angabe über die voll-
ständige Ausdehnung der G. zu geben. Die Ge-
samteinnahmen dieser ^raäs Ilniong beliefen sich
auf 1790 842, die Ausgaben auf 1 765 386 Pfd. St.