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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gnossos - Gnu
zur Geltung kommen, um die Thatsachen der ganzen
israel. und evang. Überlieferung als eine Reihe von
Symptomen und Abspiegelungen überirdischer Er-
eignisse in den Zusammenhang eines großen Gottes-
und Weltdramas zu verarbeiten, das alle Rätsel der
Religions- und Geistesgeschichte einheitlich löse. Die
Erlösung der Menschbeit vou Sünde und Verdamm-
nis ist für den Gnostiker nur das letzte Glied einer
ganzen Kette gewaltiger Vorgänge und Kämpfe, die,
un vnnerM'l Leben der höchsten Gottheit und ibrer
nächsten Umgebung, der Welt der obersten Geistes-
wesen (demPleroma) beginnend, unter anderm auch
zur Erschaffung und Beherrfchung dieser materiellen
und sündigen Welt durch ein niederes göttliches
Wesen (den Temiurgen, Weltbaumeister, d.i. aber
den Iudengott) geführt hat. In diese Welt aber ist
ein Teil der göttlichen Geisteskraft herabgesunten.
Losgerissen von seinem Ursprung lebt er in den-
jenigen Menschen, die ein höheres Dasein ersehnen
und ihre Knechtschaft unter dem Demiurgen als
Elend empfinden. Aber ihre Erlösung ist jetzt im
Begriff sich zu vollziehen, nachdem die seit Ewig-
keiten schon begonnene Neaktion gegen die im
Pleroma eingerissene Verwirrung endlich auch bis
zu uns vorgedrungen, und in Christus eins der
höchsten göttlichen Wesen zu unserer Hilfe erschie-
nen ist. Er brachte die Kunde von allen jenen über-
irdischen Vorgängen. Und der Erlösung wird jeder
Geistesmensch (Pneumatiker) teilhaft, der hierdurch
die Erkenntnis (G.) gewinnt von feinem wahren
Urfprung und Schicksal, fodaft er jetzt den Rückweg
zmn Micbe des Lichtes finden kann.
Was die Christen des 2. Jahrh, gegen diese
Gnostiker aufbrachte, war, abgefehen von dem
Phantastischen ihrer Lehren, einesteils die Gering-
schätzung, mit der sie von ihnen als "Psychiter" (blos;
seelische Menschen ohne Geist) geschmäbt wurden,
ferner das polytheistische Auflösen der einheitlichen
Gottheit, endlich die Umdeutuug des einfachen
sittlich-religiösen Grundgedankens der Erlösung ins
Philosophische und Mysteriöse, und die Umdeutung
der gesamten biblischen und evang. Geschichte ins
Symbolische. (S.Dotetismus.) Hierdurck wurde die
Erlösung des Menschen abhängig gemachtvoll plülos.
Einsicht, und damit auf einen Teil der Mensch-
heit beschränkt. Die sich bildende Kirche hatte einen
darten Kampf mit der G. zu bestehen, aus dem sie
nur dadurch siegreich hervorging, daß sie sich im
Vischofstum einen festen Verfassungskörper schuf,
der dem zersplitternden Einfluß der zahlreichen
gnostischen Sekten zu widerstehen vcrmockte.
Das gnostische System war endloser Abwandlun-
gen fähig. Eine Übersicht wird am besten gewonnen
durch Unterscheidung der syrischen (semit. Mvtbo-
logien verwertenden), hellenistischen (platoniscb-
gcistesphilosopbischen) und tatholisierenden (der
gewöhnlichen Auffassung des Christentums sich wie-
der annähernden) G. Erstere ist durch Ccrinthus, Sa-
turninus und die Ophiten, die zweite durch Vasilides
und Valentinus, die dritte durch Marcion, das Buch
listig öopliia und Bardefanes vertreten (f. die
Einzelartikel). Falsch ist es, die G. als bloße Rück-
bildung des Christentums ins Heidentum anzuseben,
da ihr Grundgedanke unzweifelhaft der christliche
einer endgültigen Erlösung des Menschen und einer
definitiven Überwindung des Vöfcn bleibt, während
die heidn. Betrachtungsweise nur von einem end-
und ziellosen Kreislauf aller Dinge weih. Gleich-
wohl galt die G. durchaus als häretisch und die
Alerandrinische Schule (s. d.) bemühte sich, ihr eine
"christliche" G. gegenüberzustellen. Dennoch zeigt
sich die kath. Theologie, indem sie gleichfalls die
christl. Dogmatik zu einem kosmisch verlaufenden
Drama ausgestaltete, von dem Vorgange des Gnosti-
cismus vielfach beeinflußt.
Litteratur. Neander, Genetische Entwicklung
der vornebmsten gnostischen Systeme (Berl. 1818);
Matter, 1Ii8wii'6 ci-itilius än Fno8tiei8M6 (2. Aufl.,
3 Bde., Strahb. 1843; deutsch von Dörner, 2 Bde.,
Heilbr. 1833; 2. Ausg. 1844); F. C. Baur, Die
christliche G. (Tüb. 1835); Lipsius in Ersch und
Grubers "Allgemeiner Encyklopädie" (Sekt.1,Bd.71,
Lpz. 1860); ders., Zur Quellenkritik des Epiphanios
(Wien 1865); Nitzsch, Grundriß der christl. Dogmen-
gcschichte (Bd. 1, Verl. 1870); Adolf Harnack, Zur
Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus (Lpz.
1873); Lipsius, Die Quellen der ältesten Ketzer-
geschichte (ebd. 1875); Mansel, ^1i6 Ano8tio 1i6i-68i63
(hg. von Lightfoot, 1875); Ioe'l, Blicke in die Reli-
gionsgeschichte zu Anfang des 2. christl. Jahrh. (2 Ab-
teil., Vresl. 1880-83); Hilgenfeld, Die Ketzerge-
fcbichte des Urchristentums (Lpz. 1884); Koffmane,
Die G. nach ihrer Tendenz und Organifation.
12 Thefen (Bresl. 1881); King, 'I1i6 ^liwstic" luni
tlieir r6MkM8, ".ncisM and nieäißval (2. Aufl.,
Lond. 1887); Adolf Harnack, Lehrbuch der Dogmen-
geschichte (Bd. 1, 2. Aufl., Freib. i. Vr. 1888).
Gnossos, Stadt auf Kreta, s. Knosos.
Gnosticismus, Gnostiker, s. Gnosis.
Q-nötki seauton (grch.; lat. Ko806 ts ip8um,
^Erkenne dich selbst"), die einem der Sieben Weisen,
namentlich dem Chilon (s. d.), zugeschriebene In-
schrift des Apollotempels in Delphi.
Gnoyen oder Gnoien, Stadt im Amt Nibnitz
des Groftherzogtunis Mecklenburg-Schwerin, 251cm
im NW. von Demmin, an einem zur Trebel gehen-
den Bache und an der Nebenlinie Teterow-G.
(26,5 Wn) der Mecklenb. Friedrich-Franz-Eisenbahn,
Sitz eines Amtsgerichts (Landgericht Rostock), hat
(1890) 3605 E., Post zweiter Klasse, Telegraph, eine
sehr alte Kirche, Bürgerschule, Gasanstalt, Kranken-
baus, mehrere Etiftuugen, Eisengießerei, zwei
Maschinenfabriken, Genoffenfchaftsmolkerei, Müh-
len, Ziegelei und Gänfemärkte.
Gnu ((^todi6M8), eine kleine, aus zwei Ar-
ten l(^t0di6M8 (^nu. ^mmeT'mamn und tmirinH
,^mM) zusammengesetzte Gruppe der Antilopen-
familie von der Größe des gemeinen Efels, welche
in ihrem Äußern gewissermaßen das Mittel zwi-
scben Pferd und Öchfen hält, indem das G. dem
erftern durch die allgemeinen Umrifse,Hals, Schwanz
und Mähne, dem letztern aber durch den Kopf und
die Hörner gleicht. Die Hörner, welche beide Ge-
schlechter besitzen, krümmen sich erst vorn über die
Angen bcrab und streben dann empor und zurück.
Die erwäbnten Arten unterscheiden sich besonders
durch die Größe und die Farbe der Mähnen und
der Haarbüschel am schwänze und dem Kopfe, welche
den Tieren ein grimmiges Anfehen geben. Die G.
leben Herdenweife in Südafrika vom Kaplande bis
zum Äquator, sind vorsichtig, schnell und wild und
stellen sich zuweilen gegen den Jäger; auch gezähmte
erwacbsene Tiere zeigen nicht selten Anfälle von Wut
oder boshafter Laune. Man inacht auf dasfelbe
bäufig Jagd, weil fein Fleifch sehr geschätzt ist.
In Menagerien sind in neuerer Zeit zahme G. oft
in Europa gezeigt worden; jetzt hat man deren fast
in allen zootog. Gärten, in deuca sic sich unter gün-