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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Geschichte 1853-65)

doch führte der 4. Febr. 1860 auf 10 Jahre abgeschlossene Handelsvertrag, der für England sehr günstige Zollermäßigungen brachte, sowie das gemeinsame glückliche Vorgehen im Chinesischen Kriege endlich eine allgemeine Besserung des gegenseitigen Verhältnisses herbei.

Während nämlich in Indien der Aufstand völlig erlosch, war in China der Krieg aufs neue ausgebrochen, da der Vertrag von Tien-tsin von den Chinesen nicht ausgeführt wurde. Am 21. Aug. 1860 wurden die Ta-ku-Forts, 13. Okt. Peking von den verbündeten Truppen genommen und damit der Widerstand der chines. Regierung gebrochen; 24. Okt. wurde der Friede unterzeichnet, welcher den Vertrag von 1858 neu bestätigte und England neben einer Kriegsentschädigung die Halbinsel Kaulung brachte. (S. China, Bd. 4, S. 210.)

Feindseligkeiten mit den Eingeborenen von Neuseeland begannen im Juni 1860 mit einer Niederlage der Engländer und wurden erst nach mehrjährigem Kriege zum Ende gebracht. Der auch von diesem Ministerium im März 1860 unternommene Versuch, eine Parlamentsreform durchzusetzen, fand geringe Teilnahme, und der sich zeigende Widerstand veranlaßte die Zurückziehung. Im Sommer brach ein Hader zwischen beiden Parlamentshäusern aus, weil die Gemeinen in der Ablehnung einer von ihnen gebilligten Steueraufhebung durch die Lords eine Verletzung ihres Steuerbewilligungrechts sahen. Der befürchtete Bruch wurde durch eine nachgiebige Erklärung des Oberhauses vermieden, und damit im folgenden Jahre eine neue Steuervorlage nicht zu ähnlichen Mißhelligkeiten führte, wurde beschlossen, daß die Finanzvorlagen nicht mehr einzeln, sondern in einer Gesamtbill ans Oberhaus gelangen sollten; nach längerm Sträuben sahen sich die Lords veranlaßt nachzugeben.

Inzwischen war in Nordamerika der große Bürgerkrieg der Nord- und Südstaaten (1861-65) zum Ausbruch gekommen, der die Interessen Englands in empfindlicher Weise berührte. Die engl. Sympathien waren entschieden auf seiten der Südstaaten, mit denen sie als den Hauptbaumwollproduzenten in den wichtigsten Handelsbeziehungen standen. Als obendrein der engl. Postdampfer Trent, auf dem sich zwei nach Europa abgesandte Bevollmächtigte der Südstaaten befanden, von einem Unionsschiff angehalten und die Auslieferung der beiden Kommissare erzwungen wurde, nahm (Nov. 1861) die engl. Regierung eine so kriegerische Haltung an, daß die Union sich zum Nachgeben und zur Auslieferung der Gefangenen veranlaßt sah. Trotzdem blieb das Verhältnis mit den Vereinigten Staaten gespannt, da England die Südstaaten als selbständige kriegführende Macht anerkannte und die versprochene Neutralität zwar von der Regierung gehalten, aber von den engl. Unterthanen vielfach durchbrochen wurde, ohne daß die Regierung in genügender Weise einschritt. Erst nach Beendigung des Bürgerkrieges 1865 suchte man durch einen versöhnlichen Ton in Presse und Parlament der Mißstimmung in Amerika zu steuern. Eine für England besonders schlimme Folge des Amerikanischen Krieges war das Ausbleiben der Baumwollzufuhr, die durch Ostindien und andere Länder keinen genügenden Ersatz erhalten konnte. Viele Fabriken mußten die Arbeit einstellen, und Scharen von Arbeitern wurden der bittersten Not preisgegeben, sodaß man mit Staatsmitteln Abhilfe zu schaffen suchte. Die zweite, von dem Prinz-Gemahl Albert vorbereitete Weltausstellung fand in dieser Zeit, 1. Mai bis 1. Nov. 1862, statt und erfreute sich einer außerordentlichen Beteiligung aus allen Ländern. Ihr Urheber hatte sie nicht mehr gesehen; er war 14. Dez. 1861 nach kurzer Krankheit gestorben.

Inzwischen hatte auch eine drohende ernstere Verwicklung mit Mexiko ihren Austrag gefunden. Die Beeinträchtigung ihrer Unterthanen war die Veranlassung zu einer Übereinkunft zwischen England, Frankreich und Spanien 31. Okt. 1861 zu gemeinsamem Vorgehen bei der Republik, die durch eine bewaffnete Expedition der drei Mächte in kürzester Zeit gefügig gemacht wurde. Da Napoleon indes sehr bald seine viel weiter gehenden Pläne offenbarte (s. Frankreich, Bd. 7, S. 109 a) so trat eine Trennung der Verbündeten ein. Spanien traf mit Mexiko ein Sonderabkommen, das England billigte und dem 28. April 1862 ein engl.-mexikan. Vertrag folgte; worauf die engl. und span. Truppen aus dem Lande gezogen wurden. Aber wie im Westen hatte Großbritannien seine Interessen auch im Osten zu vertreten. Die Revolution in Griechenland, die dem König Otto den Thron kostete (24. Okt. 1862) veranlaßte England zu einer veränderten Haltung gegenüber der Nationalitätsbewegung auf den unter seinem Protektorat stehenden Ionischen Inseln. Schon lange hatten diese den Anschluß an das stammverwandte Griechenland erstrebt, jetzt wurde von seiten Englands Nachgiebigkeit in Aussicht gestellt, falls die griech. Königswahl auf einen der brit. Regierung genehmen Prinzen fiele. Die Griechen boten sofort ihre Krone dem zweiten Sohn der Königin Victoria, dem Prinzen Alfred an. Sie wurden zwar abgewiesen, dafür die Wahl aber auf den Schwager des Prinzen von Wales, den jungen Prinzen Georg von Dänemark gelenkt, der 30. März 1863 einstimmig von der griech. Nationalversammlung gewählt wurde. Dafür verzichtete England förmlich auf das Protektorat der Ionischen Inseln, und 14. Nov. 1863 wurde ihre Einverleibung in Griechenland vollzogen. Schon war damals die öffentliche Aufmerksamkeit durch den Aufstand in Polen in Anspruch genommen, und bei der starken Anteilnahme, die sich in der Presse und öffentlichen Versammlungen Luft machte, verwandte Russell sich mit Vermittelungsvorschlägen bei der russ. Regierung zu Gunsten der Polen (Juni 1863), wurde aber abgewiesen, und da zu bewaffnetem Einschreiten keine Neigung vorhanden war, sah er sich genötigt, einen wenig rühmlichen Rückzug anzutreten. Neben diesen Vorgängen entstanden bedenkliche Verwicklungen mit Brasilien, die zu einem Abbruch der diplomat. Verbindung führten sowie kriegerische Reibungen mit Japan und mit den von neuem sich erhebenden Eingeborenen von Neuseeland. Von weit größerer Bedeutung war jedoch die Stellung Englands zu dem deutsch-dän. Zerwürfnis über Schleswig-Holstein. Die engl. Regierung nahm eifrig Partei für Dänemark, mußte sich aber bei der Abneigung Frankreichs und Rußlands gegen jede Einmischung auf diplomat. Bemühungen beschränken, während die beiden deutschen Großmächte den dän. Widerstand in einem kurzen glänzenden Feldzuge zu Boden warfen. (S. Deutsch-Dänischer Krieg von 1864.) Die von Russell April 1864 zu stande gebrachte Friedenskonferenz in London ging im Juni resultatlos auseinander, und die Feindseligkeiten begannen von neuem mit demselben Erfolg.