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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Grundeigentum
den innern Angelegenheiten als Hofgenossen der
grundherrlichen Gerichtsbarkeit; aber sie selbst
saßen mit zu Gericht als Urteilsfinder, sie hatten
ein festes Recht auf ihr Land, die Abgaben- und
Dienstpflichten waren mäßige und fest firiert, den
Rechten der Grundherren entsprachen bestimmte pri-
vate und öffentliche Pflichten derselben (Verwaltung,
Kriegsdienst). Das G. hatte sich geteilt in ein Ober-
eigentum des .Herrn, welches aus bloßen herrschafts-
rechten bestand, und in ein Nutzeigentum der Bauern,
welches ein echtes hofrechtliches, vom Herrn zu
respektierendes Eigentum war.
Die Bande der Grundherrschaft begannen sich
im westl. Deutschland unter dem Einflüsse der
raschen Entfaltung der städtischen Gcldwirtschaft
früh wieder zu lockern. An die Stelle der Erbzins-
oerhältniste trat im Gebiet des Rheins und feiner
Nebenflüsse, ähnlich wie in England, vielfach die
Geldpacht, in Niedersachsen das freiere Meierver-
hältnis. In den alten Kulturländern am Rhein
wirkte auch die Aufnahme des röm. Rechts zersetzend
auf die alten Grundeigentumsvcrhältnisse, indem
sich die Vererbung des G. auf alle Kinder zu glei-
chen Teilen, die freie Teilbarkeit, Veränderlichkeit,
Verpfändbarkeit des G. einbürgerte. Überall sonst
hingegen blieb die Gebundenheit des bäuerlichen
G. bestehen. Das hofrechtliche Eigentum der Bauern
war hinsichtlich der Vererbungs- und Veräußerungs-
(Dismembrations-, Verschuldungs-)Freiheit schon
durch den grundherrlichen Verband beschränkt; über-
dies aber wirkte in gleicher Richtung die Auffassung
des G. als eines Familien- und Hausvermögens,
welches einer besondern Vererbung auf einen der
Söhne (den Anerben) und Veräußerungsbeschrän-
kungen unterliegen mußte. Der Adel schützte sich
gegen das vordringende röm. Recht durch Familien-
verträge (s. Familienpakt) und Familienfidelkommisfe
(s. d.), soweit nicht die alte Lehnserbfolge gegen Zer-
splitterung der Etammgüter Schutz gewährte.
Die mit der Blüte des deutschen Städtewesens in
Zug gekommene Lockerung der bäuerlichen Abhängig-
keitsverhältnisse und die Verwandlung der Ballern
in freie Geldpächtcr erlitt eine Unterbrechung im
16. Jahrh, durch die Verlegung der großen Welt-
Handelsstraße, welche bisher Deutschland durchquert
hatte, auf den Atlantifchen Ocean, infolge der Ent-
deckung des Seewegs nach Ostindien, durch den
mit dem polit. Verfall zusammenhängenden Nieder-
gang des deutschen Handels und den teilweisen Rück-
fall aus der Geld- in die Natnralwirtfchaft. Zugleich
setzte seit dem 14. Jahrh., namentlich im östl. Dentsch-
land, eine Bewegung ein, welche für den Bauernstand
verhängnisvoll wurde. Infolgedes Ersatzes der alten
Lehnsheere durch Söldnertruppen begannen die Rit-
ter ihre Güter selbst zu bewirtschafteil, sie wurden zu
Rittergutsbesitzern. Sie suchten ihren Besitz
auf Kosten der Vauernhufen zu arrondieren und zu
erweitern und die nötigen Arbeitskräfte zur Bewirt-
schaftung zu gewinnen. Es begann die Zeit des
Legens der Bauernhöfe (s. Bauernlegen) auf Grund
der Anschauung, daß der Gutsherr ein Obereigen-
tum an der ganzen Dorfflur besäße. Das bäuerliche
Vesitzrecht wurde in verschiedenen Landesteilen ein
bedeutungsloses Schcinrecht. Zugleich drückte man
die Masse der Bauern zuLeibeigenen oder genauer
zu Gutsbehörigcn, Gutsunt e r t h a n c n herab,
d. h. die Bauern wurden erblich mit einem Ritter-
gute verbunden, konnten mit demselben veräußert
werden, und ihre Lasten, namentlich die Frondienste
(s. Frone), wurden vielsach aus fest angesetzten zu un-
bemessenen Pflichten. Besonders begünstigt wurde
diese Entwicklung durch die entsetzlichen Erschütte-
rungen des Dreißigjährigen Krieges. Die Landes-
herren unterstützten zunächst die örtliche Machterwei-
terung der Rittergutsbesitzer, sie erkauften die Steuer-
bewilligungen und damit die hevfte^uug der mo-
dernen staatlichen Einrichtungen im Heer-, Ver-
waltung s-, Iustizwesen durch derartige Zugeständ-
nisse an die Stände. Es entstand dieGutsberr-
lichkeit der Rittergutsbesitzer, kraft deren sie die
lokale Polizei- und Iustizgewalt über ihre "Guts-
unterthanen" ausübten.
Diese Entwicklung führte indessen zu ihren vollen
Konsequenzen nur in den kleinern Territorien des
östl. Deutschland, namentlich da, wo ein großer Teil
der Bevölkerung aufterdeutschen Ursprungs und von
alters her leibeigen gewesen war - der Bauernstand
verschwand und wurde zu einer an die Scholle gefessel-
ten Arbeiterschaft. In den größern Staaten hingegen,
namentlich in Preußen, trat die landesherrliche Ge-
walt, sobald sie das Übergewicht über die Stände er-
rungen hatte, aufs wirksamste sener Bewegung ent-
gegen. Zunächst waren es die Domänenbauern,
welche seit Friedrich d. Gr. durchweg erblichen Besitz
(Erbpacht oder Eigentum) erhielten, persönlich frei
^ wurden und die auf ihren Gütern ruhenden Dienste
ablösten. Die Domänen aber umfaßten in einzelnen
Landesteilen die größere Hälfte alles Bodens. Die
Privatbauern wurden seit Friedrich Wilhelm I.
vor jeder Einschränkung ihres Besitztums und jeder
Steigerung ihrer Lasten geschützt, die Leibeigenschaft
(s. d.) in ihrer strengsten Form wurde aufgehoben,
die Gutsunterthänigkeit gemildert und ablösbar
gemacht. Vollendet wurde diese Reform jedoch erst
durch die Agrargesetzgebung (s. d.) dieses Jahr-
hunderts, welche an Stelle des Nutzeigcntums mit
Gutsunterthänigkeit das Privateigentum mit per-
sönlicher Freiheit setzte und durch Gemeinheitsteilung
(s. d.) und Zusammenlegung der Grundstücke (s. d.)
das G. auch von den Schranken zu befreien suchte,
welche die alte Dorfverfassung zur Folge gehabt
hatte. Stellte man aber das volle freie indivi-
^ dualistische G. wieder her, so schien es folgerichtig,
z daß man dasselbe zugleich von allen Beschränkungen
^ in Hinsicht auf Verschuldbarlcit und Veräußerlichkeit
befreite und dem gemeinen Erbrecht unterstellte, kurz
"mobilisierte", d. h. privatrechtlich den Mobilien
gleichstellte. In der That hat man auch diese Folge-
rungen verwirklicht. In Preußen wurde die Dis-
membrationsfreihcit (s. Dismembration) durch Lan-
dcskulturedikt vom 14. Sept. 1811 ausgesprochen,
die hypothekarische Vcrschuldungsfreiheit,welche das
Regulierungsedikt vom selben Tage für Bauerngüter
noch beschränkt hatte (Verschuldung über ein Viertel
des Wertes verboten), wurde 1843 allgemein zu-
gestanden; dasselbe Regulierungsedikt stellte die zu
Eigentum besessenen Güter unter das gemeine Erb-
recht. Am weitesten geht in der Ausbildung eines
extrem demokratischen Erbrechts das in einigen
Teilen Deutschlands eingeführte Franz. Bürgerl.
Gesetzbuch, indem dasselbe eine Naturalteilung
des Bodens im Falle der Vererbung auf mehrere
Kinder regelmäßig erzwingt, über die neuerdings
wider solche Verwandlung des G. aus festen Fa-
miliensitzcn in mobilisierte Vermögensgegenstände
erwachsene Gegenbewegung vgl. Agrargesetzgebung,
Anerbe, Dismembration, Erbpacht, Familienfidei-
! kommissc, Höferecht, Rentengut.