Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

494
Grundeigentum
voll 10 bis 100 Illl.. l 4,2 Pro,;., von mehr als
100 Ka: 1,i Proz. W,25 Proz. der Betriebe und
40,23 Proz. der Fläche stehen in Zeit- oder Halbpacht.
In den Vereinigten Staaten von Ame-
rika gab es 1880: 4008 907 Farmen, davon be-
saßen weniger als 8 Im: 9,8 Proz., 8 - 40,5 kH:
45,:; Proz., 40,5-405 Iia: 44,2 Proz., mehr als
405 da-. 0,7 Proz. Reine Pachtgüter waren 25 Proz.
aller Farmen und zwar gehört dazu ein sehr großer
Teil der mittelgroßen Besitzungen.
4) Angriffe undRechtfertigung. Agrarisch-
revolutionäre Bewegungen sind seit dem Altertum
oft genug zu Tage getreten; die theoretische Be-
kämpfung des G. aber ist namentlich von dem mo-
dernen Socialismus zum Teil nicht ohne Geschick
versucht worden. Dem entsprechend wurden auch
auf den Kongressen der Internationalen Arbeiter-
association zu Brüssel (1868) und Basel (1809) der
Institution des privaten G. feindliche Beschlüsse ge-
faßt. In England haben sich Parteien und Organi-
sationen gebildet, welche die Boden Verstaat-
lichung fordern. In Deutfchland ist eine Land-
liga (s. d.) gleicher Tendenz ins Leben getreten.
Schriftsteller, die im übrigen auf einem individua-
listischen Standpunkte stehen, wie I. St. Mill (s. d.),
in der neuesten Zeit der Amerikaner Henry George
(s. d.) und M. Flürscheim (s. d.), seheil in dem G.
ein schädliches Monopol und verlangen, wenn nicht
geradezu die Aufhebung desselben, so doch die Ein-
ziehung der Gruudrente durch den Staat. Das G.
hat, wie man ausführt, im Vergleich mit dem Eigen-
tum an beweglichen Erzeugnissen der menschlichen
Arbeit, die Eigentümlichkeit, daß es einen nur in be-
schränktem Umfange vorhandenen, für die Menfchen
unentbehrlichen Naturfaktor in Beschlag nimmt, daß
es daher ein Monopol gewährt, vermöge dessen die
Bodenerzengnisse wegen der ununterbrochen mit der
Bevölkerungvzunahme steigenden Nachfrage einen
Monopolpreis erzielen und die Grundeigentümer
eine ohne eigenes Verdienst unaufhörlich wachsende
Bodenrente auf Kosten aller andern erzielen.
Indessen gilt das Gleiche von jeder Art von Mo-
nopolbesitz, von allen Erfindungen, solange der
Erfinder durch Patent geschützt ist oder das Fabri-
kationsgeheimnis zu wahren weih u. s. w. Ferner
ist darauf hinzuweisen, daß die landwirtschaftliche
Grundrente in der Gegenwart infolge der Konkur-
renz neu erschlossener Teile der Erde sich rückwärts
gewendet hat, daß die Erde noch entfernt nicht
völlig besetzt ist und die große Menge der Land-
wirte sich durchaus nicht in günstigen Vermdgens-
verhältnissen befindet. Nichts ist verkehrter, als die
heutigen Bodenbesitzer mit den ersten Vesiedlern des
Bodens zu verwechseln, und anzunehmen, daß jenen
dic volle Grundrente thatsächlich zu teil wcrdc. Die
Mehrzahl der heutigen Besitzer hat ihr Land ent-
weder käuflich oder doch so stark mit Erbschafts- ^
schulden belastet erworben, daß dic von ihnen be- i
zogene Rente nur als mähige Verzinsung erscheint.
Wo immer der Boden auf zahlreiche mittlere und
kleinere Besitzer verteilt, auch nicht durch Rechts-
institute wie Familienftdeikommisse gegen jede Ver-
schuldung geschützt ist, verteilt sich die Grundrente l
durch tausend Kanäle über das ganze Volk. !
Die positive Rechtfertigung des G. liegt in seiner z
psychologischen, ethischen, erziehlichen Kraft und
seiner damit zusammenhängenden hiftor. Nedeutnng
für die Entwicklung der menschlichen Kultur. Die
ersten festen gesellschaftlichen und staatlichen Ord-
nungen, welche die notwendigen Grundlagen jcdc?
weitern Kultur bildeten, mochten sie auf Hcrrschafts-
oder Genossenschaftsverhältnissen beruhen, knüpften
sich an das G. Der Reiz des G. blieb weiterbin die
Haupttriebkraft, welche die Besiedelnng und Urbar-
machung des noch im Naturzustaut'o befindlichen
Landes hervorrief. Auch gegenwärtig wirkt diese
Triebkraft mit ungcschwächter Stärke. Wenn dio
Vereinigten Staaten von Amerika oder Australien,
wie dieses von einigen geraten worden, ihre öffent-
lichen Ländereien den Ansiedlern nicht mehr zu
freiem Eigentum, sondern etwa in Erbpacht geben
wollten, so würde die weitere Kolonisierung dieser
Gebiete sofort auf das empfindlichste ins stocken
geraten. Nichts regt die Arbeitsfreude, den Opfer-
mut mehr an als die Gewißheit, sich und den Nach-
kommen einen sichern Familiensitz zu schaffen. Es
ist kein Zufall, daß man gerade bei der bäuerlichen
Bevölkerung das beste Familienleben, die größte
physische und moralische Gesundheit und Kraft,
Tngenden findet, welche den besitzlosen oder nur
bewegliches Kapital besitzenden Vollstlasscn nicht
in gleichem Maße eigen sind. Die Liebe zur heimi-
schen Scholle, das innige Verwachsensein mit dem
Wohle und Gedeihen des Ganzen, die Bereitschaft,
für das Ganze Opfer zu bringen, das starke Unab-
hängigkeitsgefühl, welche unsern Grundbesitzerstano
auszeichnen, sind aus dem freien G. und dem Be-
wußtsein eines fest gegründeten, den Auf- und
Niedergängen des sonstigen Erwerbslebens nicht
unterworfenen Familienbesitzes erwachsen. Ein
unheilvoller Zustand entsteht nur dann, wenn der
Boden sich in der Hand von wenigen Latisundien-
besitzern befindet, welche die große Mehrzahl des
Volks vom Segen des G. ausfchließen, wenn die
Menge der Grundeigentümer den größten Teil
ihres Arbeitsertrages an Kreditinstitute oder son-
stige Privatgläubiger abzugeben genötigt ist, oder
wenn der Boden seinen Charakter als Familien-
besitz verliert und zum Spekulationsobjett wird,
wie es namentlich hinsichtlich der städtischen Ban-
plätze vielfach der Fall ist.
Gegen diese Mißstände richtet sich zunächst die
neuerdings aufgetretene Bewegung und hat bereits
die Gesetzgebung einzelner Staaten anzukämpfen
begonnen. (S. Agrargesetzgebung.) Es unterliegt
keinem Zweifel, daß jene schlimmen Erscheinungen,
wo sie auftreten, beseitigt werden können, ohne die
Institution des privaten G. selbst anzutasten. Falsch
ist es aber, wenn die Agitatoren behaupten, daß in
jenen Ländern, wo die Menge des Bodens nicht in
der Hand von Latifundienbesitzern, sondern von klei-
nern Besitzern liegt, diese allgemein total verschul-
det seien. Die angestellten Untersuchungen haben
ergeben, daß noch überall in Deutschland Tausende
von unverschuldeten Bauern existieren, und wo sie
verschuldet sind, ist das überwiegend der Fall zu
Gunsten von Miterben, die Verschuldung bedeutet
eine Kürzung ihres Einkommens zu Gunsten der
eigenen Verwandten. Sofern übrigens dic Rück-
sichten und Interessen der öffentlichen Woblfahrt
und Ordnung verlangen, daß einzelne Grundstücke
ihrer bisherigen Verwendung entzogen und für eine
andere bestimmt werden, gestattet schon längst die
bestehende Rechtsordnung die Enteignung ss.d.) oder
Expropriation gegen den Willen des Eigentümers,
init angemessener Entschädigung desselben. Auch
gewähren die Gesetze der meisten Staaten die Mög-
lichkeit, nützliche landwirtschaftliche Verbesserungen,