Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

765

Handfeuerwaffen

Die Annahme des Mehrladers in der Schweiz blieb zunächst ohne Einfluß auf die Bewaffnung der andern Staaten. Die polit. Lage Deutschlands verhinderte einen Wechsel der Bewaffnung, und infolgedessen mußte der Feldzug 1870-71 mit dem Zündnadelgewehr durchgekämpft werden, dessen Anfangsgeschwindigkeit sich zu der der feindlichen Waffe wie 290:420 verhielt.

Die nächste Folge der Kriegserfahrungen von 1870 bis 1871 war die allgemeine Einführung des Kalibers von 10,4 bis 11 mm in Verbindung mit der Metallpatrone. Bei den Neukonstruktionen des J. 1871 ging man zu einer Ladung von 5,6 g und einem Geschoß von 25 g über und erzielte hierbei eine Anfangsgeschwindigkeit von etwa 430 m. In England führte man sogar bei dem Henry-Martinigewehr eine Ladung von 5,6 g und ein Geschoß von 31,1 g ein. Obwohl die Anfangsgeschwindigkeit dieser Waffe verhältnismäßig gering war, mußte trotzdem dem schweren Geschoß auf den weiten Entfernungen eine Überlegenheit in der Gestrecktheit der Bahn zukommen, da dasselbe die ihm erteilte Geschwindigkeit besser bewahrte.

Als Typus eines Gewehrs mit Kolbenverschluß, das nach den Erfahrungen des Feldzuges 1870-71 hergestellt war, möge hier das deutsche Infanteriegewehr 71, System Mauser, geschildert werden: An Stelle der Papierpatrone trat eine Metallpatrone, deren abgeschossene Hülse nach dem Schusse durch einen Auszieher aus dem Lauf gezogen wurde. In dem Boden der Patrone befand sich ein metallenes Hütchen, dessen Zündsatz durch einen starken Schlagbolzen entflammt wurde. Zwei Löcher leiteten den Zündstrahl in die Pulverladung. Der Rückstoß wurde ähnlich wie beim Zündnadelgewehr durch eine Verstärkung des Verschlußkolbens aufgefangen, die sich gegen die rechte Wand des Verschlußgehäuses stützte. Das Spannen der Spiralfeder erfolgte beim Öffnen bez. Schließen selbstthätig. Zu diesem Zwecke besaß der Verschlußkolben einen dreieckigen, von einer Schraubenfläche begrenzten Ausschnitt. In diesem ruhte bei dem abgedrückten Gewehr ein dreieckiger, ähnlich gestalteter Ansatz des Schlößchens. Wurde zum Offnen der Verschlußkolben nach links gedreht, so mußte das Schlößchen eine Rückwärtsbewegung machen, da es durch die beiden Seitenwände des Verschluhgehäuses an einer Drehung verhindert wurde. Beim Öffnen trat die erste Spannung der Spiralfeder ein; beim schließen wurde sie vervollständigt. Durch das Zurückziehen des Abzuges senkte sich dessen Stollen, das Schlößchen verlor seinen Halt und die Spiralfeder schleuderte die Schlagbolzenspitze gegen das Zündhütchen.

Das deutsche Gewehr 71 entsprach mit Ausnahme des Kalibers den damaligen Anforderungen an eine Kriegswaffe in hohem Maße. Das russ. Gewehr System Berdan, das niederländische M/71 Beaumont und das französische M/74 Gras kamen dem deutschen 71 in Bezug auf Konstruktion und ballistische Leistungen etwa gleich. Eine Verschiebung dieses Gleichgewichts trat Mitte der siebziger Jahre durch das Repetiergewehr ein. Wenn auch ab und zu der Mehrlader zur Einführung gelangt war, so hatte denselben doch bis zu diesem Zeitpunkt keine Großmacht angenommen. Die darauf bezüglichen, überall im Gange befindlichen Versuche wurden erst beschleunigt, nachdem die türk. Infanterie, die nur teilweise mit Repetierwaffen versehen war, 1877-78 gezeigt hatte, welche Vor-

^[Spaltenwechsel]

teile mit einem zur richtigen Zeit abgegebenen Magazinfeuer zu erreichen waren. Von den Großstaaten nahm zuerst Deutschland als allgemeine Infanteriewaffe einen Mehrlader mit Magazin im Vorderschaft, das Gewehr 71/84, an und gewann durch rasche Herstellung desselben den übrigen Mächten gegenüber einen erheblichen Vorsprung.

In vielen Beziehungen besitzt das Gewehr 71.84 (vgl. Tafel: Handfeuerwaffen I, Fig. 5-7) Ähnlichkeit mit dem Gewehr 71. Der Schaft hat in seinem vordern Teil unterhalb des Laufs das röhrenförmige Magazin (in m der Figuren teilweise dargestellt). Das Magazin, aus dünnem Stahlblech gezogen, hat eine lange, gewundene Drahtfeder, die hinten mit einer hutförmigen Kapsel versehen ist. Bei gefülltem Magazin liegt die Feder, auf ein sehr geringes Maß zusammengedrückt, in dem vordersten Teil des Rohrs und hat das Bestreben, die Patronen rückwärts auf den Zubringer (Löffel) zu drücken. Dieser Zubringer, der die Patronen des Magazins in Höhe des Laufs hebt, scheint in seiner Konstruktion aus den Systemen Fruhwirth und Kropatschek entstanden zu sein. Der Löffel hat im hintern Teil seine Drehachse c (Fig. 6) und kann zwei verschiedene Lagen annehmen: die gehobene (Fig. 5 u. 6) und die gesenkte (Fig. 7). In letztere wird der Löffel zum Empfang einer Patrone aus dem Magazin versetzt, in erstere, um die Patrone mit deren vordern Teil a in die Höhe des Laufs zu bringen. Am vordern Teil sitzt ein Schnabel b, der in der gehobenen Stellung des Löffels das Austreten der noch im Magazin befindlichen Patronen verhindert. Bei gesenktem Löffel übernimmt die Sperrklinke diese Aufgabe. Eine Doppelfeder erhält die Sperrklinke in dieser Lage und regelt gleichzeitig die Stellungen des Löffels. Die Übergänge des letztern aus einer Lage in die andere stehen mit der Vor- und Zurückbewegung des Verschlußkolbens A (Fig. 5) in Verbindung. Ein Anschlagstück d kann in einem Falz des Löffels sich um ein geringes Maß auf- und abwärts bewegen. Am Verschlußkopf B ist der langarmige Auswerfer k befestigt, der bis zum Schlößchen C reicht. Der Auswerfer drückt den Anschlag um eine kleine Strecke rückwärts, wodurch der Zubringer derartig um seine Achse gedreht wird, daß er mit seinem vordern Teil in Höhe des Laufs steigt. Um das Anschlagstück aus einer Stellung in die andere zu bringen, gebraucht der Schütze den außerhalb im Verschlußgehäuse angebrachten, um seine Achse drehbaren Stellhebel e. Befindet sich der Stellhebel in der rückwärts geneigten Lage, so ist das Gewehr zum Magazinfeuer gestellt. Das Ausziehen der Patronenhülse nach dem Schuß bewirkt der Auszieher i, der rechts oben im Verschlußkopf angebracht ist. Im letzten Augenblick der Rückwartsbewegung des Verschlusses stößt die leere Patronenhülse an den Kopf des Auswerfers k, wodurch sie seitwärts aus der Patroneneinlage herausgeschleudert wird. An dem Verschlußkolben A, dem Schlößchen C, der Schlagbolzenmutter D sind wesentliche Veränderungen nur in Bezug auf innigere Verbindung zwischen Schlagbolzen, Schlagbolzenmutter und Schlößchen eingetreten. An Stelle der einarmigen Abzugsfeder des Gewehrs 71 ist bei Gewehr 71.84 eine kleine Spiralfeder getreten. Das füllen des Magazins geschieht bei geöffnetem Gewehr über den gesenkten Zubringer. Das Magazinrohr faßt 8 Patronen, eine neunte kann unmittelbar in den Lauf gebracht werden.